Flüchtlinge:Dürfen Syrer abgeschoben werden?

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Da Syrien nicht kooperiert, muss ein Krimineller eine direkte Abschiebung zurzeit ebenso wenig fürchten wie eine unbescholtene Familie. (Foto: Boris Roessler/dpa)

Wer aus dem Bürgerkriegsland nach Deutschland geflohen ist, bekommt hier Schutz. Bisher jedenfalls. Ein Gerichtsurteil liefert der politischen Debatte darüber nun neuen Zündstoff.

Von Constanze von Bullion, Paul-Anton Krüger, Christian Wernicke, Berlin/Düsseldorf

Es ist ein Satz, so kurz und knapp, als gebe in der Angelegenheit keine Zweifel. „Der kann hier keinen Schutz haben“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch in seiner Sommer-Pressekonferenz. Gemeint war ein Syrer, der sich in Deutschland durch mehrere Instanzen geklagt hat. Anders als die meisten seiner Landsleute erhält er keinen Schutz in Deutschland, weil er wegen der Schleusung Geflüchteter verurteilt worden ist. „Wer als Schleuser tätig ist, kann auch nach Syrien zurück, selbstverständlich“, fügte Scholz noch an. Damit geht die Debatte über Abschiebungen in Kriegs- und Krisenstaaten in die nächste Runde. Nur – ganz so einfach wie vom Kanzler dargestellt, wird die Sache wohl nicht werden.

Begonnen hatte der Disput über Abschiebungen in Kriegsländer schon vor Wochen, nach der Tötung eines Polizisten in Mannheim. Tatverdächtig ist ein Afghane. Nach der brutalen Messerattacke kündigte Scholz an, „Schwerstkriminelle“ wieder in Bürgerkriegs- und Terrorländer wie Afghanistan und Syrien abschieben zu wollen. Derzeit sind solche Abschiebungen ausgesetzt. Die Bundesregierung werde hier neue Wege suchen, auch über Nachbarländer. Ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster gibt der Debatte nun neuen Schub.

In Syrien sehen die Richter „keine ernsthafte, individuelle Bedrohung“

Denn das Gericht hat die Klage eines Syrers abgewiesen, der in Deutschland weder einen Flüchtlingsstatus erhält noch subsidiären Schutz. Letzterer steht Menschen zu, die im Herkunftsland zwar nicht persönlich verfolgt werden, wohl aber bei einer Rückkehr unmenschliche Behandlung oder gar um ihr Leben fürchten müssten. Etwa 240 000 Syrerinnen und Syrer lebten laut Zahlen des Ausländerzentralregisters Ende 2023 mit subsidiärem Schutz in Deutschland, rund 360 000 hatten einen höherwertigen Flüchtlingsstatus.

Besagtem Syrer aber hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) den Schutz aberkannt. Nach mehreren Gerichtsverfahren entschied nun auch das OVG Münster gegen den Mann. Eine schriftliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor, nur eine Presseerklärung des Gerichts. Darin werden zweierlei Begründungen für die Abweisung der Klage genannt.

Der erste ist eher außenpolitischer Natur: „Für Zivilpersonen besteht in Syrien keine ernsthafte, individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“, heißt es da. Zum zweiten sei der Kläger „an der Einschleusung von Personen aus der Türkei nach Europa beteiligt“ gewesen und deshalb in Österreich zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Damit sei sein Schutzanspruch verwirkt.

Nun ist es nicht ungewöhnlich, dass ein verurteilter Asylbewerber härter angepackt wird als unbescholtene Landsleute. Im „Rückführungsverbesserungsgesetz“ hat die Bundesregierung zudem das Strafmaß für gewerbsmäßige Schleusungen erhöht. Die Beteiligung an solchen, oft lebensgefährlichen Transporten, kann als „besonders schweres Ausweisungsinteresse“ gewertet werden, ab einer Haftstrafe von einem Jahr.

