Abstimmung über Wehrpflicht in Österreich:Grabenkrieg ums Bundesheer

Österreichs Regierungskoalition lässt das Volk am 20. Januar über eine Reform von Wehrpflicht und Zivildienst abstimmen. Das Thema spaltet das Bündnis aus ÖVP und SPÖ - die Bürger hingegen lässt es relativ kalt.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Es gibt sicher Themen, die sich besser für die Basisdemokratie eignen als die sicherheitspolitischen Herausforderungen, denen sich ein neutrales Land wie Österreich zu stellen hat. Cyber-Krieg, internationaler Terrorismus, Blauhelm-Einsätze - wer sich ein fundiertes Urteil bilden wollte, mit welcher Art von Armee man diese Aufgaben bewältigen kann, der braucht Fachwissen.

Über dieses Wissen sollen nun im Idealfall in knapp zwei Wochen alle mündigen Österreicher verfügen, denn sie sind zur Volksbefragung gebeten. Die Fragestellung lautet: "Sind Sie für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes?" Das will der eine Wiener Koalitionspartner, die ÖVP. Oder: "Sind Sie für die Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres?" Das möchte die zweite Regierungspartei, die SPÖ.

Meinungsumfragen sagen voraus, dass die Wehrpflicht bleiben wird; eine Mehrheit von etwa 55 Prozent tendiere zum alten Modell. Aber die Wahlbeteiligung dürfte niedrig und das Ergebnis unwägbar sein. Gleichwohl haben beide Lager die Bürgerbefragung zu einer Prestigesache gemacht, die in einem Grabenkrieg ausartet und die wacklige Zusammenarbeit der Koalitionäre weiter belastet. Außerdem sind die Fronten unklar. Einige Sozialdemokraten haben sich der Kampagne für das Profiheer verweigert. Und in der Generalität wollen die Stimmen, die für eine Beibehaltung der Wehrpflicht sind, nicht verstummen, was zeitweilig zu einem heftigen Streit zwischen SPÖ-Verteidigungsminister Norbert Darabos und seinem aufmüpfigen Generalstabschef geführt hatte.

Es geht ans Eingemachte

Wie auch immer: Beide Seiten haben angekündigt, man werde sich an das Ergebnis der Befragung vom 20. Januar halten. Seit 1956 gibt es die Wehrpflicht; sechs Monate Grundwehrdienst müssen abgeleistet werden. Neben 11.000 "Präsenzdienern" sind knapp 13.000 Offiziere und Unteroffiziere sowie etwa 1700 Zeitsoldaten beim Bundesheer angestellt. Aber jetzt geht es um mehr als die Zukunft der Landesverteidigung - es geht ans Eingemachte, politisch und emotional.

Mit der Festschreibung der Neutralität im Staatsvertrag hat sich Österreich 1955 verpflichtet, "keinen militärischen Bündnissen beizutreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf dem eigenen Territorium nicht zuzulassen". Die Neutralität ist bis heute ebenso Teil des Selbstverständnisses wie das Bekenntnis zur Landesverteidigung - wenngleich die Bündnisfreiheit spätestens durch den EU-Beitritt und das Bekenntnis zur gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ausgehöhlt wurde.

Das Engagement in EU und UN gilt jetzt den Modernisierern als Argument: Die internationale Zusammenarbeit erfordere kompetentere, mobilere Einsatzkräfte. Die Gegner verweisen auf Traditionen und nationale Bedürfnisse - sie wollen Soldaten, die lieber auch mal Schnee schippen oder Muren wegräumen im eigenen Land.

Alles ist umstritten

Vor etwa zwei Jahren, also etwa zu jenem Zeitpunkt, als in Deutschland die Wehrpflicht abgeschafft wurde, hatte SPÖ-Mann Darabos noch gesagt, für seine Partei sei die Wehrpflicht "in Stein gemeißelt". Umgekehrt war die ÖVP lange für ein Berufsheer gewesen. Dann aber hatten sich zwei mächtige Landesfürsten aus wahltaktischen Gründen eingemischt - und alles war anders.

Die Sozialdemokraten wollen daher jetzt ein Modell aus Berufssoldaten, Zeitsoldaten und einer Freiwilligen-Miliz einführen. Bekennende Linke betrachten das als Kulturbruch. Österreichs Sozialdemokratie hatte mit Verweis auf das Jahr 1934 lange für ein Volksheer plädiert, denn: Damals hatten im aufziehenden Austrofaschismus Berufssoldaten auf Arbeiter geschossen.

Immer wieder geht der Blick auch über die Grenzen. Kaum noch ein Staat in Europa hält an der Wehrpflicht fest; schon Deutschland war mit ihrer Abschaffung spät dran gewesen. Zwar war auch in Berlin mit einer veränderten sicherheitspolitischen Lage argumentiert worden, doch anfangs hatte Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg vor allem Geld und Zeit als Argumente für seinen Vorstoß angeführt: Ein Berufsheer sei billiger, und sechs Monate Grundwehrdienst reichten längst nicht aus, um fähige Soldaten auszubilden. Auch in Österreich geht es dieser Tage vor allem ums Geld. Eine neue Sicherheitsstrategie, von der Regierung längst ausgearbeitet, verstaubt im Parlament.

Erklär-Briefe an alle Haushalte

Nun werden Erklär-Briefe an alle Haushalte verschickt, Plakate pflastern die Städte zu. Minister beider Lager reisen durch die Bundesländer und erklären wahlweise, dass der Katastrophenschutz zum Erliegen kommen oder aber demnächst viel besser funktionieren werde. Die einen behaupten, mit dem Ende des Zivildienstes werde der Rettungswagen 30 Minuten später eintreffen - die anderen sagen, mit dem als Ersatz geplanten Sozialen Jahr würden mehr Menschen denn je in den Freiwilligendienst drängen. Studien werden herbeigezogen, die entweder beweisen sollen, dass die Modellrechnung des Verteidigungsministeriums für ein bezahlbares Berufsheer geschönt ist - oder aber die Wehrpflicht dem Land einen jährlichen Millionenschaden beschert.

Alles ist umstritten. Ob Rekrutierung und Ausstattung eines künftigen Berufsheeres kostenneutral hinzukriegen wären, gilt als nur bedingt vorhersehbar. Und auch eine Armee aus Wehrpflichtigen, sollte sie fortbestehen, müsste, wie von der Bundesheer-Reformkommission gefordert, grundlegend verändert werden. Manch einer im Verteidigungsministerium schaut daher neidisch ins benachbarte Deutschland, wo es kaum eine Debatte gab. Und schon gar keine Volksbefragung.

Zudem würden, wie der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Internationale Politik in Wien, Heinz Gärtner, kritisiert, Partei- und Sicherheitspolitik auf irritierende Weise vermischt. Ob man als Bürger für oder gegen das Berufsheer sei, habe nichts mit dem Zivildienst zu tun. "Abgestimmt wird aber über beides."

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