Süddeutsche Zeitung

Abschiebung in Frankreich:Hollandes Schlichtungs-Show misslingt

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Mit seinem Schlichtungsversuch im Fall des abgeschobenen Roma-Mädchens hat sich Präsident Hollande ordentlich blamiert: Sogar die 15-jährige Schülerin durchschaut seine vorgebliche Menschlichkeit als politisches Kalkül.

Ein Kommentar von Christian Wernicke, Paris

François Hollande predigt gern Harmonie und Miteinander. Wo andere - allen voran sein streitbarer Vorgänger Nicolas Sarkozy - Gräben aufreißen, da möchte Frankreichs Staatsoberhaupt Brücken bauen. Das erklärt den so merkwürdig klammen wie knappen Fernsehauftritt des Präsidenten vom Wochenende. Der Sozialist wollte den "Fall Leonarda" schlichten - also jenen Zank um die zwar strikt legale, aber dennoch harsche Ausweisung einer 15-jährigen Schülerin, der seit Tagen die Linke des Landes aufwühlt und am Freitag Tausende Gymnasiasten auf die Place de la Bastille trieb.

Sein aus drei Teilen zusammengezimmerter Urteilsspruch sollte die Nation beruhigen. Stattdessen widerfährt dem Präsidenten die sprichwörtliche Lehre: Jedem Menschen recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann. Schon gar nicht, wenn der vermeintliche Salomon im Élysée sich statt von hehrer, versöhnlicher Absicht vielmehr von fadenscheinigen, arg wahltaktischen Motiven leiten lässt.

Teil eins dieses typischen compromis à la Hollande ist der gestrenge Appell zu Recht und Ordnung. Justiz und Polizei, das beweist eine hochoffizielle Untersuchung, haben buchstäblich alle Regeln von Asyl- und Ausländergesetz eingehalten, als sie Leonarda Dibrani und ihre Familie außer Landes brachten. Es bleibt dabei: Die Roma-Familie bleibt draußen. Aus Prinzip, und auch, weil zwei Drittel der Franzosen in Umfragen eine Rückkehr der Dibranis ablehnen. Hätte Hollande hier nachgegeben, er hätte den Rücktritt seines Innenministers Manuel Valls riskiert. Der Präsident braucht aber Valls, seinen in den sozialistischen Reihen so ungeliebten, beim Volk aber überaus populären Rechtsaußen, wenn er den Aufstieg des rechtsextremen Front National in Grenzen halten will.

Konzession an die Linke

Teil zwei des Kompromisses ist Hollandes Konzession an die organisierte Linke. Viele Sozialisten und Kommunisten, aber auch humanitäre Organisationen hatte besonders empört, dass Leonarda während eines Klassenausflugs festgenommen wurde. Die Schule gilt in Frankreich traditionell als ein republikanischer Schutzraum. Hollande wies seinen nun getreuen Minister Valls an, dies per Rundschreiben alle Präfekten ins Stammbuch zu schreiben.

Das ist zwar kein Ersatz für eine wirkliche Reform (eine Überarbeitung des Ausländerrechts ist der Regierung zu heikel). Aber es ist, immerhin, eine Geste - und ein Wink an enttäuschte Wähler. Die nämlich braucht der Präsident nächstes Jahr im März und Mai bei Kommunal- und Europawahlen, spätestens bei den entscheidenden Stichwahlen. Momentan ist die Stimmung auf der Linken so miserabel, dass viele Linkssozialisten und Kommunisten verbittert dem Urnengang fernzubleiben drohen. Ohne ihr gequältes Votum aber droht Hollandes Partei ein Desaster.

Weder politisch noch menschlich sinnvoll

Und drittens und zu guter Letzt: die Menschlichkeit. Der präsidentielle Offerte an Leonarda, "sie allein" dürfe zurückkommen und weiterlernen, ist in Wahrheit der plumpe Versuch, ihre demonstrierenden Altersgenossen von Frankreichs Straßen zu bekommen. Sinnvoll ist das nicht - weder "humanitär", wie Hollande reklamiert, noch politisch. Denn wie "menschlich" wäre es tatsächlich, eine Heranwachsende von Eltern und Geschwistern zu trennen und sie in irgendeinem Heim oder Pflegefamilie unterzubringen? Nicht nur solide Pädagogik, auch das etablierte Völkerrecht rät von einer solchen Zerreißprobe ab.

Also hagelt es nun Kritik, von allen politischen Gegnern - und von Leonarda, dem Mädchen und Medienstar. Vom Balkan aus hat sie Hollande zugerufen, er habe "kein Herz" und sie sei "kein Hund". Das klingt patzig, aber es ist eben auch entlarvend. Wenn ein 15-jähriges Mädchen die taktischen Spielchen der Politik so leicht durchschaut, dann ist ein Präsident blamiert.

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Quelle:
SZ vom 21.10.2013
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