Abstimmung über Euro-Rettungsschirm:Rotkäppchen unter Fraktionszwang

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Seelenqualen, Gerüchte, Anrufe der Kanzlerin: Manche der schwarz-gelben Abgeordneten, die eine Ausweitung des Euro-Rettungsschirms offen anzweifeln oder ablehnen, erleben in diesen Tagen die Wucht politischen Drucks. CDU-Innenexperte Bosbach beklagt, Opfer "übler Nachrede" zu sein.

Oliver Das Gupta

"Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen." Grundgesetz, Artikel 38, Absatz 1.

(Foto: dpa)

"Wie man sich fühlt?" Karl-Georg Wellmann seufzt regelrecht die Frage. Er überlegt kurz und sagt dann: "Man fühlt sich wie Rotkäppchen im Schneesturm." Der Notar aus Berlin-Steglitz trat 1972 in die CDU ein, seit 2005 sitzt er im Bundestag. Und nun steht er wohl vor der schwersten Entscheidung seines Politikerdaseins: Soll er an diesem Donnerstag der Ausweitung des Euro-Rettungsschirmes EFSF zustimmen?

Wellmann ringt seit langem mit sich. Er holte sich den Rat von Fachleuten, sogar Nobelpreisträger habe er kontaktiert, sagt er sueddeutsche.de. Doch die Experten widersprechen sich, und aus dem fernen Washington, von der Tagung des Internationalen Währungsfonds (IWF), dringt herüber, dass der 440-Milliarden-Rettungsschirm womöglich nicht ausreicht. Dass manche Euroländer darüber sinnieren, dem EFSF eine unlimitierte Kreditlinie bei der Europäischen Zentralbank (EZB) einzuräumen.

Da rede man nicht mehr länger von Milliarden, sondern plötzlich von Billionen, sagt Wellmann. Eine Billion, das ist eine Zahl mit einer Eins mit zwölf Nullen. "Angesichts solcher Summen verschwimmen die Zahlen vor den Augen", sagt Wellmann, "und man will zum Cognac greifen".

Bei einer Probeabstimmung der Unionsfraktion am Dienstag gehörte er zu den 13 Parlamentariern, die ihre Zustimmung für die EFSF-Reform verweigerten. Beim kleineren Koalitionspartner, der FDP, ergab ein Probelauf sechs Abweichler. Bleibt es dabei, dann würden die Regierungsfraktionen denkbar knapp die Kanzlermehrheit erreichen.

Die Gruppe der Abtrünnigen setzt sich aus ganz verschiedenen Charakteren zusammen: Da wären solche wie der geübte Renegat und CSU-Mann Peter Gauweiler oder der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler. Volksvertreter, die aus ihrer generellen Euro-Skepsis keinen Hehl machen und das schon lange in viele Mikrofone sagen.

"Zwecklos, mich zu bearbeiten"

Aber es gibt auch andere, die vor der Abstimmung ihre ablehnende Haltung kund getan haben, aber sonst in der Öffentlichkeit nicht so präsent sind. Viele dieser stilleren Parlamentarier empfinden Seelenqualen, weil sie die Kanzlerin eigentlich nicht im Regen stehen lassen wollen. Sie möchten auch auf keinen Fall mit den Euro-Skeptikern in einen Topf geworfen werden. "Ich bin für die Vereinigten Staaten von Europa", sagt eine solche Stimme aus den Koalitionsfraktionen zu sueddeutsche.de. "Ich glaube nur, dass die Ausweitung des Rettungsschirms der falsche Weg ist."

Welchen Druck die Fraktions- und Parteispitzen auf die Abweichler bei CDU, CSU und FDP ausüben, ist ungewiss. Man nennt das Fraktionszwang, und der ist laut Grundgesetz, Artikel 38, Absatz 1, eigentlich verboten. Die Parlamentarier, heißt es da, seien "nur ihrem Gewissen unterworfen". Eigentlich.

Manche der Rettungsschirm-Verweigerer erwähnen vielsagend ihre kurze Parlamentszugehörigkeit und wollen nicht weiter reden. Manche berichten, es gäbe zwar einen gewissen Druck, aber beileibe keine Drohungen nach dem Motto: Du wirst nichts mehr, wenn du nicht spurst.

Andere wie der in Sachen Griechenland-Rettung als Hardliner geltende CDU-Abgeordnete Manfred Kolbe erklären, er sei keinerlei Pressionen ausgesetzt. "Es wäre auch zwecklos, mich zu bearbeiten", sagt der Sachse zu sueddeutsche.de.

Wackelkandidaten wie der Berliner Wellmann berichten allerdings, dass sich CDU-Chefin Angela Merkel inzwischen selbst einschaltet, um "ihre" Leute auf Linie zu bringen: Anfang der Woche hat die Bundeskanzlerin bei dem Berliner angerufen und für die Zustimmung geworben.

Sieht sich als Opfer von "übler Nachrede": Christdemokrat Wolfgang Bosbach (Foto: ddp)

Ein anderer, der einen Anruf von oben bekommen haben dürfte und vielleicht doch sein Plazet verweigern wird, ist der CSU-Abgeordnete Herbert Frankenhauser. Die "offenen Fragen", die Frankenhauser schon "vor Wochen an das Bundesfinanzministerium gestellt" habe, seien immer noch nicht beantwortet, heißt es aus seinem Büro.

Bislang habe Frankenhauser sein Abstimmungsverhalten noch nicht festgelegt. Der Münchner verfügt über langjährige Parlamentserfahrung, er sitzt im Haushaltsausschuss und gilt als kundiger Fahrensmann. Frankenhausers Wort hat Gewicht in der Fraktion, ebenso wie das von Wolfgang Bosbach.

Der namhafte Christdemokrat hat sich seit längerem festgelegt auf ein "Nein", was seitdem für größeres Aufsehen sorgt. In der Folge wurde über Bosbach gestreut, er würde nur bocken, weil er es nicht zum Minister gebracht habe - ein Gerücht, das den stets loyalen Rheinländer schwer trifft. Er habe sich vor einigen Wochen noch nicht vorstellen können, dass so etwas passiert, sagt Bosbach zu sueddeutsche.de. Der Innenexperte sieht sich als Opfer von "übler Nachrede".

Unter seinen Fraktionskollegen scheinen einige schon Mitleid mit Bosbach zu haben: "Nicht wenige, die mir auf die Schulter klopfen, sagen mir: 'Ich will nicht in deiner Haut stecken'". Bosbach bleibt bei seiner Haltung, er will nun erst recht gegen die Ausweitung des EFSF stimmen.

Anders Karl-Georg Wellmann. Er tendiert inzwischen zum "Ja". Er wolle die Kanzlerin nicht alleine lassen, sagt er. Für ihn sei wichtig, dass die Koalition in einer so wichtigen Frage nicht auf die Unterstützung der Opposition angewiesen sei. Ganz will er sich allerdings doch noch nicht festlegen: Denn Voraussetzung für seine Zustimmung sei, dass nicht noch "etwas völlig Verstörendes aus Washington, aus Paris, aus Frankfurt oder sonst woher kommt".

Da ist sie wieder, die Unsicherheit. Und das Gefühl, Rotkäppchen im Schneesturm zu sein.

Mit Material von Reuters.

Der Autor debattiert unter twitter.com/oliverdasgupta

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