Süddeutsche Zeitung

Extremismus-Studie:Wie der Gesellschaft die Mitte verloren geht

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Von Anna Reuß, Berlin

Antisemitismus auf stabilem Niveau, rechtspopulistische Tendenzen, immer stärkere Ablehnung gegen Asylsuchende: Die neue Ausgabe der sogenannten Mitte-Studie gelangt zu beunruhigenden Erkenntnissen über die deutsche Gesellschaft. Mit der Umfrage misst die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung alle zwei Jahre Populismus, rechtsextreme Einstellungen und "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit". Der Titel der Studie in diesem Jahr: "Verlorene Mitte - Feindselige Zustände".

Bei der Vorstellung der Ergebnisse am Donnerstag hoben die Forscher unter anderem hervor, dass gerade unter jüngeren Deutschen zwischen 16 und 30 Jahren die Verharmlosung des Nationalsozialismus zunimmt. Insgesamt bleibe Antisemitismus "auf niedrigem Niveau stabil", wie es in der Studie heißt, so kommunizieren sechs Prozent der Befragten offen antisemitische Einstellungen. Als Israelkritik kostümierter Antisemitismus ist deutlich ausgeprägter: Jeder vierte Befragte äußerte demnach entsprechende Ansichten. "Man kritisiert Israel mit antisemitischen Ressentiments", sagt Andreas Zick, einer der Autoren der Studie.

Auch die Abwertung von Asylsuchenden ist in der deutschen Gesellschaft immer weiter verbreitet. Jeder zweite Befragte stimmt der Studie zufolge negativen Meinungen gegenüber dieser Personengruppe zu. Dies ist ein Anstieg im Vergleich zum Jahr 2016, obwohl die Zahl der Asylsuchenden während des Zeitraums gesunken ist. Als die Forscher im Februar 2019 ihre jüngste Befragung abschlossen, stellten sie fest: Die Zahl derjenigen, die sich abwertend über asylsuchende Menschen äußern, war mit 54,1 Prozent so hoch wie nie seit 2011. 2014 hatten sich noch rund 44 Prozent der Befragten negativ über Asylsuchende geäußert, 2016 waren es 49,5 Prozent.

Die Vorbehalte gegen Obdachlose haben seit 2014 kontinuierlich abgenommen. Hatten sich im Jahr 2016 noch 18 Prozent der Befragten negativ über wohnungslose Menschen geäußert, und 2005 sogar 24 Prozent, so waren es zuletzt nur noch knapp elf Prozent. Abgenommen haben laut Studie auch die Vorbehalte gegen Homosexuelle. Entsprechende Einstellungen fanden die Forscher zuletzt noch bei rund acht Prozent aller Deutschen. Vor zwei Jahren hatte noch fast jeder Zehnte Vorbehalte gegen Lesben und Schwule. 2005 waren es fast 22 Prozent.

Harte rechtsextreme Einstellungen werden der Studie zufolge wie in den Vorjahren nur von einer Minderheit von weniger als drei Prozent geteilt. Auf deutlich höherem Niveau bewegt sich dagegen die Zustimmung zu Rechtspopulismus: Jeder Fünfte neigt demnach zu rechtspopulistischen Einstellungen, 42 Prozent der Deutschen zeigten eine Tendenz dazu. Die Forscher betonen, dass es sich um kein neues Phänomen handle. So haben rechtspopulistische Einstellungen seit 2014 nicht zugenommen.

Auffällig sind Unterschiede zwischen alten und neuen Bundesländern: Anders als bei den rechtsextremen Einstellungen stellt die Studie beim Rechtspopulismus auch einen Ost-West-Unterschied fest; im Osten teilen 30 Prozent, im Westen 20 Prozent diese Einstellungen. Dahinter stehe das Narrativ der korrupten Eliten gegen ein moralisch integres Volk, so die Forscher. Auch die Ablehnung von Fremdgruppen sei im Osten stärker ausgeprägt.

Zudem stellen die Autoren eine Korrelation zwischen rechtsextremen, rechtspopulistischen und sogenannten neurechten Einstellungen fest: Wer einem dieser Konzepte zustimmt, stimmt auch eher den anderen zu. Die Studie zufolge äußern die Wähler der AfD häufiger rechtsextreme und populistische Einstellungen als die Wähler anderer Parteien.

Die Mehrheit äußert sich positiv zur Demokratie: 86 Prozent sehen eine demokratische Regierung als unerlässlich an, fast genau so viele finden es gut, wenn sich Menschen gegen Hetze einsetzen. Allerdings sei die Mitte der Gesellschaft nach rechts gerückt. Zudem nehme die Polarisierung ab: Mehr Befragte stimmten Aussagen teilweise zu, statt sie etwa deutlich abzulehnen. Der Titel der Studie beziehe sich deshalb auf die Frage, ob die "ausgleichende Mitte" der Gesellschaft im politischen Kurs verloren geht, sagt Zick.

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