Abstimmung über Euro-Rettungsschirm:"Die Kanzlerin wird gestärkt nach Brüssel fahren"

An diesem Mittwoch soll der große Befreiungsschlag in Brüssel im Kampf gegen die Schuldenkrise gelingen: Die Euroländer wollen ein zweites milliardenschweres Rettungspaket für Griechenland schnüren. Vorher steht noch eine Abstimmung im Bundestag an: Die Kanzlerin wirbt im Plenum für ihren Krisenkurs. Bundestagspräsident Lammert glaubt, dass Merkel eine breite Rückendeckung bekommen wird. Die Kanzlermehrheit könnte sie jedoch verfehlen.

Historischer Tag für Europa: An diesem Mittwoch stimmt der Bundestag über die Erweiterung des Rettungsschirms EFSF auf eine Billion Euro ab. Gestärkt durch das Mandat aus Berlin will Kanzlerin Angela Merkel dann am Abend in Brüssel mit den anderen Staats- und Regierungschefs Maßnahmen beraten, die Europa finanziell wieder auf Kurs bringen sollen.

Pre-summit meeting at the European council headquaters in Brussel

Angela Merkel bei ihrer Ankunft in Brüssel am Sonntag: An diesem Mittwoch wollen die Staats- und Regierungschef der Euro-Länder die Entscheidungen treffen, die sie am Sonntag verschoben haben.

(Foto: dpa)

Einig werden müssen sich die Länder im Kern über drei Themen: Neue Finanzhilfen für Griechenland, die Beteiligung der Banken an den Rettungskosten und eine Stärkung des Krisenfonds für angeschlagene Euro-Länder (EFSF).

Zuvor aber steht noch eine Abstimmung im Bundestag an: Um 12 Uhr wird die Kanzlerin in einer Regierungserklärung um Unterstützung für ihre Euro-Politik werben, die auch eine sogenannte Hebelung der Milliardenhilfen des EFSF vorsieht. Dabei darf Merkel Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) zufolge mit einer breiten Rückendeckung für ihren Kurs rechnen.

Dies legen auch die Probeabstimmungen über den Entschließungsantrag am Vortag nahe. Allerdings gab es in den Koalitionsfraktionen auch insgesamt 16 Neinstimmen oder Enthaltungen: In der Unionsfraktion stimmten sieben Abgeordnete mit Nein, drei enthielten sich, in der FDP waren es vier Neinstimmen und zwei Enthaltungen. Die Kanzlermehrheit von 311 Stimmen dürften CDU, CSU und FDP bei der Abstimmung am frühen Nachmittag verfehlen, hieß es aus Koalitionskreisen. Die Koalition kann sich zwar bis zu 19 Abweichler leisten, um auf die 311 Stimmen zu kommen, doch viele Abgeordnete fehlen wegen Krankheit oder Dienstreisen.

Anders als bei den Koalitionsparteien, votierte bei den Grünen kein einziger Abgeordneter mit Nein, es gab zwei Enthaltungen. In der SPD gab es fünf Neinstimmen und vier Enthaltungen. Die Linke beteiligte sich nicht an dem Antrag.

Bundestagspräsident Lammert sieht in dem anstehenden Votum eine ausreichende Grundlage für Festlegungen Merkels beim EU-Gipfel: "Wir sichern damit eine unzweifelhafte Legitimation für mögliche Verhandlungsergebnisse oder einen Abschluss des Gipfels", sagte er. Er sei "rundum zufrieden".

Die Fraktionen von Union, FDP, SPD und Grünen haben sich auf einen gemeinsamen Entschließungsantrag für die Bundestagsdebatte verständigt. Lediglich die Linkspartei schloss sich nicht an. Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Peter Altmaier, zeigte sich zuversichtlich. "Die Bundeskanzlerin wird heute mit einem klaren und ganz breiten Mandat gestärkt nach Brüssel fahren", sagte der CDU-Politiker in der ARD. Es sei dabei eine rein theoretische Frage, ob die Regierung bei der Abstimmung im Bundestag auch eine Kanzlermehrheit erreichen wird.

Notfalls mit Zwang gegen die Banken

Mit dem Entschließungsantrag wollen die Parteien unter anderem sicherstellen, dass der vereinbarte deutsche Garantierahmen von 211 Milliarden Euro für den Rettungsfonds strikt eingehalten wird. Die Brüsseler Gipfelrunde will nicht nur den Rettungsschirm weiter aufspannen, sondern auch das wirtschaftliche Überleben Griechenlands sichern. Europas Banken sollen auf einen harten Schuldenschnitt des von der Pleite bedrohten Landes vorbereitet werden - notfalls mit staatlichem Zwang und Kapital.

