Aborigines und die weißen Grabräuber:600 Groschen pro Schädel

Westliche Forscher und Kaufleute verschleppten einst Skelette von Aborigines - Australien holt sie nun heim. Auch in Deutschland lagern noch Knochen der Ureinwohner.

Gerhard Fischer

Erik Mjöberg log, als er vom australischen Zoll gefragt wurde, was er mit sich führe. Der schwedische Forscher sagte, es handle sich um die "Skelette von zwanzig Kängurus". Tatsächlich hatte er die Gebeine von Menschen im Gepäck - was verboten war.

Aborigines und die weißen Grabräuber: Ein Vertreter der Aborigines feiert die Rückführung der Ureinwohner-Skelette an Australien in einem Londoner Park.

Ein Vertreter der Aborigines feiert die Rückführung der Ureinwohner-Skelette an Australien in einem Londoner Park.

(Foto: Foto: AP)

Man schrieb das Jahr 1911. Forscher aus Europa und Nordamerika reisten nach Australien, um Skelette von Ureinwohnern zu holen. Es gab Wissenschaftler, die dachten, Aborigines seien Steinzeitmenschen oder Neandertaler, denen es gelungen war, bis in die Gegenwart zu überleben.

Meistens wurden Gräber geplündert, um an Skelette zu kommen; Aborigines-Organisationen glauben heute aber, einige Forscher hätten sogar Ureinwohner getötet oder töten lassen.

Die australische Regierung versucht nun, die Skelette in die Heimat zurückzuholen; dies ist eine weitere Aktion im Zuge der Aussöhnung mit den Aborigines. Über 50 Einrichtungen in 13 Ländern sollen mehrere tausend Gebeine besitzen oder besessen haben.

Schweden hat die Skelette, die sich im Ethnologischen Museum in Stockholm und an der Universität in Lund befanden, bereits im Oktober 2007 und im Februar 2008 zurückgegeben.

Auch Großbritannien hat den Rücktransport schon abgeschlossen, die USA und Österreich haben damit begonnen.

Aborigines-Köpfe im Katalog

Bisher wurden noch keine Skelette aus Deutschland nach Australien geschafft, vermutlich macht die Berliner Charité in diesem Jahr den Anfang. Deutschland soll neben Großbritannien die bedeutendsten Sammlungen von Aborigines-Skeletten haben, und dazu hat auch Amalie Dietrich beigetragen.

1863 schickte der Hamburger Kaufmann Cesar Godeffroy die Naturforscherin ans - von Deutschland aus gesehen - andere Ende der Welt. Dietrich blieb zehn Jahre in Australien und sammelte dort mehr als 2000 Pflanzen und Tiere. Die Alge Sargassum amaliae und zwei Wespenarten sind nach ihr benannt.

Godeffroy forderte sie in Briefen immer wieder dazu auf, auch Skelette von Aborigines zu schicken. Diese seien "sehr wichtig für die Völkerkunde." Es ging natürlich nicht nur um die Wissenschaft: Der Kaufmann bot Aborigines-Köpfe in seinem Katalog an.

So kostete der Schädel eines Eingeborenen aus Rockhampton, Australien, 600 Silbergroschen - der Menschenkopf wurde in einem Katalog aus dem Jahr 1874 neben einem Fledermausskelett aufgelistet.

Es ist wichtig, dass die Toten dorthin kommen, wo sie zu Hause sind

Es ist noch unklar, wie viele Ureinwohner-Skelette heute in Deutschland lagern - und wo. Einige Sammlungen wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört, andere haben nur unvollständige Unterlagen.

Die Berliner Charité hat bisher 18 Schädel von australischen Ureinwohnern identifiziert, die meisten waren 1881 nach Deutschland geschafft worden.

Im November 2008 unterzeichnete die Charité - als erste wissenschaftliche Einrichtung in Deutschland - eine Vereinbarung mit Australien, wonach die Köpfe "für eine würdevolle Bestattung" zurückgegeben werden sollen. "Wir warten jetzt auf das Signal, dass wir mit der Rückführung anfangen können", sagt Charité-Sprecherin Claudia Peter.

Wann das geschehen wird, hängt auch von den australischen Behörden ab. Diese müssen noch herausfinden, wohin die Skelette transportiert werden sollen, zu welchem Stamm, zu welchen Nachfahren. Es ist wichtig, dass sie dorthin kommen, wo sie zu Hause sind - erst dann findet die Seele der Toten nach dem Glauben der Aborgines ihre Ruhe.

Als Ismahl Croft, Ureinwohner aus Kimberley in Australien, die Skelette seiner Ahnen in Stockholm abholte, sagte er: "Wenn ein Aborigine stirbt, muss er begraben werden, wo er hingehört, weil seine Seele und sein Geist dort weiterleben."

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