Abschiebungen in den USA:Trumps Angriff auf elf Millionen

US agents conduct first Trump-era raids targeting undocumented migrants

Am 7. Februar verhaften Beamten der Abschiebebehörde ICE einen Mann in Los Angeles. In mindestens sechs Staaten wurden Hunderte Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus festgenommen und teils deportiert. Medienberichten zufolge waren - anders als bisher - auch Menschen ohne kriminelle Vergangenheit betroffen. Einige lebten seit Jahren oder Jahrzehnten in den USA.

(Foto: AFP)
  • In den USA leben elf Millionen Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus.
  • Die überwiegende Mehrheit ist seit mehr als zehn Jahren im Land. Schon vor Trump hatten sie schlechte Jobs, mussten immer wieder ihre Abschiebung fürchten und waren in ihrer Bewegungsfreiheit deshalb arg eingeschränkt.
  • Mit Trump ist ihre Angst stark gewachsen - es wird erwartet, dass der neue US-Präsident selbst vor Einwanderern nicht Halt macht, die bisher geschützt waren.

Analyse von Moritz Matzner

"Wir werden Recht und Gesetz zurück in die USA holen", sagt Donald Trump. Es ist der 25. Januar dieses Jahres, auf Trumps Rednerpult prangt ein Adler, umringt von den Worten: US Department of Homeland Security. Es geht dem Präsidenten an diesem Tag um die Sicherheit der Nation. Sie sei bedroht von einer porösen Grenze, sagt er, und von Menschen: Er nennt sie die bad ones, die Bösen, redet von Gangmitgliedern und Drogendealern, Kriminellen. Nicht amerikanischen, sondern eingewanderten, Amerika werde sie loswerden. Das stehe in seiner Anordnung.

Liest man nach in dem Dekret, wird klar: "Kriminell" ist ein dehnbarer Begriff. All jene sollen abgeschoben werden, die "kein Recht darauf haben, in den Vereinigten Staaten zu sein" und eine "Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen." Wer genau diesen Tatbestand erfüllt, darüber können nach dem Dekret die Beamten der ICE, der Migrations- und Zollbehörde, entscheiden. Ohne eine weitere Instanz. Die Formulierungen sind allerdings so weit gefasst, dass die LA Times unter Berufung auf Rechtsexperten und interne Papiere von etwa acht Millionen Menschen ausgeht. Die New York Times schreibt: Jeder, der illegal ins Land gekommen ist, gilt jetzt als kriminell - und kann deportiert werden. Das verändert das Einwanderungsland USA fundamental.

Ausgenommen ist nur, wer eine von Obama eingeführte "Aussetzung der Abschiebung" beantragt hat. Das konnten aber nur wenige: Etwa zehn Millionen Menschen könnten deswegen abgeschoben werden. Seit vergangener Woche macht die ICE ernst: In mindestens sechs Staaten wurden Hunderte Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus festgenommen und teils abgeschoben. Medienberichten zufolge waren - wie befürchtet - anders als bisher auch Menschen ohne kriminelle Vergangenheit betroffen. Einige lebten seit Jahrzehnten in den USA.

Sie stammen größtenteils aus Lateinamerika, trotz fehlender Greencard sind sie seit Jahrzehnten Teil der Gesellschaft, leben, arbeiten und studieren in den USA. Dabei ist im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ihr Aufenthaltstitel oft eine schmerzliche Begrenzung des im Leben Möglichen: Arbeit ist fast nur im informellen Sektor zu finden, medizinische Versorgung ist schlecht, die Angst vor Abschiebung behindert Bewegungsfreiheit, Zukunftsplanung, Familienbesuche. Dennoch wollen sie bleiben, die USA ist ihre Heimat, viele haben als Kinder oder Kleinkinder die Grenze passiert, besitzen nur vage Erinnerung an das Leben im Süden. Seit vergangener Woche aber scheint es, als seien ihre schlimmsten Befürchtungen erfüllt worden.