Schon seit dem Wochenende streiten Banken und Euro-Staaten über die Höhe des Forderungsverzichts. Diplomaten in Brüssel gingen davon aus, dass mit Ergebnissen erst beim Gipfel zu rechnen sei. Diesen Informationen zufolge sind die Banken zu einem Schuldenschnitt von 40 Prozent bereit, die Euro-Gruppe will 50 bis 60 Prozent. Zwei Optionen für die Stärkung des EFSF liegen auf dem Tisch: eine Teilabsicherung neuer Anleihen aus Risikoländern und ein Kreditsondertopf unter Einbeziehung des Internationalen Währungsfonds (IWF). Derzeit kann der Fonds maximal 440 Milliarden Euro Notkredite verleihen.

Merkel machte noch einmal klar, wie schwierig es sei, derzeit die richtigen Entscheidungen zu treffen. "Wir bewegen uns hier in einem Gebiet, in dem wir alle miteinander Neuland beschreiten", sagte sie. Bei den Verhandlungen in Brüssel sei sie ihrem Amtseid verpflichtet, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.

Im Falle Italiens hatte die EU schriftliche Reformzusagen verlangt. Ein entsprechender Brief von Ministerpräsident Silvio Berlusconi werde noch vor Beginn des Gipfels am Mittwochabend erwartet, hieß es am Mittag aus Brüssel.

Am Vorabend hatte sich die italienische Regierungskoalition in letzter Minute auf Vorschläge für Wirtschaftsreformen geeinigt. Nach Angaben von Umberto Bossi, Parteichef des Koalitionspartners Lega Nord, gab es eine vorläufige Einigung. Er sagte: "Letztlich haben wir einen Weg gefunden, wir müssen sehen, was Europa dazu sagt." Wie die Vorschläge konkret aussehen, war zunächst unklar. Bossi machte aber zugleich deutlich, dass der Juniorpartner Lega Nord weiterhin gegen die von Berlusconi angestrebte Rentenreform, und die Regierung damit weiter gefährdet sei.

Berlusconis Bildungsministerin Mariastella Gelmini erklärte am Abend im Fernsehen, man habe sich mit Bossi über die Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre geeinigt, nicht aber über mehr Dienstaltersjahre bis zur Pensionierung.

Italienische Medien heizten am Mittwoch Spekulationen um einen Rücktritt Berlusconis weiter an: Einem Bericht der römischen Zeitung La Repubblica zufolge soll Berlusconi mit Bossi in einem "geheimen Pakt" vereinbart haben, dass im März 2012 Neuwahlen stattfinden sollen. Die Lega Nord dementierte den Bericht. "Einen solchen geheimen Pakt gibt es nicht", sagte Lega-Sprecherin Nicoletta Maggi der Nachrichtenagentur dpa. "Diese Zeitungsberichte sind fabriziert worden, sie sollen die Regierung an dem Tag unterminieren, an dem Berlusconi nach Brüssel reist, um den Regierungsplan (zu Italiens Reformen) vorzustellen", erläuterte sie.

Griechenland erwartet Schuldenschnitt von 50 Prozent

In Griechenland zeichnet sich unterdessen eine Verschärfung der Regierungskrise ab: Die sozialistische Regierung von Giorgos Papandreou will die Konservativen dazu zwingen, den unpopulären Sparkurs zu unterstützen. Die Opposition hat mehrfach deutlich gemacht, dass sie der Regierung nicht helfen wolle. Finanzminister Venizelos sprach deshalb indirekt sogar von Neuwahlen.

Er erwartet einem Zeitungsbericht zufolge als Ergebnis des EU-Gipfels einen Schuldenschnitt von 50 Prozent. Entgegen dem im Juli vereinbarten Restrukturierungsplan würden die neuen Schuldverschreibungen nicht vom Stabilisierungsfonds (EFSF) garantiert. Durch den sogenannten Haircut würden die Schulden Griechenlands um etwa 102,5 Milliarden Euro sinken. Die genaue Aufteilung zwischen Bargeld und Bonds sei aber noch offen, hieß es in dem Pressebericht. Das bestätigte auch ein Insider aus der griechischen Bankenszene.

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