Abschiebungen:Misstrauen für Fortgeschrittene

A prisoner participates in a carpet weaving training session at the high security prison in Babar, in Khenchela province

Läuft in algerischen Gefängnissen alles nach Recht und Gesetz ab? Ein Häftling beim Teppichweben.

(Foto: Zohra Bensemra/Reuters)
  • Islamisten dürfen nicht in Länder abgeschoben werden, in denen ihnen Folter droht - doch ob das der Fall ist, ist nicht immer eindeutig zu klären.
  • Die Versprechen von Staaten wie Tunesien oder Algerien reichen deutschen Gerichten oft nicht.
  • Das Misstrauen führt zu Verstimmungen in den diplomatischen Beziehungen.

Von Georg Mascolo und Ronen Steinke

Es ist eine Frage des Vertrauens. Wie immer. Darum dreht sich dieser ganze Streit, das ganze Hin und Her zwischen Behörden und Gerichten im Fall von Sami A., dem angeblichen Ex-Leibwächter des Terroristenführers Osama bin Laden. Die Frage lautet: Kann man dem tunesischen Staat, dieser jungen Demokratie, vertrauen? Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat Zweifel. Tunesien habe zwar hehre Versprechungen abgegeben, dass man nicht foltere. Das alleine, fanden die Richter, sei aber nicht viel wert.

Es ist eine einfache Frage, auf die es keine einfache Antwort gibt: Wie viel Misstrauen bleibt angebracht, wenn Sicherheitsapparate ferner Länder sich wortreich zu Menschenrechten bekennen? Die Frage muss sich der Rechtsstaat immer wieder stellen, wenn er Islamisten in ihre Heimat zurückschicken will. In den vergangenen Monaten ist das immer öfter geschehen. 91 Islamisten hat Deutschland seit Anfang 2017 abgeschoben, es ist eine große Welle gewesen, und die Liste derjenigen, die man loswerden will, ist noch lang.

Deutschland schiebt nicht ab, wenn Todesstrafe oder Folter drohen

Über elf tunesische Islamisten diskutierte unlängst auf einer Sondersitzung die für Abschiebungen zuständige Arbeitsgruppe "Status" im Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrum. Sami A. war nur einer von ihnen. Die Liste der hauptbetroffenen Staaten ergibt sich aus einer vertraulichen Statistik des Bundeskriminalamts: Algerien, Marokko, Russland, die Türkei, generell wird in fast alle Staaten abgeschoben, selbst in den Irak und nach Afghanistan. Vor allem Syrien gilt als unmöglich. Aus diesem Land kommt die größte Gruppe, es sind mehr als 100 Gefährder.

Aber das Prinzip heißt: Deutschland schiebt nicht ab, wenn Todesstrafe oder Folter drohen. Das ist ein Kernsatz des Rechtsstaates, darüber wachen die Gerichte bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht. Das ist letztlich der häufigste Grund, warum eine Abschiebung nicht gelingt.

Bei der Abschiebung von Islamisten, so heißt es in Berlin, befinde man sich in einer "doppelten Bittsteller-Rolle". Einerseits verlangt Deutschland: Nehmt eure Islamisten zurück. Schon dies hören Staaten wie Tunesien nicht gern, sie haben oft selbst große Probleme mit gefährlichen Radikalen. Andererseits pochen deutsche Behörden darauf: Bevor ihr sie zurücknehmt, versichert uns erst einmal, dass ihr sie rechtsstaatlich behandelt. Diese Kombination komme selten gut an. Die diplomatischen Verhandlungen gelten als überaus heikel.

Amnesty International sieht Fortschritte in Tunesien

Vor allem wenn man eine Garantie verlange, dass nicht gefoltert werde, würden Staaten wie Tunesien das als Misstrauen werten. "Die fühlen sich in ihrer Ehre gekränkt", sagt ein mit dem Thema befasster Spitzenbeamter. "Einerseits wollen wir sie als sichere Herkunftsstaaten einstufen, andererseits verlangen wir in diesen Fällen detaillierte Erklärungen." Zudem würden Gerichte oft auf unterschiedliche Formulierungen bestehen. Viele der mit diesen Dingen beschäftigten Beamten fragen sich nun, welchen Schaden die Causa Sami A. nicht nur am Verhältnis von Behörden und Justiz in Deutschland hinterlassen wird, sondern auch am Verhältnis zu Tunesien und all den anderen Ländern, in die Islamisten abgeschoben werden sollen.

"Auf dem Papier sind das alles Rechtsstaaten", sagt Nora Markard, die an der Hamburger Universität Migrationsrecht lehrt. Besonders in Tunesien klingen die Gesetze modern. "Entscheidend ist aber die Wirklichkeit." Der gute Wille der heutigen tunesischen Regierung wird im Westen durchaus anerkannt. Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sieht Fortschritte. Im Sicherheitsapparat aber herrsche oft noch der Ungeist des früheren autoritären Regimes.

Deutsche Gerichte sind oft misstrauisch

Deshalb sind deutsche Gerichte oft misstrauisch. Es wächst erst langsam Vertrauen. In einem entscheidenden Fall ging es um einen tunesischen Islamisten, der in Frankfurt in Haft saß, Haykel S., 38 Jahre alt. Nur widerwillig entsprach Tunesien der Bitte der deutschen Justiz, sich vor dessen Abschiebung ausdrücklich zu den Prinzipien des Rechtsstaats zu bekennen. Tunesien wies schlicht auf sein geltendes Recht hin. In einer Verbalnote vom 11. Juli 2017 versicherte das tunesische Außenministerium, dass sich die Behörden "im Rahmen ihrer Verbundenheit mit den demokratischen Werten zur Wahrung der in der neuen tunesischen Verfassung festgeschriebenen Menschenrechte und Grundfreiheiten verpflichten". Was sonst?

