Süddeutsche Zeitung

Abschiebungen:Auf der Suche nach einem grünen Ja

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Die Regierung will die Liste der sicheren Herkunftstaaten um Algerien, Tunesien, Marokko und Georgien erweitern. Die Zustimmung im Bundesrat ist aber unsicher.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Wer die Grünen nach dem Plan der Bundesregierung fragt, die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären, kann den Eindruck gewinnen, es gehe um die allerunwichtigste Sache der Welt. Ein überbewertetes Thema, politisch von geringem Wert - solche Töne sind aus der Parteispitze zu hören, aus der Bundestagsfraktion oder auch aus Ländern wie Baden-Württemberg, wo die Grünen wenig Sehnsucht verspüren nach der Wiederauflage eines alten Konflikts. Genau dies aber kündigt sich an.

Die Bundesregierung will Algerien, Tunesien, Marokko und Georgien zu sicheren Herkunftsstaaten erklären. Menschen, die aus diesen Staaten nach Deutschland kommen, sollen zügiger abgeschoben werden. Der Nachweis, individuell verfolgt zu sein, kann demnach auch weiter erbracht werden. Die Hürden aber sollen deutlich höher werden. Als Begründung verweist das Bundesinnenministerium auf die niedrigen Erfolgsquoten von Asylanträgen aus den betroffenen Ländern. Nur zwei Prozent der Bewerber aus Algerien haben 2017 Asyl in Deutschland erhalten. Bei Marokkanern waren es 4,1 Prozent, bei Tunesiern 2,7 Prozent, bei Georgiern nur 0,6 Prozent.

Wo die Erfolgsquote unter fünf Prozent liege, gebe es keine systematische Verfolgung, argumentiert das Innenministerium. Die Einstufung der Maghreb-Staaten und Georgiens zu sicheren Herkunftsstaaten scheiterte bisher jedoch an der fehlenden Zustimmung der Grünen im Bundesrat. Nur Baden-Württemberg stützt das Vorhaben hier, bislang. Nötig für einen Durchbruch wäre das Ja eines weiteren grün mitregiertes Landes.

Offiziell ist mit den Grünen hier kein Geschäft zu machen. "Das Bundesverfassungsgericht hat grundsätzlich festgelegt, dass eine Einstufung als sicherer Herkunftsstaat nur vorgenommen werden kann, wenn es im ganzen Land Verfolgungsfreiheit gibt", sagte Luise Amtsberg, flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, der Süddeutschen Zeitung. Allein in Tunesien seien 2017 rund 70 Menschen inhaftiert worden, weil sie homosexuell seien. Auch Journalisten und Frauen würden Grundrechte verweigert. Eine Einstufung als "sicher" entmutige die dortigen Zivilgesellschaften. Grünen-Chefin Annalena Baerbock kritisierte, es würde "Scheindebatten" geführt. "Wir wollen schnelle und faire Verfahren. Dafür braucht es eine unabhängige Verfahrensberatung, genügend Personal sowie funktionierende Rückführungsabkommen", sagte sie. "Das Instrument der sicheren Herkunftsstaaten hilft dabei nicht."

Wer genauer hinhört, stellt fest, dass die Grünen ein unumstößliches Nein vermeiden. Schon bei den Jamaika-Sondierungen standen sie kurz davor, bei den Herkunftsstaaten nachzugeben. In Hessen, wo gerade ein schwarz-grünes Bündnis ausgehandelt wird, vermeidet Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir jede Festlegung. Wie die Sache ausgeht, wissen die Bundesgrünen in Berlin nicht. Also nehmen sie Druck aus dem Kessel. "Das Thema sichere Herkunftsstaaten wird komplett überschätzt und hochgejazzt", sagt Amtsberg. "Wir reden hier von 6000 Menschen im Jahr." Maghreb und Georgien als sichere Herkunftsstaaten, das wäre kein Weltuntergang - auch so kann man das verstehen.

Denn die Dinge geraten in Bewegung. Unverhofft hat Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) Gesprächsbereitschaft signalisiert. Ramelow, der nicht zu den linken Migrationskritikern gehört, sagte Bild, er sei "grundsätzlich bereit", über die Aufnahme Tunesiens, Algeriens und Marokkos in die Liste sicherer Herkunftsstaaten zu verhandeln. In seiner Partei steht Ramelow nun unter Druck, er fühlt sich falsch verstanden, irgendwie.

"Die verengte Debatte über die Liste sicherer Herkunftsstaaten produziert nur Scheinlösungen und ist in der Sache kontraproduktiv. Was wir wirklich brauchen ist ein Gesamtkonzept für beide Säulen der Migration, also Asyl und Einwanderung", sagte Ramelow der SZ. Nötig seien schnellere Asylentscheidungen, gute Beratung der Antragsteller "einschließlich einer an der Lebenswirklichkeit orientierten Altfallregelung und des sogenannten Spurwechsels". Darüber lohne es sich zu verhandeln. Das klingt, als könne der Thüringer Ministerpräsident sich das Ja zu sicheren Herkunftsstaaten im Bundesrat vorstellen, etwa im Tausch gegen Verbesserungen des Fachkräftezuwanderungsgesetzes. Auch wenn Ramelow sich da nicht festlegen will.

Linken-Chefin Katja Kipping äußerte sich kritisch. "Die Grund- und Menschenrechte sind kein Tauschobjekt. Deshalb sind wir gegen die Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsstaaten", sagte sie.

Im Innenausschuss des Bundestags äußerten sich am Montag Menschenrechtsorganisationen kritisch zum Gesetzentwurf der Bundesregierung. "Die Rechte auf Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit und Meinungsfreiheit werden in Algerien stark eingeschränkt", heißt es im Gutachten von Amnesty International. Die Kriminalisierung von Homosexualität stelle eine "asylrelevante Verfolgung" dar. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge begrüßte das Gesetzesvorhaben, "auch wenn noch rechtsstaatliche Defizite in einigen Bereichen bestehen". Problematisch sei etwa die Lage von Mädchen in Marokko. Der Rechtswissenschaftler Kay Hailbronner betonte, der Gesetzentwurf sei mit deutschem und europäischem Recht vereinbar. Er diene "der Reduzierung des Asylrechts auf tatsächlich Schutzberechtigte".

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Quelle:
SZ vom 27.11.2018
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