Abstimmung über Hilfen für Griechenland:Kanzlerin ohne symbolische Mehrheit

"Europa scheitert, wenn der Euro scheitert": Angela Merkel hat in einer Regierungserklärung versucht, die Zweifelnden von der Richtigkeit der Hilfen für Athen zu überzeugen. Ihr Credo: "Die Chancen überwiegen die Risiken." Die Kanzlermehrheit verfehlt sie knapp - kann sich aber auf das Abstimmungsverhalten der Opposition verlassen.

Nico Fried, Berlin

Beinahe hätte Hans-Peter Friedrich gar nicht mitgekriegt, wie schnell es um ihn ging. Der Innenminister kommt ein wenig spät, die Sondersitzung des Bundestages hat schon begonnen. Angela Merkel spricht die ersten Sätze ihrer Regierungserklärung und sagt, sie habe stets davor gewarnt, auf schnelle Lösungen zu setzen. Schon schallen ihr die Zwischenrufe entgegen: Die Worte "Ihr Innenminister" und "Ihr Herr Friedrich" tauchen darin auf. Merkel übergeht das. Friedrich sitzt da, regungslos. Erst markiert er den Unbeteiligten. Später greift er nach einem gelben Stabilo-Stift und markiert einen Text.

Hans-Peter Friedrich, der Innenminister, dessen Auftreten immer zu gleichen Teilen zwischen unaufgeregt und dröge changiert, hat am Wochenende gesagt, man solle den Griechen Anreize setzen, die sie nicht ablehnen könnten, um sie damit zum Verlassen der Euro-Zone zu bewegen. Das ist nun allerdings genau das Gegenteil dessen, was das Parlament an diesem Montag auf Antrag der Bundesregierung beschließen soll, nämlich den deutschen Anteil an einem zweiten Hilfspaket in Höhe von insgesamt 130 Milliarden, um die Griechen in der Euro-Zone zu halten. Das war schon ein Knaller des Ministers, der den Auftritt Merkels da vorne jetzt nicht gerade erleichtert. Die Kanzlerin sagt, was sie zu solchen Problemfällen gerne sagt: nichts.

Angela Merkel gibt eine Regierungserklärung ab. Das heißt, sie spricht für die ganze Regierung. Aber stimmt das auch? Da ist der Minister Friedrich, der im Kabinett ja zugestimmt hat, aber als einfacher CSU-Abgeordneter nun plötzlich eine andere Meinung vertritt, trotzdem im Bundestag aber wiederum zustimmen wird. Sein Ministeriumssprecher hat diese Zwei- bis Dreiteilung der politischen Persönlichkeit Friedrichs schon vor der Sitzung des Bundestages in stotternder Eleganz zu erläutern versucht. Er hat sich bemüht, eine Position zu erklären, die so verdreht ist wie ein Korkenzieher.

Aber da ist ja auch noch der Finanzminister Wolfgang Schäuble, von dem es heißt, er sei skeptisch, ob das alles reichen werde, um Griechenland zu retten. In drei Jahren, so hat er in einem Brief an alle Abgeordneten geschrieben, müsse man wohl ein drittes Hilfsprogramm auflegen. Er hat das später damit begründet, dass das zweite Programm eben in drei Jahren auslaufe.

Aber mancher Abgeordnete der schwarz-gelben Koalition ist trotzdem hellhörig geworden. Und da ist auch noch Philipp Rösler, der Vizekanzler und Wirtschaftsminister von der FDP, der schon im Herbst von einer Insolvenz Griechenlands sprach. Mittlerweile mag er noch mehr Gefallen daran gefunden haben, mal anderer Meinung zu sein als die Kanzlerin. Auch das Wort Griechenland beginnt ja mit G, wie Gauck.

Angela Merkel präsentiert in ihrer emotionslos vorgetragenen Rede viele der Versatzstücke, die schon das Skelett für unzählige ihrer Regierungserklärungen und sonstigen Reden zur Euro-Krise gebildet haben. Eine der schwersten Herausforderungen für Europa sei die Schuldenkrise, ihre Lösung werde ein langer Prozess sein, inzwischen sei man aber schon ein gewaltiges Stück vorangekommen, auch weil mittlerweile Einigkeit über die Ursachen der Krise bestünde. Und Griechenland solle natürlich nicht nur sparen, sondern auch wettbewerbsfähiger werden.

Manche Zuhörer kämpfen nun schon mit der wachsenden Schwere der Augenlider, wie es später bei Merkel selbst zu beobachten sein wird, wenn sie zuhören muss. Beinahe verdöst man die Neuigkeit, dass Merkel die 22 Milliarden Euro für den sogenannten permanenten Rettungsschirm ESM nun nicht auf fünf, sondern nur noch auf zwei Jahre verteilt einzahlen will. Das wird die Steuerzahler nicht mehr kosten, dafür aber schneller in Anspruch nehmen.

