Abkehr von Raketenplänen:Die russische Charme-Offensive

Werben um Obama: Russland hat angekündigt, nun doch keine Raketen in Kaliningrad zu stationieren. Für diesen Schritt gibt es nicht nur strategische Gründe.

Matthias Kolb

Es war eine Nachricht, die aufhorchen ließ: Am 5. November 2008 kündigte Russlands Präsident Dmitrij Medwedjew an, Raketen vom Typ Iskander in Kaliningrad zu stationieren. Dies sei wegen der amerikanischen Raketenschildpläne nötig. Neben der Drohung verblüffte, dass Medwedjew es in seiner 85 Minuten langen "Rede zur Lage der Nation" fertigbrachte, dem soeben gewählten US-Präsidenten Barack Obama nicht zu gratulieren. Dies holte der Russe erst verspätet nach.

Abkehr von Raketenplänen: Auch auf dem Moskauer Souvenirmarkt ist Barack Obama bereits angekommen.

Auch auf dem Moskauer Souvenirmarkt ist Barack Obama bereits angekommen.

(Foto: Foto: dpa)

Nun rudert Moskau in der Raketenfrage zurück: Ein hoher Vertreter des Generalstabs sagte der Agentur Interfax, da die neue US-Regierung die Aufstellung von Teilen des geplanten Raketenschutzschirms in Polen und Tschechien nicht durchpeitschen wolle, stoppe Russland seine Pläne. Man werde die Boden-Boden-Raketen nicht in der Nachbarschaft der Nato-Mitglieder Litauen und Polen stationieren.

Alexander Rahr von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) sieht mehrere Gründe für diesen Schritt. Das von der Finanzkrise schwer getroffene Russland könne sich ambitionierte Projekte nicht mehr leisten. "Im engsten Führungskreis gab es einen Richtungsstreit, ob die Sozialprogramme oder die Aufrüstungspläne finanziert werden. Hier hat sich Medwedjew durchgesetzt, der nicht bei Rente und Gesundheitssystem sparen will", erklärt Rahr. Sprich: Moskau fehlt es schlicht an Geld, um die Raketen aufzustellen.

Symbolische Entscheidung

Auch Hans-Henning Schröder, Leiter der Forschungsgruppe Russland der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin misst der Ankündigung hohen Symbolwert zu. "Man muss jedoch berücksichtigen, dass Medwedjew am 5. November die Stationierung der Raketen nur angedroht hatte, wenn die USA nicht einlenken", sagt der Politologe. Diese "virtuelle Drohung" sei nun zurückgenommen worden und biete die Möglichkeit zum Dialog. Moskau verfügt bekanntlich über gute Verbindungen nach Teheran und könnte der US-Regierung helfen. "Wenn Iran von Washington nicht mehr als Schurkenstaat angesehen wird, dann ist auch kein Raketenschild in Tschechien und Polen mehr nötig", erläutert Schröder.

Außerdem sickere aus dem Kreml durch, dass die Medwedjew-Rede vom 5. November dort als Fehler gesehen werde. Die Stimmung sei nach dem Georgienkrieg noch aufgeheizt gewesen, doch nun wolle man die Chance nutzen, der US-Regierung entgegenzukommen, so Alexander Rahr.

Bisher hat sich der neue Mann im Weißen Haus nicht explizit geäußert. "Das stärkste Signal von Obama war, dass er kein Signal geschickt hat", sagt DGAP-Experte Rahr. Obwohl viele Experten Obama nach der Rede gedrängt hätten, eine deutliche Antwort zu geben und der Führung in Moskau zu zeigen, dass der neue Präsident "kein Schwächling" sei, habe Obama geschwiegen.

Ähnliche Lebensläufe

Dies deutet laut Rahr darauf hin, dass Obama bereit ist, eine engere Zusammenarbeit in Fragen wie dem Nahostkonflikt, dem iranischen Atomprogramm oder in Afghanistan zu prüfen. Vergangene Woche sagte der Kremlchef den USA Unterstützung für den Afghanistan-Einsatz zu, wenn diese "ohne Ideologie" den Kontakt zu den Nachbarstaaten suchten.

Obama und Medwedjew, die am Montag miteinander telefonierten, sind sich erstaunlich ähnlich: Beide studierten Jura und lehrten eine Zeit lang an der Universität. Mit 47 beziehungsweise 43 Jahren sind Obama und Medwedjew relativ jung für ihre wichtigen Ämter. Zudem wurden beide in der Zeit nach dem Kollaps der UdSSR politisch sozialisiert und könnten deswegen nach neuen Wegen der bilateralen Beziehungen suchen.

Schröder rechnet jedoch nicht mit einer allzu schnellen Annäherung zwischen Washington und Moskau: "Das passiert nicht heute oder morgen." Zunächst werde es Treffen auf Arbeitsebene geben, bevor sich die Präsidenten treffen könnten. Neben Abrüstungsfragen dürfte vor allem die Lage im Kaukasus und die künftige Rolle der Nato eine Rolle spielen. "Die USA werden sich nicht ohne weiteres aus der Region abziehen und Russland auch keine Nato-Soldaten in der Ukraine oder in Georgien akzeptieren." Hier stehen lange Verhandlungen bevor, doch die Situation sei so gut wie lange nicht mehr.

Premier Putin in Davos

Der nächste Teil der russischen Charme-Offensive steht zudem kurz bevor: Wladimir Putin, der auch als Ministerpräsident die wichtigen Entscheidungen trifft, wird am Mittwochabend beim Weltwirtschaftsforum in Davos eine der Eröffnungsreden halten. Alexander Rahr rechnet mit kooperativen Tönen: "Davos wird von den Russen traditionell nicht dafür genutzt, um Schläge zu verteilen oder auf den Tisch zu hauen."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Schwerpunkte Wladimir Putin beim Weltwirtschaftsforum wahrscheinlich ansprechen wird.

Die russische Charme-Offensive

Putin werde für Investionen in Russland werben und den Westen wieder stärker an seinen Modernisierungsplänen beteiligen wollen. Dies sei in der momentanen Situation dringend nötig, erläutert Rahr: "Moskau braucht das Geld, und da Kredite schwer zu bekommen sind, ist man auf gemeinsame Projekte angewiesen."

Abkehr von Raketenplänen: Lächeln für die Kamera: Russlands Präsident Dmitrij Medwedjew beim Besuch einer Marineakademie in St. Petersburg.

Lächeln für die Kamera: Russlands Präsident Dmitrij Medwedjew beim Besuch einer Marineakademie in St. Petersburg.

(Foto: Foto: dpa)

Auch Hans-Henning Schröder wundert sich nicht über den Zeitpunkt der Ankündigung: Schon während des Gas-Streits mit der Ukraine fiel auf, dass Moskau offensiv versuche, den eigenen Standpunkt zu erklären. Der SWP-Forscher wertet es als "Strategie", dass dieses Zeichen so kurz vor Putins erstem Auftritt in Davos an den Westen geschickt werde.

Es zeige auch, dass man im Kreml lerne: Medwedjews Rede vom 5. November wertet Schröder, der auch an der Uni Bremen lehrt, vor allem als "Dummheit" - seine Berater hätten damals nicht wahrgenommen, was außerhalb Russlands passiere und die Außenwirkung der Aussagen unterschätzt.

Bereits in einer Woche könnte es zum nächsten Test für die russisch-amerikanischen Beziehungen kommen, wenn sich die Außenpolitiker und Verteidigungsexperten in München zur Sicherheitskonferenz treffen. Im Freistaat wird neben US-Vizepräsident Joe Biden auch der russische Vizepremier Sergej Iwanow erwartet.

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