Süddeutsche Zeitung

Absturz von MH17:Wilde Verschwörungstheorien

Die Absturzursache des malaysischen Flugzeuges MH17 in der Ostukraine ist immer noch nicht geklärt, über die Blackbox-Daten hört man nichts. Das befeuert die wildesten Spekulationen. Doch für das internationale Ermittlerteam ist die Arbeit in diesem Fall besonders schwer.

Von Thomas Kirchner

Drei Wochen nach dem Absturz von Flug MH17 in der Ostukraine gibt es noch keine offiziellen Erkenntnisse über die Ursache. Also auch keine Antwort auf die wichtigste Frage: Wurde die Boeing abgeschossen, und wenn ja, von wem?

Das Internet ist voll mit Verschwörungstheorien. Fast alle zielen darauf ab, den von westlichen Medien früh geäußerten Verdacht zu kontern, es seien prorussische Rebellen gewesen, die die Maschine irrtümlich mit einer Boden-Luft-Rakete zerstörten. Russland versuchte, diese Theorie mit Radarbildern zu entkräften, die auf eine mögliche Verwicklung ukrainischer Kampfjets hindeuten. Hartnäckig werden Artikel verlinkt, die angebliche "US-Geheimdienstkreise" mit der Ansicht zitieren, es seien tatsächlich die Ukrainer gewesen, nicht die Rebellen.

Unterstellt wird bewusste Verschleierung

Mittlerweile mehren sich auch - auf Twitter oder in Foren, die sich als Alternative zu den "Mainstream-Medien" verstehen - Stimmen, die Absicht hinter der Tatsache vermuten, dass die Ermittler nicht einmal erste vorläufige Ergebnisse präsentiert haben. Unterstellt wird bewusste Verschleierung, durch westliche Regierungen, Geheimdienste, wen auch immer. Aber auch ganz normale Zeitungsleser stellen Fragen - die sich beantworten lassen.

Die offizielle Untersuchung liegt, weil die Niederlande die meisten Opfer zu beklagen hatten, in den Händen des dortigen Onderzoeksraad vor Veiligheid (OVV), des Sicherheitsrates. Dieser hat ein Team von etwa 25 Ermittlern zusammengestellt, dem Vertreter der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO und Experten aus den Niederlanden, der Ukraine, Malaysia, Australien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, den USA und auch aus Russland angehören. "Es ist eine komplizierte Untersuchung", sagt OVV-Sprecherin Sara Vernooij, "und wir wollen ein möglichst genaues, umfassendes Ergebnis vorlegen. Wir nehmen uns die Zeit, die wir brauchen." Es werde noch "einige Wochen" dauern.

Die Sicherheitslage am Absturzort ist schlecht

Zunächst hatte der OVV geglaubt, wie von der ICAO vorgeschrieben binnen 30 Tagen nach dem Absturz einen vorläufigen Bericht vorlegen zu können. Inzwischen meint er, die Frist aus guten Gründen nicht einhalten zu können. Der wichtigste ist, dass noch immer keiner aus dem Team an der Absturzstelle war.

Zwar seien nach dem Unglück Experten auf dem Trümmerfeld gewesen, sagt Vernooij, diese standen aber nicht unter der Leitung des OVV, das erst später beauftragt wurde. Und die Sicherheitslage am Absturzort bei Grabowo ist derart schlecht, dass am Freitag niederländische und australische Ermittler eines anderen Teams, das nach sterblichen Überresten der Opfer sucht, nach Hause flogen.

Die Daten der Black Boxes sind brauchbar

"Normalerweise", so Vernooij, "läuft eine Untersuchung so, dass wir zunächst am Unglücksort ermitteln und dann versuchen, die Erkenntnisse mit den sonstigen verfügbaren Daten zu erhärten. Jetzt müssen wir es andersherum machen." Den Ermittlern liegen Satelliten- und Radarbilder vor, Informationen von der Luftverkehrsleitung sowie vor allem die Daten aus dem Flugschreiber und dem Voice Recorder der Maschine.

Die Black Boxes hatten Rebellenvertreter bald nach dem Absturz gefunden und OSZE-Vertretern gegeben. Sie blieben weitgehend intakt, die Daten sind brauchbar. Die Niederländer ließen sie im britischen Farnborough herunterladen, weil es dort entsprechende Technik gibt, und gleichen sie nun mit den übrigen Informationen ab.

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SZ vom 09.08.2014/zoch
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