Süddeutsche Zeitung

Abschiebung:Im Fall Sami A. geht es nicht um öde Prinzipienreiterei

Es geht um Rechtsstaatlichkeit, Rechtssicherheit und Gewaltenteilung. Und die ist kein demokratischer Schnickschnack. Die Ausländerbehörden in Nordrhein-Westfalen haben die Balance massiv gestört.

Kommentar von Heribert Prantl

Wer sagt, dass es ihm ums Prinzip gehe, der wird oft schief angeschaut. Er gilt als ein Prinzipienreiter, als enger Geist, als unangenehmer, pedantischer Zeitgenosse. Das mag bisweilen so sein - zumal dann, wenn der Prinzipienreiter auf seinen Prinzipien durch den Alltag galoppiert und vom hohen Roß schier nicht mehr herunterkommt. Es gibt aber Prinzipien, die so fundamental sind, dass sich ihre Abwertung in Verbindung mit dem Wort "Reiterei" verbietet. Die Gewaltenteilung ist so ein Prinzip. An ihr hängt das Leben des Rechtsstaats.

Wenn die Justiz im Fall des Sami A. darauf beharrt, dass dieser fragwürdige Zeitgenossse wieder nach Deutschland geholt wird, so ist dieses Beharren keine Fragwürdigkeit, sondern das Beharren auf einem fundamentalen Grundsatz der politischen Machtverteilung. Die Verwaltung hat diesen Grundsatz missachtet. Sie hat sich über die Anordnung des Gerichts hinweggesetzt, dass Sami A. vorläufig in Deutschland bleiben soll. Diese Hinwegsetzung muss korrigiert werden.

Die Gewaltenteilung ist kein demokratischer Schnickschnack; sie ist ein demokratisches Wesenselement. Sie ist kein abstraktes Thema für den Sozialkundeunterricht und Jubiläumsreden. Die Gewaltenteilung ist die in der Verfassung beschriebene Selbstbeschränkung der Staatsorgane. Sie ist eine politische Klugheitsregel, sie handelt von der Verteilung von Macht und Verantwortung. Sie führt zur Mäßigung der Staatsherrschaft und verhindert, dass keine Gewalt und kein Gewaltiger allmächtig wird.

Deshalb ist es ja bezeichnend, dass Autokraten bestrebt sind, die Gewaltenteilung zu durchlöchern und abzuschaffen. In der Türkei, in Ungarn und in Polen kann man das beobachten. Es gilt daher der Satz: Wehret den Anfängen. Deshalb geht es im Fall Sami A. nicht um Prinzipienreiterei.

Die Gewaltenteilung ist ein Teil des Rechtsstaatsprinzips, sie wird von der sogenannten Ewigkeitsgarantie erfasst, gehört also zu den Grundsätzen, die nicht geändert, ja nicht einmal berührt werden dürfen. Sie ist damit auch Bestandteil jener Ordnung, gegen deren Beseitigung alle Deutschen nach Artikel 20 Absatz 4 Grundgesetz das Recht zum Widerstand haben. Das ist natürlich kein Hinweis zum aktuellen Fall Sami A.; aber diese Verankerung beschreibt den Rang der Gewaltenteilung.

Nun könnte ein gerissener Interpret des Wortes Gewaltenteilung sagen, dass der Fall Sami A. ja gerade die Gewaltenteilung demonstriere: Das Gericht entscheidet so, die Verwaltung entscheidet eben anders. Gewaltenteilung bedeutet aber nicht, dass jede Staatsgewalt vor sich hinwerkelt, wie sie will, ohne auf die anderen Gewalten zu achten. Zur Gewaltenteilung gehört die Achtung der jeweiligen Kompetenzen. Die Kompetenz der rechtsprechenden Gewalt ist im Grundgesetz, Artikel 19 Absatz 4, klar beschrieben: "Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, steht ihm der Rechtsweg offen." Das heißt: Die rechtsprechende Gewalt wird zur Kontrolle der Exekutive berufen.

Man sollte also vielleicht besser von Gewaltenbalance als von Gewaltenteilung sprechen. Die Ausländerbehörden in Nordrhein-Westfalen haben diese Balance massiv gestört. Sie wiederherzustellen, dient der Rechtssicherheit.

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