Abschied von Johannes Paul II.:Das Amen und ein später Glockenschlag

Der Papst starb, wie er gelebt hatte - inmitten der Massen und doch ganz für sich. Abschiedsszenen am Krankenbett im Vatikan und die Ergriffenheit der Pilger: Wie in Rom die Menschen das Ende des Heiligen Vaters erleben.

Von Christiane Kohl

Wie ein melodisches Rauschen umhüllten viele tausend Stimmen den Petersplatz, während sich im Zimmer des Papstes die Stille einnistete.

Abschied von Johannes Paul II.: Melodisches Rauschen: Gläubige wie Schaulustige auf dem Petersplatz.

Melodisches Rauschen: Gläubige wie Schaulustige auf dem Petersplatz.

(Foto: Foto: ddp)

Hinter abgedunkelten Fenstern im dritten Stock des Apostolischen Palasts lag Johannes Paul II. in seinem Bett, ihn umgaben die polnischen Getreuen. Kardinal Marian Jaworsky war dabei, Erzbischof Stanislaw Rylko, Wojtylas enger Freund, Bruder Tadeusz Styczen, und natürlich der Sekretär Stanislaw Dziwisz und dessen Vertreter Mieczyslaw Mokrzyczki.

Gemeinsam mit den vier polnischen Schwestern des päpstlichen Haushalts hatten sie in Anwesenheit der behandelnden Ärzte noch eine letzte Messe für Karol Wojtyla gefeiert, derweil unten auf der Piazza ein Meer von Kerzen brannte und an die 100.000 Menschen das Ave Maria murmelten.

Plötzlich schien es einigen Anwesenden im Schlafgemach, als habe der Papst sich noch einmal bewegt in seinem Bett - im nächsten Moment, die Uhr zeigte 21.37 Uhr, war Karol Wojtyla am Samstagabend verschieden. Wenig später wurden in dem Zimmer die inneren Fensterläden geöffnet, weshalb man unten auf der Piazza den Eindruck haben konnte, als habe droben jemand ein grelles Neonlicht angeknipst. Es war ein erstes inoffizielles Zeichen für den Tod - doch das nahm zunächst kaum jemand wahr.

"Ins Haus des Vaters zurückgekehrt"

Erst als Minuten später die SMS-Meldungen kursierten, Handys klingelten und Taschenradios übers Pflaster quäkten, wurde die Nachricht auf dem Petersplatz offenbar.

Da war auch schon Monsignor Leonardo Sandri ans Mikrofon getreten, der bislang im Vatikan als eine Art Innenminister fungierte: Der Papst sei "ins Haus des Vaters zurückgekehrt", verkündete der Geistliche den Wartenden auf der Piazza und damit auch den Fernsehzuschauern in aller Welt.

Und so starb der Papst, wie er gelebt hatte - inmitten der Massen und doch ganz für sich.

Das Gesicht entspannt

Schon am Sonntagmittag konnten Millionen Fernsehzuschauer den Leichnam seiner Heiligkeit gleichsam hautnah in Augenschein nehmen. Wojtylas sterbliche Überreste waren in der prachtvollen Sala Clementina aufgebahrt, wo enge Mitarbeiter, Kardinäle und die Angehörigen des Diplomatischen Korps Abschied von ihm nahmen - und die Kameras waren zumindest vorübergehend mit dabei.

Ruhig lag der Körper da, das Gesicht wirkte entspannt. Kopf und Schultern waren eigens ein wenig erhöht gelagert, so dass man den Leichnam gut betrachten konnte. Noch in der Nacht hatten ihn die polnischen Schwestern in einen roten Talar gehüllt - rot, die Farbe des Martyriums. Als Zeichen des Priestertums wurde Wojtyla überdies die weiße Stola mit den schwarzen Kreuzen umgetan, auf den Kopf hatten die Schwestern seine Mitra gesetzt.

Eine Bekleidung ganz nach alter Vorschrift. Was jedoch die Überbringung der Todesnachricht an die Gläubigen betraf, so wirbelte die Mediengesellschaft einige der hergebrachten Riten kräftig durcheinander.

Da war die Nachricht plötzlich schon verkündet, noch bevor ihr Inhalt nach dem gültigen vatikanischen Reglement überhaupt festgestellt worden war. Und so kam es, dass in der ganzen Welt bereits die Kirchenglocken für den toten Pontifex läuteten, nur im Petersdom noch nicht. Eine skurrile Ungleichzeitigkeit, die sich aus dem komplizierten Vorschriftenwerk zur Todesfeststellung erklärt.

Das Ritual geht auf uralte Traditionen zurück, doch wie vieles andere, so hatte es Johannes Paul II. mit seiner 1996 herausgegebenen Anordnung "Universi Dominici Gregis" gründlich modernisiert. So musste der "Camerlengo", der so genannte Kardinalskämmerer, den Tod des Papstes in früheren Zeiten mittels eines Hämmerchens aus Silber und Elfenbein feststellen.