Dass Tunesien sich überhaupt dazu bereit zeigte, den Deutschen eine solche Zusicherung zu geben, lag vielleicht an einer Besonderheit dieses Falles. An einer Abschiebung dieses Islamisten war Tunesien ausnahmsweise selbst interessiert. Gegen ihn bestanden in Tunesien mindestens vier Haftbefehle, er soll "Planer und Organisator" des Anschlages auf das Bardo-Museum in Tunis im Jahr 2015 gewesen sein. Vor zwei Monaten dann nahm das Bundesverfassungsgericht den Fall zum Anlass, den Tunesiern Vertrauen auszusprechen, zumindest im Grundsatz; das hat die Abschiebungen seither deutlich erleichtert. Die Karlsruher Richter gaben sich zufrieden, wenn Tunesien verspricht, es werde abgeschobene Islamisten nicht foltern. Wenn dies in Form einer diplomatischen Verbalnote geschieht, gilt eine Art Vertrauensvorschuss. Nach internationalem Usus, so meinen die Richter, spreche dann einiges dafür, dass der Staat sich daran hält.

Häftlinge in Algerien berichteten in der Vergangenheit von Folter

Wenn aber Zweifel bleiben? Dann gilt die Faustregel: Je konkreter ein Versprechen ist, desto glaubwürdiger. So war es jüngst im Fall eines Algeriers. Da beschaffte der Präsident der Bundespolizei, Dieter Romann, eine schriftliche Zusicherung seines algerischen Amtskollegen, des Polizeigenerals Abdelghani Hamel. Es war eine Art persönlicher Schutzbrief. Der Polizeigeneral verbürgte sich für die ordnungsgemäße Behandlung des in Bremen lebenden Algeriers Oussama B. Damit gab sich das Bundesverwaltungsgericht zufrieden, am 10. Januar wurde er abgeschoben.

Die Sicherheitsbehörden hielten Oussama B. für hochgefährlich, sein Bruder hatte sich bereits als Selbstmordattentäter der Terrormiliz IS in die Luft gesprengt, er selbst hatte damit geprahlt. In einem französischen Gefängnis hatte er eine Ärztin antisemitisch beleidigt und ihr gedroht: "Hitler ist mit seiner Arbeit noch nicht fertig, ich werde dein Gesicht wiedererkennen, und ich werde kommen, um dich zu töten". Dennoch hatte er in Bremen geltend machen können, in seinem Heimatland drohe ihm Folter, deshalb könne man ihn nicht abschieben. Häftlinge in Algerien berichteten in der Vergangenheit wiederholt von Folter durch den Geheimdienst DRS.

Der Fall hat Ähnlichkeiten zu Sami A., also dem Fall des angeblichen Ex-Leibwächters, der auffällig viele Verbindungen in radikale Zirkel gepflegt hat. Auch für Sami A. wollten die Richter in Gelsenkirchen einen persönlichen Schutzbrief sehen, eine "individualbezogene diplomatische Zusicherung". Aber die bekamen sie nicht.

Staaten sollen eine generelle Zusicherung abgeben

Jetzt sitzt Oussama B. in Haft in seinem Heimatland, und womöglich geht es ihm sogar besser als manchem Mitgefangenen. Vorausgesetzt natürlich, der algerische Polizeigeneral hält sein Wort. Nur vereinzelt sind deutsche Gerichte bislang zu dem Entschluss gekommen, dass man dies auch nachprüfen müsse. Also, dass Diplomaten nach der Abschiebung in die Gefängnisse gehen, um nachzusehen, wie die Haftbedingungen wirklich sind. Ein solcher Kontrollgang wäre das offenste Zeichen des Misstrauens, die Bundesregierung will das unbedingt vermeiden, auch weil es völkerrechtlich völlig unüblich sei.

In Berlin versucht man seit einiger Zeit einen anderen Weg, der politisch realistischer sein soll, eine Art generelle Zusicherung der Länder. Staaten sollen erklären, dass abgeschobene Islamisten keine Folter fürchten müssen, das könne man den Gerichten dann vorlegen, anstatt in jedem Einzelfall nachfragen zu müssen. Ob dies deutschen Richtern genügen würde, ist unklar, immerhin wäre es konkreter als die bisherigen Bekenntnisse zu Menschenrechten und Verfassung. Aber der Vorstoß scheitert bisher an der mangelnden Bereitschaft der Länder. Jordanien etwa reagierte auf den Vorschlag nicht einmal.

Mit den Tunesiern gilt die Zusammenarbeit inzwischen eigentlich als sehr gut, ein "Memorandum of Understanding" regelt Fragen der Abschiebung. Die Bundesregierung entschied sich deshalb bei ihrem jüngsten Arbeitstreffen mit tunesischen Vertretern, um eine generelle Zusicherung zu bitten, dass abgeschobene Islamisten dort rechtsstaatlich behandelt würden.

Das Ergebnis? Die Tunesier reagierten aufgebracht. Was das denn solle, man sei eine Demokratie, die Justiz unabhängig. Der Versuch scheiterte.

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