Sie riefen Arbeiter, doch es kamen Menschen

Bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts kommen Menschen aus Lateinamerika auf der Suche nach Arbeit in die USA - illegal, aber in großen Teilen auch legal. Mit dem Bracero Program, einem "Handarbeitsprogramm", warb die US-Regierung ab 1942 aktiv um mexikanische Arbeiter - sie sollten nach dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten die vor allem auf Farmen fehlenden Arbeitskräfte ersetzen. Das Programm wurde mehrmals verlängert, etwa viereinhalb Millionen Visa vergeben. Als es 1964 endete, hatte der über zwei Jahrzehnte währende, intensive Austausch eine gegenseitige Abhängigkeit geschaffen.

Und so zogen auch weiter Menschen in den Norden, jetzt vor allem illegal. Viele kehrten für den Winter heim, einige blieben. Ende der 1980er Jahre lebten etwa dreieinhalb Millionen Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus in den USA. Darauf reagierte die Reagan-Regierung: Durch ein Gesetz legalisierte sie 1986 den Status von etwa drei Millionen Menschen. "Viele erinnern sich noch an diese Zeit, hoffen, dass so etwas wieder passiert", sagt Heide Castaneda. Seit fünf Jahren arbeitet die Professorin der University of South Florida mit Familien ohne Aufenthaltsgenehmigung im texanischen Grenzgebiet.

Doch Reagans Gesetz war als Schlussstrich gedacht: Bestehende Einwanderer legalisieren, kommende verhindern. Das Gesetz sah auch eine Verdopplung der Grenzbeamten vor. Ein Kurswechsel, der auch unter Clinton in den 1990ern fortgeführt wurde: Bis zur Jahrtausendwende verdreifachte sich die Anzahl der Grenzer, zusätzlich sollten mehr Zäune, Jeeps und Helikopter die Migranten fernhalten. Kritiker sagen: Die Grenze wurde militarisiert.

All diese Maßnahmen machten Grenzübertritte gefährlicher - und teurer. Coyotes, wie die Schmuggler aus Mexiko genannt werden, verlangten statt wenigen Hundert bald Tausende Dollar für ein Ticket in den Norden. Um das aufbringen zu können, mussten Arbeiter statt für eine Erntesaison für mehrere Jahre bleiben. "Viele wollten eigentlich wieder zurück, zum Beispiel um die Winter in Mexiko zu verbringen und ihre Familien zu besuchen. Aber sie konnten und können es nicht riskieren, weil sie Angst haben, es nie mehr zurückzuschaffen", sagt Ted Conover, jetzt Professor an der NYU in New York. Ende der 1980er Jahre überquerte er gemeinsam mit einer Gruppe von Mexikanern die Grenze, lebte mit ihnen für ein Jahr in den USA, um Einblick in ihr Leben zu bekommen.

Viele der saisonalen Arbeiter von damals kehrten nie wieder nach Hause zurück, sondern verlegten ihren Lebensmittelpunkt in die USA. Gleichzeitig wurde der mexikanische Agrarsektor von Nafta, dem 1994 in Kraft getretenen Freihandelsabkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko, stark getroffen: Zwischen 1991 und 2007 verloren zwei Millionen mexikanische Bauern ihren Job, so die Schätzungen in einigen Studien. Das Abkommen verbot zwar Zölle, nicht aber Agrarsubventionen. Das verschaffte vor allem amerikanischem Getreide einen Vorteil auf dem mexikanischen Markt und traf dort kleine Farmen empfindlich traf. Ob Nafta insgesamt Vor- oder Nachteile für die Volkswirtschaften nördlich und südlich der Grenze gebracht hat, ist umstritten, ein Politikum.

Fakt ist: Illegale Migration aus Mexiko stieg in den 1990ern drastisch an, die Zahl der seit Ende der 1980er Jahre in den USA lebenden Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung verdreifachte sich auf nun elf Millionen. Etwa zwei Drittel leben seit mindestens zehn Jahren in den Vereinigten Staaten, jeder Dritte hat Kinder, die in den USA geboren und damit Staatsbürger sind. Doch auch für viele, die schon lange in den USA leben, ist die Greencard unerreichbar: ein Gesetz 1996 unter Clinton erschwerte den Weg zu einem legalen Aufenthaltstitel weiter.

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