Dreimal wurde mit diesem Gerät dem Heiligen Vater gegen die Stirn geklopft, wenn er dann nicht reagierte, galt er als tot.

Als der Camerlengo vernehmlich zweimal "Karol" rief

Als Eduardo Martinez Somalo, der amtierende Camerlengo, am Samstagabend in das päpstliche Schlafzimmer kam, hatte er kein Hämmerchen dabei. Stattdessen trat der 78-jährige Spanier, der ein langjähriger und guter Freund von Wojtyla war, ganz zivil ans Totenbett und rief zweimal vernehmlich: "Karol".

Als der Papst nicht reagierte, wurde der Leibarzt beauftragt, den Tod festzustellen. Erst dann konnte sich Martinez Somalo daran machen, gemeinsam mit Erzbischof Piero Marini, dem päpstlichen Zeremonienmeister, und Enrico Serafini, dem Kanzler der Päpstlichen Kammer, die weiteren vorgeschriebenen Formalitäten zu erledigen, zu denen auch das Brechen des päpstlichen Siegels gehört.

Um 22.38 Uhr war dann alles soweit. Längst hatte die Mediengesellschaft weltweit die Nachricht vom Tod des Papstes wahrgenommen, da begann endlich die uralte, riesige Glocke im Petersdom zu läuten. Langsam und gemächlich wurde sie in Bewegung gesetzt, anfangs schien der Ton zu schwanken, die Schläge kamen aus dem Rhythmus - kein Wunder: Das letzte Mal war die Glocke vor beinahe 27 Jahren beim Tod von Wojtylas Vorgänger Johannes Paul I. in Gang gesetzt worden.

Dumpf schwang jeder einzelne Glockenschlag in düsteren Wellenbewegungen nach, und fast sah es so aus, als zuckten viele Menschen jedes Mal zusammen, wenn der Ton erklang - nun schien es jedermann hautnah zu spüren: Karol Wojtyla war tot.

Ein Papst, der ein Mann des Volkes war, ein Menschenfischer im Sinn des Wortes. Das hatte sich nicht zuletzt in den letzten Augenblicken seines verlöschenden Lebens gezeigt: Aus allen Richtungen waren die Menschen am Wochenende zum Vatikan geströmt, die Römer kamen zu Fuß oder mit dem Bus, Besucher aus der Ferne reisten im Zug oder Flugzeug an.

Das Amen und ein später Glockenschlag

Bald war das dem Vatikan benachbarte Stadtviertel vom Autoverkehr total blockiert, die Sirenen von Ambulanzwagen heulten. Doch rund um den Petersplatz spielten sich am Samstag Szenen wie bei einem fröhlichen Volksfest ab: Da schoben, bei strahlendem Sonnenschein, Mütter ihre Kinderwagen vor sich her, Familien nahmen einen Kaffee in der Bar, während die Kleinen ein Eis schleckten.

Abschied von Johannes Paul II.: Kardinal Joseph Ratzinger.

Kardinal Joseph Ratzinger.

(Foto: Foto: AP)

Der Petersplatz war plötzlich eine römische Piazza geworden: Junge Leute spielten Gitarre, andere sangen oder applizierten selbstgebastelte Fotokollagen mit Papstbildern auf das Pflaster.

Als sich dann am Samstag die Abenddämmerung senkte, sah es wie bei einem Friedens-Biwak aus. Längst hatten sich viele junge Leute auf den Boden niedergelassen, andere lehnten sich an ihre eingerollten Thermo-Matten. Und während alte Frauen, die Betformeln flüsternd, den Rosenkranz durch die Finger gleiten ließen, sah man junge Männer mit ihren Handys spielen. Überhaupt dürften die Handys auf dem Petersplatz an diesem Tag weit zahlreicher vertreten gewesen sein als die Gebetbücher.

Gläubige und Schaulustige

Da wurde telefoniert und fotografiert, ob Gläubige oder Schaulustige - die Übergänge schienen fließend zu sein. Und doch standen und saßen da Tausende andächtig ins Gebet vertieft. Dass es vor allem junge Leute waren, soll selbst der Papst in seinem Sterbezimmer noch bemerkt haben.

Freitagabend, so berichtete jedenfalls Vatikan-Sprecher Joaquin Navarro-Valls, habe Johannes Paul plötzlich noch einmal zu sprechen begonnen. "Ich habe euch gesucht, jetzt seid ihr zu mir gekommen", sollen seine Worte gewesen sein. "Ich danke euch dafür."

Ein Vermächtnis an die Jugend, ob der Papst es tatsächlich noch persönlich ausgesprochen hat, wird man nie erfahren. Nach den Erklärungen des Vatikansprechers wurden die schwer verständlichen Worte von Wojtylas Mitarbeitern "rekonstruiert". Wie Navarro-Valls überdies erklärte, soll der Papst auch noch am frühen Samstagmorgen wache Momente gehabt haben.