Steinbrück kritisiert Merkels Politik

Ansonsten gibt es in Merkels Rede vor allem stilistische Neuerungen. Die erste besteht darin, dass die Kanzlerin nicht mehr sagt: Scheitert der Euro, dann scheitert Europa. Sie sagt: "Europa scheitert, wenn der Euro scheitert." Die zweite Neuerung besteht darin, dass sie besonders viel Zeit auf die Schilderung ihres eigenen inneren Ringens verwendet. "Ich kenne die Stimmen derer, die fragen: Ist Griechenland nicht ein hoffnungsloser Fall?" Prompt kommen wieder die Zwischenrufe: "Friedrich! Innenminister!" Aber, sagt Merkel, nach dem Abwägen aller Argumente, nach der Prüfung aller Pros und Kontras komme sie zu dem Ergebnis: "Die Chancen überwiegen die Risiken."

Koalition verfehlt Kanzlermehrheit fuer Griechenland-Hilfe

Abstimmung gewonnen, Kanzlermehrheit verfehlt: Bundeskanzlerin Angela Merkel.

(Foto: dapd)

Interessanterweise beschreibt sie dann vor allem die Größe der Risiken, um schließlich noch einmal eine zweite Unterscheidung vorzunehmen: Als Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland müsse sie bisweilen Risiken eingehen, auf Abenteuer jedoch werde sie sich nicht einlassen. Das ist schon deswegen ein bemerkenswerter Satz, weil er an Gerhard Schröder erinnert, Merkels Vorgänger, der bald nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 sagte, Deutschland stehe solidarisch zu den USA, aber nicht für Abenteuer zur Verfügung.

Schröder ist längst Geschichte, weshalb man Peer Steinbrück vielleicht als einen seiner Enkel bezeichnen könnte, streng politisch natürlich. Steinbrück antwortet für die SPD auf Merkel. Und wie meistens lässt er über gut 20 Minuten kein gutes Haar an ihrer Politik. Als erstes moniert er, dass die Kanzlerin den Bürgern nicht die ganze Wahrheit sage. So seien viele Kautelen für das Rettungspaket noch gar nicht geklärt, die Regierung begebe sich vielmehr "auf sehr dünnes Eis".

Nach fast zwei Jahren der versuchten Rettung Griechenlands, sagt Steinbrück, sei man mehr oder weniger wieder "an dem Punkt angekommen, wo wir vor zwei Jahren gestartet sind". Dafür trage die Bundesregierung ein "gerüttelt Maß" der Verantwortung, weil ihre Maßnahmen jedes Mal nach dem Muster "zu wenig, zu spät und zu ungefähr" gefasst worden seien.

Es gab Zeiten, da hörte Merkel Steinbrück ganz gerne zu. Lang, lang ist's her. An diesem Montagnachmittag sinkt sie immer tiefer in ihren blauen Stuhl, macht ein unzufriedenes, fast muffiges Gesicht und schüttelt bisweilen den Kopf. Ihr Außenminister Guido Westerwelle tut es ihr gleich, bewegt einmal sogar die Hand an die Stirn, als wolle er Steinbrück in einer unmissverständlichen Geste signalisieren, was er von seinen Einlassungen halte. In letzter Sekunde beschränkt sich der diplomatisch mittlerweile versierte Außenminister darauf, sein Haar zu glätten.

Dazwischen sitzt Philipp Rösler, der Vizekanzler. Ein kurzer Handschlag zur Begrüßung war alles, was die Kanzlerin ihm diesmal an menschlicher Zuneigung zuteil werden ließ, nachdem er seinen Triumph bei der Nominierung Joachim Gaucks so ausgekostet und dabei von seinem Streit mit Merkel ein Bild gemalt hatte, als sei er wie einst Siegfried einem Feuer speienden Drachen begegnet. Rösler und Merkel scherzen und feixen auch im weiteren Verlauf der Debatte nicht miteinander, wie sie es sonst gerne tun. Obwohl noch eine lustige Sache kommt.

Denn auch Peer Steinbrück erreicht in seiner Rede wieder jene Stelle, die bei all den sozialdemokratischen Reden zur Euro-Krise immer besonders interessant ist. Es ist die Stelle, an der er sagen muss, warum die SPD trotz aller Kritik an Merkel, trotz all ihrer Fehler, trotz 20 Minuten Dauerfeuer gegen die Kanzlerin am Ende doch wieder zustimmen wird: Weil es um das große Ganze gehe, sagt Steinbrück, um Europa.

496 Ja-Stimmen bekommt der Antrag der Bundesregierung. Die Kanzlermehrheit wird knapp verfehlt. Und so endet diese Debatte mit einer Koalition, die ihrer selbst nicht sicher ist, sich aber auf die Opposition doch stets verlassen kann.

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