Absturz der Partei:Die innere Zerrissenheit der Grünen

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Eine lange Geschichte: Jürgen Trittin (links) und Winfried Kretschmann im Jahr 2013. (Foto: dpa)

Jürgen Trittin und Winfried Kretschmann, der Weltverbesserer und der Pragmatiker, haben sich auf einen Kaffee getroffen - so ernst steht es um ihre Partei. Aber was tun?

Von Stefan Braun, Roman Deininger und Josef Kelnberger

Jürgen Trittin hatte die Idee, Winfried Kretschmann sagte spontan zu. Erst verabredeten sie sich abends zu einem Bier. Wer weiß, ob das gut gegangen wäre, die alten Rivalen allein an einem Tisch unter Alkoholeinfluss. Jedenfalls klappte das nicht, also gingen sie vor einigen Wochen in Berlin Kaffee trinken. Es war das, was man in der Politik ein Geheimtreffen nennt.

Wie man hört, ist es ganz gut gelaufen. Die beiden wollen sich voll und ganz hinter Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt stellen, das Spitzenkandidaten-Duo der Grünen für die Bundestagswahl. Sie wollen aufhören, übereinander her zu ziehen, der Erkenntnis folgend, dass sie dabei alle zwei nur verlieren können. Trittin hat eingesehen: Ohne einen starken Kretschmann gibt es keinen grünen Erfolg im Bund. Und Kretschmann weiß: Die grüne Dominanz in Baden-Württemberg ist in Gefahr, wenn die Bundespartei am 24. September abschmiert.

Eine rührende, aber auch tragische Begegnung zweier Männer aus den Anfängen der Grünen. Große Frage: Hätten sie diesen Kaffee nicht früher trinken können? Und nicht erst, wenn ihre Partei am Abgrund steht und die Nerven flattern?

Die Grünen sind in den aktuellen Umfragen für die Bundestagswahl auf sechs Prozent abgestürzt. In Nordrhein-Westfalen, wo schon am 14. Mai der Landtag gewählt wird, sieht es nicht besser aus. 2017 könnte das Jahr werden, in dem die Partei ums Überleben kämpft. Ein bisschen absurd ist das schon, denn zugleich haben die Grünen den laut Politbarometer wichtigsten deutschen Politiker in ihren Reihen. Winfried Kretschmann, der erste grüne Ministerpräsident der Republik, liegt da vor Angela Merkel, vor Wolfgang Schäuble, vor Martin Schulz.

Der Pragmatiker und der Weltverbesserer

Die Frage ist nun: Warum folgt die Partei diesem Kretschmann nicht? Warum versucht sie nicht, sein schwäbisches Erfolgsmodell auf andere Länder und auf den Bund zu übertragen?

Um Antworten zu erhalten, muss man die innere Zerrissenheit der Grünen erkunden - auf den Spuren jener beiden Männer, die diese Spaltung schon seit Jahren auch nach außen verkörpern: Kretschmann und Trittin. Hier der Oberrealo von der Schwäbischen Alb, dort der linke Vordenker aus Göttingen. Alte Weggefährten, alte Rivalen. Der Pragmatiker und der Weltverbesserer. Sie haben jetzt also einen Kaffee miteinander getrunken, so ernst steht es um die Grünen.

Die Villa Reitzenstein auf halber Höhe über Stuttgart, die erste Station dieser Expedition in die grüne Seele. Der Ministerpräsident empfängt im sogenannten Vorkabinett seines Amtssitzes, auf dem Kaffeegeschirr prangt in Gold das Landeswappen, Hirsch und Greif.

Sein großes Thema sei die Ökologie, sagt Winfried Kretschmann. "Es ist ja allgemein bekannt, dass ich kein Linker bin. Es gibt meiner Meinung nach aber auch keinen Bedarf an einer dezidiert linken grünen Partei." Man kann sich ausmalen, dass Jürgen Trittin das entschieden anders sieht.

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Text: Stefan Braun, Roman Deininger und Josef Kelnberger, Illustration: Kathrin Koschitzki

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