Vatikanmitarbeiter wollen hingegen erfahren haben, dass Wojtyla bereits am Freitagabend gegen 18.30 Uhr in einen Zustand der Bewusstlosigkeit gefallen war, aus dem er nicht mehr aufgewacht sein soll.

Mit der Präzision eines Skalpells hatte der studierte Mediziner Navarro-Valls seine Erklärungen formuliert, die er in gewissen Abständen zum Gesundheitszustand des Papstes herausgab: Da war von einem Kreislaufkollaps die Rede, von Nierenversagen, schließlich von Zuständen der Bewusstlosigkeit und ganz zuletzt von hohem Fieber.

Unterdessen wurden, einer nach dem anderen, die engsten Mitarbeiter des Papstes ans Krankenbett gerufen: Es hieß Abschied nehmen. Mancher bekam sogar die besondere Ehre eines zweitens Termins. So der deutsche Kardinal Joseph Ratzinger, der zunächst am Freitagmorgen bei Wojtyla war und dann kurz vor Mitternacht noch einmal in der päpstlichen Wohnung gesichtet wurde - Wojtyla schätzte den Präfekten der Glaubenskongregation außerordentlich.

Schlüsselrolle für Kardinal Ratzinger

Seit dem Tod des Papstes kommt dem Deutschen nun eine Schlüsselrolle zu: Als Dekan des Kardinalskollegiums leitet er die allgemeine Kongregation der Kardinäle, die nun an die Stelle der Kurie getreten ist. Denn mit dem Ableben des Papstes mussten nach dem gültigen Reglement alle Spitzen der Kurie von ihrem Amt zurücktreten.

Die täglichen Geschäfte führt seitdem Kardinalskämmerer Martinez Somalo, wichtige Entscheidungen über den weiteren Gang der Dinge, von der Beerdigung bis zum Konklave, trifft die Kardinalskongregation.

Die Beerdigung ist nicht vor Donnerstag geplant, zuvor sollen auch die gewöhnlichen Gläubigen noch Abschied nehmen können. Rom erwartet einen Besucheransturm wie nie zuvor - es sollen zwei Millionen Menschen kommen.

Indes sind die Kirchen rund um den Petersplatz schon jetzt ständig überfüllt, ganz besonders das kleine Gotteshaus, das in einer Parallelstraße der Via Concilianzione liegt, jener Hauptstraße zum Petersdom.

Hinter einer schlichten Barockfassade liegt ein reich mit Fresken verziertes Kirchenschiff versteckt. In der Chiesa Santo Spirito in Sassia wird viel polnisch gesprochen und gesungen, die Gläubigen verehren eine Krakauer Nonne: Faustina Kowalska. Der Papst hatte die Frau vor einigen Jahren heilig gesprochen.

Noch einmal eine Bewegung

Damals führte er auch ein, dass der erste Sonntag nach Ostern der Göttlichen Barmherzigkeit gedacht werden soll. "Ein sehr wichtiger Tag für den Papst", hatten Mitarbeiter in den letzten Tagen immer wieder erklärt. Und so rechneten manche Geistliche im Vatikan damit, dass Johannes Paul erst am Sonntag sterben würde - ganz im Zeichen der göttlichen Barmherzigkeit.

Erzbischof Rylko hatte für den Sonntagmorgen eigens eine Messe in der Chiesa Santo Spirito angesetzt, um noch einmal für seinen großen Landsmann zu beten. Es wurde eine Totenmesse daraus, doch Rylko hatte gleichsam Informationen aus erster Hand zu bieten, schließlich war er am Abend zuvor dabei gewesen, als der Papst in seinem Schlafzimmer verstorben war.

Hernach erzählte man sich in der polnischen Gemeinde noch viel über die letzten Minuten des Papstes. Da hieß es, dass er sich noch einmal bewegt haben soll, nach links in Richtung des Fensters, das zum Petersplatz weist. Abgemagert habe er ausgesehen, doch irgendwie im Stillen betend. Und dann will einer der Anwesenden eine Lippenbewegung gesehen haben - wie das Wort "Amen".

Auch wo der Papst beerdigt werden wird, scheinen seine polnischen Getreuen schon zu wissen. So feierte Kardinal Jaworski, der ebenfalls am Totenbett saß, vor einigen Tagen eine Messe in einer entlegenen Kapelle, die sich in der Krypta des Petersdoms befindet.

Dort hinunter führt eine marmorne Wendeltreppe, dann kommt man vorbei an einigen hundert Jahren Vatikangeschichte, die hier in Stein gemeißelt ist. Man sieht die marmorne Skulptur von Pius XI. auch Johannes Paul I., Wojtylas Vorgänger, ist da, sein Grabstein ist mit einem frischen Tulpenstrauß geschmückt.

Viele Päpste liegen hier begraben, von Wojtyla heißt es, dass er gern in jener Kapelle zu liegen kommen wolle, in der Kardinal Jaworski jüngst die Messe feierte. Sie ist der Schwarzen Madonna von Tschenstochau gewidmet - mithin gleichsam ein Stück polnische Erde in den Katakomben des Petersdom.

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