Abschlussreden im Wulff-Prozess:"Hohes Gericht, retten Sie die Höflichkeit!"

Christian Wulff Trial Nears End

Das Nervenkostüm schwindet. Doch Ex-Bundespräsident Wulff rechnet fest mit einem Freispruch.

(Foto: Getty Images)

"Prozesspropaganda" sagt der Staatsanwalt, "grenzenlose Verfolgungswut" heißt es von Seiten der Verteidigung: Am wahrscheinlich letzten Tag im Wulff-Prozess vor der Urteilsverkündung haben sich Staatsanwalt, Verteidiger und auch Christian Wulff noch einmal heftig attackiert. Es geht um die Ehre.

Von Annette Ramelsberger

Am Ende eines Prozesses trägt der Staatsanwalt in wohlgesetzten Worten vor, was sich alles an Beweisen für die Schuld des Angeklagten gefunden hat. Und danach entgegnet die Verteidigung, ebenfalls im Kammerton, was alles für den Angeklagten spricht. Im Verfahren gegen den zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff ist alles anders.

Da stellt sich der Staatsanwalt hin und geht den Angeklagten frontal an. "Sie, Herr Wulff, waren in den letzten zwei Jahren Opfer von Halb- und von Unwahrheiten. Ich habe mir nicht vorstellen können, wie leichtfertig Sie selbst Unwahrheiten verbreiten". Es ist ein ungewöhnlicher, ein ganz außergewöhnlicher Auftritt des Staatsanwalts. Dieser Schlussvortrag ist kein Plädoyer, er ist eine Rechtfertigung in eigener Sache.

Am Ende fehlt das Nervenkostüm

Nicht nur Wulffs Nerven sind durch dieses Verfahren wund gescheuert, auch die des Staatsanwalts. "Jagdeifer" habe Wulff ihm vorgeworfen, "grenzenlose Verfolgungswut", klagt der Staatsanwalt. Dabei habe er immer wieder Ermittlungen abgelehnt, habe bis zuletzt gehofft, den Prozess einstellen zu können.

Aber Dokumente hätten dagegen gesprochen, Dokumente, die für ihn belegen, dass Wulff seinem Freund David Groenewold als Ministerpräsident einen Gefallen tat und bei Siemens um eine Unterstützung des Films "John Rabe" bat.

" Prozesspropaganda", nennt der Staatsanwalt, was Wulff und seine Anwälte tun. Und nun geht er Wulff direkt an. "Sie haben von einer Razzia in Ihrem Wohnhaus gesprochen. Wir beide kennen die Wahrheit genau. Ich bin dort nicht gegen Ihren Willen gewesen. Sie selbst sagten mir: Jetzt ist die Luft rein, die Presse ist abgezogen. Sie können kommen. So haben wir das gemacht. Was ist daran unfair für Sie?"

Oberstaatsanwalt Clemens Eimterbäumer ist vom Ankläger zum Verteidiger geworden - seiner selbst. Er weiß, dass das Gericht nicht noch mehr Zeugen hören will, alle Anträge dazu hat der Richter schon abgelehnt. Aber die bisherigen haben den Beweis für die Korrumpierbarkeit von Wulff durch seinen Freund, den Filmproduzenten David Groenewold, nicht erbracht.

Und dennoch, wie aus Trotz, stellt der Staatsanwalt diese Anträge an diesem Tag noch einmal - er hält die Vorwürfe gegen Wulff und Groenewold für nicht genügend aufgeklärt. Er weiß, dass er auch diesmal nicht mit diesen Anträgen beim Richter durchdringen wird. Und sagt dann, er bleibe dabei, "in dem sicheren Wissen, dass es sich heute für uns um ein Auswärtsspiel handelt". Er klingt wie ein Fußballer, der in der 89. Minute 0:4 im Rückstand liegt und trotzdem auf Verlängerung hofft.

Anklage als Verschwörung parteiinterner Feinde

Um im Bild des Staatsanwalts zu bleiben: Die Wahrheit liegt in diesem Spiel nicht unbedingt auf dem Platz, sprich im Gerichtssaal. Die Verteidiger von Wulff und Groenewold werfen der Staatsanwaltschaft vor, sie habe sich von sachfremden, von "politisch-opportunistischen" Gründen leiten lassen. Wulff und seine Leute sehen eine politische Verschwörung hinter der Anklage, betrieben von parteiinternen Feinden Wulffs.

Und Wulff selbst wird in seinem Schlusswort ganz deutlich: "Ich mache Ihnen selbst keinen Vorwurf", sagt Wulff zu Eimterbäumer. "Ich glaube, dass Ihr Dienstvorgesetzter Dr. Lüttig am Anfang auf den falschen Baum geklettert ist und dass er immer höher geklettert ist und dass er nun fremder Hilfe bedarf, damit er da wieder runtergeholt wird." Frank Lüttig ist der Generalstaatsanwalt von Celle und er hatte schon vor Wochen angedeutet, dass man über eine Revision nachdenke.

Wulff ist nun aufgestanden für sein Schlusswort, er ist sich sehr sicher, dass für ihn der nächste Donnerstag ein Tag des Triumphs wird. Da soll das Urteil ergehen. Er hoffe, dass sich dann die Wogen glätten, "mit dem Urteil, das wir erwarten können". Und auch er wendet sich direkt an Eimterbäumer: "Ich habe die letzten beiden Jahre nicht als Spiel, auch nicht als Heimspiel empfunden." Die ganze Anklage habe sich auf "klar auf der Hand liegende falsche Vermutungen" gestützt. Er sei froh, in einem Rechtsstaat zu leben. "Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass jetzt endlich Recht gesprochen wird."

"Das ist ein Angriff auf die Ehre unseres Mandanten."

Die Anwälte von Wulff und Groenewold hatten zuvor Freispruch für beide Angeklagten gefordert. "Ein Ministerpräsident riskiert nicht Kopf und Kragen für 770 Euro für ein Oktoberfestwochenende - und das als erklärte und gelebte Spaßbremse, was den Alkohol angeht", sagt Wulffs Anwalt Bernd Müssig. 770 Euro - soviel hat Groenewold nach Berechnung der Staatsanwaltschaft für ein Wiesnwochenende im September 2008 für Wulff übernommen.

Die Argumente der Verteidigung zusammengefasst: Wulff habe gar keinen Vorteil gehabt, denn er habe die Hotelkosten bei der Staatskanzlei Hannover abrechnen können. Die Einladung aufs Oktoberfest sei "sozial adäquat". Der Ministerpräsident von Niedersachsen habe geradezu die Pflicht, sein Land zu repräsentieren. Und auch ein Ministerpräsident dürfe sich von Freunden mal einladen lassen und Groenewold sei ein enger Freund gewesen, sogar der Erste am Wochenbett von Bettina Wulff.

Die Staatsanwaltschaft habe die Freundschaft zwischen Wulff und Groenewold als "Intereressenlobbyismus" denunziert. "Das ist ein Angriff auf die Ehre unseres Mandanten." Außerdem habe sich Wulff schon immer für Filme und das Thema John Rabe in China interessiert, es sei da kein Zusammenhang mit der Einladung auf die Wiesn durch seinen Freund zu konstruieren. "Die Vorwürfe grenzen an verleumderische Unterstellung", sagt Anwalt Michael Nagel. "Hohes Gericht, retten Sie die Höflichkeit!"

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