Es sieht wie ein Komet aus, was da vom Himmel fällt. Aber es ist kein Komet. Je näher das Ding kommt, einen Feuerschweif hinter sich herziehend, desto genauer wird es erkennbar: Militärgrau. Ein schmaler Rumpf, Stummelflügel. Ein Kampfflugzeug. Wenige Augenblicke später schlägt der Flieger mit einem lauten Knall in einem Waldgebiet auf.
Roter Berg, Kızıldağ, heißt die Gegend auf Türkisch. Jenseits der Grenze nennen sie die Berge Jebel Turkman, nach der turkmenischen Minderheit in Syrien, die hier lebt. Es ist ein unruhiger Ort in einem unruhigen Land: Syrien ist Kriegsgebiet. Wenige Kilometer jenseits der türkischen Grenze kämpfen eng mit der Regierung in Ankara verbundene Rebellen gegen das Assad-Regime, gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), gegen Freischärler der kurdischen Volksbefreiungseinheiten. Und jetzt fällt hier um 9.24 Uhr ein Jagdbomber vom Himmel, Typ Sukhoi Su-24.
Bald wird sich herausstellen: Es war ein Flugzeug der russischen Luftwaffe. Und nicht eines der Syrer.
Um 10.55 Uhr veröffentlicht der türkische Generalstab eine kurze Erklärung. Die Maschine habe den türkischen Luftraum verletzt. Die Besatzung sei mehrmals gewarnt worden, zehn Mal in fünf Minuten. Dann hätten zwei F-16-Kampfjets "eingegriffen". Dort steht nicht: abgeschossen, auch wenn das zu diesem Zeitpunkt schon die wahrscheinlichste Variante ist.
Die Russen bestätigen, ihr Flugzeug sei getroffen worden, in 6000 Metern Höhe. Aber nicht aus der Luft, sondern vom Boden aus, wie es zunächst heißt. Am Nachmittag dann sagt Präsident Wladimir Putin: "Unser Flugzeug wurde über syrischem Gebiet von einer Luft-Luft-Rakete getroffen, die von einer türkischen F-16 abgefeuert wurde." Zuvor hatte Moskau schon verlauten lassen, man könne beweisen, dass die Piloten ausschließlich über Syrien unterwegs gewesen seien.
Staatschef Erdoğan hatte Moskau bereits im Oktober vor weiteren Vorfällen gewarnt
Die Türken hatten da bereits Radarbilder veröffentlicht, die belegen sollen, dass der russische Jet durch ihren Luftraum flog; dass er auf syrischem Gebiet niederging, steht dem nicht unbedingt entgegen. Die Maschine flog demnach durch einen wenige Kilometer breiten Zipfel türkischen Gebiets, das nach Syrien hineinragt. Und es dauerte etliche Sekunden, wenn nicht Minuten, bis sie am Boden aufschlug. Aussage gegen Aussage.
Der Vorfall ist ernst. Ein russisches Flugzeug soll den Luftraum eines Nato-Staates verletzt haben, und es ist nicht das erste Mal. Doch diesmal hat das Nato-Land Türkei das russische Flugzeug abgeschossen. Alarmstimmung auf allen Seiten. In Ankara trifft sich die Staatsspitze mit dem Militär zum Krisengespräch, in Brüssel treten die Nato-Botschafter zusammen, in Sotschi droht Putin mit "schweren Konsequenzen für die Beziehungen zur Türkei".
Seit September fliegen die Russen Luftangriffe in Syrien, und seither hat sich das Verhältnis zur Türkei rapide verschlechtert. In mindestens zwei Fällen verletzten russische Kampfjets den türkischen Luftraum; ein Mal gab Moskau dies zu - und schob den Zwischenfall trotz klaren Himmels auf schlechtes Wetter. Ein anderes Mal schaltete ein russischer Jet sein Feuerleitradar auf türkische Maschinen auf, die entlang der Grenze patrouillierten - er zielte also auf sie. Mehr Provokation geht kaum. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte Anfang Oktober, es handele sich bei den Luftraumverletzungen "nicht um ein Versehen". Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan warnte, beim nächsten Mal werde das Militär reagieren, und Russland werde "die Türkei verlieren".
Die Scharmützel sind nicht zuletzt Ausfluss der Tatsache, dass die Türkei und Russland im Syrienkonflikt auf unterschiedlichen Seiten stehen. Putin stützt das Regime des Gewaltherrschers Baschar al-Assad. Erdoğan, von seinem Ego und Machtstreben her Putin nicht unähnlich, will Assad aus dem Weg räumen und unterstützt die Rebellen im Nachbarland.