Süddeutsche Zeitung

Abspaltung von den USA:"Texas soll der Welt ein strahlendes Vorbild sein"

Nichts wie weg: 125.000 Texaner unterstützen eine Petition zur Abspaltung von den USA. Sie klagen, dass sich die Regierung in Washington zu sehr in ihre Belange einmische. Der Frust über Obamas Wiederwahl und dessen Forderung nach strengeren Waffengesetzen seien wichtige Faktoren, meint Sezessionist Jon Rumion - aber nicht die einzigen.

Von Matthias Kolb, Austin

Es war eine harsche Reaktion auf den Wahlsieg von Barack Obama: 125.000 Texaner unterzeichneten im Internet eine Petition, die eine Abspaltung von den USA forderte. Der Vorwurf: Washington mische sich zu sehr in das Leben der Bürger ein, vor allem Obamas Wunsch nach strengeren Waffengesetzen macht viele wütend. Der junge Sezessionist Jon Rumion kennt diese Argumente. Er selbst wünscht sich jedoch aus anderen Gründen ein freies Texas.

Der 24-Jährige weiß genau, wann er das erste Mal über eine Abspaltung seiner Heimat nachgedacht hat: "Am 15. März 2008 war ich in San Antonio. Dort stand ein Mann mit einem Plakat, der die Sezession forderte." Seine Neugier war geweckt und so hörte sich Rumion die Argumente an. "Ich habe das erst für eine verrückte Idee gehalten, doch je länger ich mich damit beschäftigte, desto sinnvoller erschien es mir", erzählt er bei einem Gespräch im Spiderhouse, einem alternativen Café in Austin.

Der Mann, der Rumion zum Sezessionismus bekehrte, heißt Larry Scott Kilgore und er ist inzwischen ein Medien-Star. Kaum waren die Siegesfeiern nach der Wiederwahl von Barack Obama vorbei, wurde auf einer für den Bürgerdialog eingerichteten Website der Antrag gestellt, der Präsident möge Texas erlauben, "sich von den Vereinigten Staaten abzuspalten und eine NEUE Regierung zu bilden". 125.000 Texaner unterstützten die Argumente (hier nachzulesen). Die Bundesbehörden würden die Freiheitsrechte der Bürger einschränken. Zudem könne der Lone Star State wirtschaftlich überleben: Immerhin wäre ein unabhängiges Texas die Nummer 15 unter den Volkswirtschaften der Welt.

Der texanische Drang nach Unabhängigkeit treibt viele um (siehe Süddeutsche.de-Wahlblog) und stets ist dabei von Kilgore die Rede. Öffentlichkeitswirksam ändert er seinen zweiten Vornamen in SECEDE (engl.: sich lossagen, trennen), klagt über die "Tyrannei der Zentralregierung" und kündigt an, 2014 als Gouverneur antreten und Texas in die Unabhängigkeit führen zu wollen. 2008 erhielt der Geschäftsmann aus Arlington, einem Vorort von Dallas, immerhin 225.000 Stimmen. "Die spinnen", denken viele Amerikaner, die Texaner für konservative, schießwütige Pick-up-Fahrer halten (mehr über Texas' besonderes Image und Bedeutung für die USA in diesem Blog-Beitrag).

"Es ist eine Graswurzelbewegung"

Obwohl viele Journalisten seine Überzeugung und die drastischen Worte ("Obama ist ein Tyrann wie Hitler und Lincoln") nicht ernst nehmen, scheuen Kilgore und seine Anhänger den Kontakt zu Medien nicht. Er fühle sich nicht missverstanden, berichtet SECEDE am Telefon: "Als ich vor acht Jahren mit der Bewegung begann, wurde ich als Spinner verlacht. Niemand hat diese Möglichkeit ernst genommen. Heute ist das anders. Die Journalisten hören mir viel genauer zu."

E-Mails beantworten die Sezessionisten schnell, und weil SECEDE gerade im Ausland ist (Pittsburgh, Pennsylvania), springt Jon Rumion ein und spricht mit dem deutschen Journalisten. Der Informatiker ist weniger radikal und kümmert sich um Kilgores Wahl-Website, dessen Social-Media-Aktivitäten und andere technische Dinge.

Rumion spricht nicht ständig von Washingtons Tyrannei, aber er schwärmt von Kilgore: "Er ist einer der wenigen Politiker, die wirklich zuhören und offen sind." Er weiß natürlich, wie groß die Vorurteile gegenüber Texas im Rest Amerikas sind. "Ich sehe es als eine Chance, den Politikern in Washington zu zeigen, wie viele Bürger unzufrieden mit ihrer Politik sind", sagt Rumion, der sich zuvor in der libertären Bewegung rund um den kauzigen Ex-Abgeordneten Ron Paul engagierte. Er will, dass die Regierung in Washington den 50 Staaten mehr Rechte überträgt und den Bürgern weniger Regeln vorschreibt.

Wie viele Anhänger SECEDE in Texas wirklich hat und wie viele für ihn Wahlkampf machen würden, kann Rumion nicht sagen: "Wir stehen am Anfang, es ist eine Graswurzelbewegung." Im Telefon-Interview gibt auch SECEDE offen zu: "Ich weiß nicht, wie viele Anhänger ich habe." Eines weiß er jedoch: Die Unterstützung sei auf dem Land deutlich größer als in den Städten.

