Süddeutsche Zeitung

Asyl:Das Problem lässt sich nicht abschieben

Nach dem Messerangriff von Dresden will Horst Seehofer den Abschiebestopp für Syrer überprüfen. Der Innenminister verwechselt hier die Asylpolitik mit der Bekämpfung des Extremismus.

Kommentar von Constanze von Bullion, Berlin

Einer für alle, alle für einen - so lässt sich etwas zynisch zusammenfassen, was der Bundesinnenminister nach der Messerattacke von Dresden vorgeschlagen hat. Weil ein 20 Jahre alter syrischer Flüchtling zwei Touristen niedergestochen und einen von ihnen getötet haben soll, will Horst Seehofer den Abschiebestopp nach Syrien überprüfen lassen. Der Vorschlag ist offensichtlich dem Wunsch geschuldet, ein Exempel zu statuieren für straffällig gewordene Flüchtlinge und Gefährder. Kollektivstrafen oder gar Sippenhaft aber sind mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar. Der Vorstoß ist zum Scheitern verurteilt.

Richtig ist, dass die Tat von Dresden Deutschland aus trügerischer Ruhe gerissen hat. Denn während das Land um Corona kreist und die Sicherheitsbehörden ihr Augenmerk immer stärker auf Rechtsextremisten richten müssen, geraten andere Problemfelder aus dem Blick: unzureichend integrierte jugendliche Straftäter, radikalisierte Extremisten oder islamistische Gefährder, die in freiheitlichen Demokratien keine Schutzmacht, sondern einen ideologischen Feind sehen. Sie in die Schranken zu weisen, auch einzusperren oder - wo möglich - wieder zurückzuholen in den Kreis der Friedfertigen bleibt eine Aufgabe, die enorme Anstrengungen erfordert. Das hat auch der brutale Mord an einem Lehrer in Frankreich gezeigt.

Die Bekämpfung des Extremismus darf aber nicht verwechselt werden mit der Asylpolitik. Seehofer vermischt hier unzulässigerweise zwei Felder. Wer schwere Straftaten begeht in Deutschland, kann grundsätzlich zwar leichter ins Herkunftsland abgeschoben werden, auch wenn es sich um ein gefährliches Land wie Afghanistan handelt. Immer aber muss eine solche Rückführung individuell begründet sein, also mit der vom Abzuschiebenden zu verantwortenden Straftat. Ihren Schutzanspruch als Flüchtling haben solche Menschen nach gesetzlicher Lesart dann verwirkt.

Aber auch solche Rückführungen finden ihre Grenzen, und das zu Recht. Wo Leib und Leben gefährdet sind oder den Rückkehrern Demütigung oder schweres Leid drohen, verbietet der Gesetzgeber Abschiebungen. Zudem hat Corona den Freunden rigoroserer Abschiebungen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Rückführungszahlen brechen regelrecht ein. An Massenabschiebungen ist derzeit nicht zu denken.

Im Fall der Syrer, die Seehofer so gern wieder loswürde, sprechen zudem ungewöhnlich hohe Asyl-Anerkennungsquoten gegen eine neue Strategie des Rauswerfens. Fast 60 Prozent von ihnen steht Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention zu, dagegen kann auch die Bundesregierung nicht an. Die übrigen 40 Prozent, die eingeschränkten Schutz genießen, können aus humanitären Gründen nicht zurückgeschickt werden in ein Land, das ein mörderischer Diktator ohne Erbarmen zugrunde richtet. Syrien ist vieles, aber kein sicherer und menschenwürdiger Ort, auch nicht in Teilen. Mit eingereisten Straftätern aus dem Land Assads kann und muss Deutschland allein fertigwerden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5091479
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.