Der Kanzler nahm das Urteil zum Anlass einer Ankündigung

Das trifft für den Syrer laut OVG Münster zu. Bis hierher ist die Entscheidung also wenig überraschend. Schon ungewöhnlicher ist der grundsätzliche Ton, mit dem das Gericht erklärt, Abschiebungen nach Syrien seien gefahrlos wieder möglich: Der Islamische Staat verübe dort zwar „gelegentlich Anschläge“. Die Auseinandersetzungen erreichten jedoch kein Niveau mehr, bei dem Zivilpersonen damit rechnen müssten, wahrscheinlich „getötet oder verletzt zu werden“.

Der Kanzler nahm das Urteil zum Anlass anzukündigen, was Unionsvertreter aus den Ländern seit Langem fordern. „Wir werden Abschiebungen insbesondere von Straftätern nach Afghanistan, aber auch in andere Länder wie Syrien vornehmen und bereiten vor, dass das auch tatsächlich geschieht“, sagte Scholz am Mittwoch.

Die Umsetzung allerdings dürfte schwierig werden. Nach Syrien kann aus Deutschland derzeit niemand abgeschoben werden, auch kein Straftäter. Es gibt in dem Kriegsland weder eine deutsche Botschaft noch Direktflüge noch Sicherheit für begleitenden Bundespolizisten. Nur einzelne terroristische Gefährder oder verurteilte, schwerkriminelle Syrer wurden rückgeführt, allerdings nur in Nachbarländer Syriens, heißt es im Bundesinnenministerium.

Das Auswärtige Amt hat andere Erkenntnisse

Zudem kommt das Auswärtige Amt zu anderen Erkenntnissen über die Sicherheitslage als die Richter in Münster. In allen Landesteilen Syriens komme es „weiterhin zu Kampfhandlungen unterschiedlicher Intensität“, heißt es dort. Zudem lägen glaubwürdige Berichte über teils schwerste Menschenrechtsverletzungen vor, darunter Folterpraktiken und Hinrichtungen, von denen in der Vergangenheit auch Rückkehrer betroffen gewesen seien. Auch die UN sei daher der Auffassung, dass „die Bedingungen für eine sichere Rückkehr von Geflüchteten nicht gegeben sind.“

Das Auswärtige Amt betrachtet sich im Übrigen als geeignete Instanz, die Sicherheitslage in Staaten wie Syrien grundsätzlich zu bewerten, im jährlichen Asyllagebericht. Darin werden den Innenbehörden und Verwaltungsgerichten abschiebungsrelevante Tatsachen darlegt, etwa zur Sicherheitslage und dem Risiko politischer Verfolgung. Das Ministerium nimmt dabei aber keine rechtliche Wertung vor, sie obliegt Innenbehörden und Gerichten, die sich auch auf andere Erkenntnisse stützen können. So war es wohl auch in Münster.

Dass Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sich nun querstellt, um Abschiebungen nach Syrien zu verhindern, steht allerdings eher nicht zu erwarten. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung hatte sie kürzlich Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien nicht kategorisch ausgeschlossen: Schwerverbrecher hätten nach der Verbüßung ihrer Strafe in Deutschland nichts verloren.

Die nächste zu klärende Frage ist: Kann der Schleuser, der nun im Münster abgewiesen wurde, verurteilten Mördern und Terrorverdächtigen gleichgesetzt werden, die mit Abschiebung auch in Kriegszonen zu rechnen haben? Auch im Bundesinnenministerium vermochte das bisher niemand zu sagen. Man warte zunächst die schriftliche Urteilsbegründung ab.

Jutta Bartels, die Anwältin des Klägers, bestätigt der SZ, dass ihr Mandat 2016 bis 2017 ungefähr 20 Monate in Haft gesessen habe. Ein österreichisches Landgericht habe es erwiesen angesehen, dass der Syrer vor 2015 an der Schleusung von ungefähr 220 Menschen in vier Transporten von der Türkei nach Österreich mitgewirkt habe. Ihr Mandant bestreite dies bis heute. Nach seiner Haftentlassung hatte der heute 40-Jährige vor sieben Jahren einen neuen Asylantrag in Deutschland gestellt. Der Mann lebt bis heute mit seiner türkischen Ehefrau und drei Kindern in Münster, wo er in einem Kiosk am Bahnhof arbeitet. Laut der Anwältin Bartels genießt der Syrer derzeit Abschiebeschutz.

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