Rumion leugnet nicht, dass die Sezessionisten sehr unterschiedliche Motive haben: Die Wut auf den "Sozialisten" Obama treibe sicherlich ebenso viele an wie das konservative Horrorszenario, dass die Regierung den Texanern ihre geliebten Waffen wegnehmen könnte (so etwa Cody Wilson, der Sturmgewehre per 3D-Drucker herstellen will). Daneben gibt es Splittergruppen wie die "Republic of Texas" oder das "Texas Nationalist Movement", die felsenfest davon überzeugt sind, dass Texas 1845 widerrechtlich von den Vereinigten Staaten annektiert worden sei.

Dennoch wäre es "ungerecht", den Aufschwung der Sezession-Bewegung in Texas und anderen Südstaaten nur auf Barack Obama zurückzuführen, meint Rumion: "Seit 60 Jahren nimmt sich die Regierung immer mehr Rechte und trampelt auf unserer Verfassung herum. George W. Bush und Clinton waren nicht besser als Obama."

Der wichtigste, erbittert ausgetragene Konflikt in Amerikas Gesellschaft, welche Aufgaben der Staat übernehmen und welche Steuerlast jeder Bürger dafür begleichen soll - er steht auch hinter der schrillen SECEDE-Bewegung. Ginge es nach Jon Rumion, dann wäre ein unabhängiges Texas "der Welt ein strahlendes Vorbild". Die neue Verfassung würde klar festschreiben, dass der Staat keine Schulden machen dürfe und die Rechte der Bürger sichern müsse. Ähnlich wie in Island sollten die Menschen viele Mitspracherechte bekommen. Der 24-Jährige, der auch in der Hackerszene aktiv ist, plädiert dafür, ein modernes Einwanderungsrecht festzuschreiben und Drogenbesitz zu entkriminalisieren.

Dies dürfte den ultrakonservativen Nationalisten ebenso wenig gefallen wie Rumions Überzeugung, dass Homosexuelle gleiche Rechte erhalten müssen: "Man muss die Steuergesetze doch nur so schreiben, dass das Wort Ehe gar nicht vorkommt." Eines scheint klar: Wenn die Bewegung um SECEDE Kilgore irgendwann über ein Parteiprogramm debattiert, dann kommt entweder ein völlig unverbindliches Dokument heraus oder es fliegen die Fetzen.

2014 soll über Abspaltung abgestimmt werden

Für Außenstehende ist der offen zur Schau getragene Patriotismus Rumions schwer zu verstehen. Natürlich sei er zunächst Texaner und dann Amerikaner, erklärt der 24-Jährige. In der achten Klasse habe er gelernt, wie etwa 200 Texaner im Jahr 1836 nahe der Missionsstadt Alamo so lange gegen die zahlenmäßig überlegene Armee Mexikos kämpften, bis Verstärkung kam - und alle für ihre Heimat starben. Die Entscheidung "Sieg oder Tod", vor die alle Männer gestellt wurden, beeindruckte Rumion: "Der Stolz ist bis heute da. Wir waren eine Republik, bevor wir 1845 den USA beitraten - das vergessen wir nicht." Der einer Pilgerfahrt ähnelnde Ausflug nach San Antonio zum Museum The Alamo ist Pflichtprogramm für alle texanischen Schüler, und Ted Cruz, der soeben gewählte republikanische Senator und Tea-Party-Liebling, zitiert "Victory or Death" bei jeder Gelegenheit, um seine Prinzipientreue zu verdeutlichen.

Im Sommer werde der Wahlkampf beginnen, sagt SECEDE: Er will erreichen, dass parallel zur Gouverneurswahl im November 2014 über eine Abspaltung Texas' abgestimmt wird. Ein entsprechender Antrag soll in diesem Sommer gestellt werden. Wie Rumion setzt der Ober-Separatist darauf, dass die öffentliche Aufmerksamkeit und das Medienecho ihrem Anliegen helfen werden.

Unter Juristen ist es hoch umstritten, ob ein Bundesstaat die USA verlassen darf. Sollten die Texaner wirklich ernst machen, müsste der Supreme Court entscheiden - und auch konservative Richter wie Antonin Scalia halten dies für unmöglich. Eine weitere offene Frage: Wie würde Gouverneur Rick Perry reagieren, wenn eine Mehrheit der texanischen Wähler dem Antrag zustimmt, der eine Sezession fordert? Als 2009 die Tea Party populär wurde, hatte der Republikaner noch mit derselben Idee geliebäugelt.

Im November aber hatte Perry, der auf eine Kandidatur für das Weiße Haus zugunsten von Mitt Romney verzichten musste, erklärt, dass er zwar frustriert über Washington sei, aber weiterhin an die "Größe der Vereinigten Staaten" glaube und keine Änderungen fordere. Doch Jon Rumion vermutet, dass sich dies im Erfolgsfall ändern werde: "Perry würde sich an die Spitze der Unabhängigkeitsbewegung stellen." Allerdings wirkt Rumion selbst so, als halte er dies nicht für sonderlich wahrscheinlich.

Der Autor twittert unter @matikolb.

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