Panne in NRW:Ey, wo is' mein Abi?

Panne in NRW: "Darüber ärgere ich mich sehr": Schul- und Bildungsministerin Dorothee Feller (CDU) muss erklären, wie es zu der Abi-Panne in Nordrhein-Westfalen kommen konnte.

"Darüber ärgere ich mich sehr": Schul- und Bildungsministerin Dorothee Feller (CDU) muss erklären, wie es zu der Abi-Panne in Nordrhein-Westfalen kommen konnte.

(Foto: Malte Krudewig/dpa)

Wegen einer Panne konnten 30 000 Abiturienten in NRW nicht wie geplant am Mittwoch ihre Prüfungen schreiben. Die Schulministerin bittet um Entschuldigung - und versucht das Chaos zu erklären.

Von Jana Stegemann, Düsseldorf

Die letzte Frage in der Pressekonferenz thematisiert die berufliche Zukunft der Ministerin: Eine Reporterin fragt, ob sie über Rücktritt nachgedacht habe? Immerhin seien schon NRW-Schulminister für weniger aus dem Amt geschieden. Doch Dorothee Feller pariert sofort, schüttelt ihren Kopf: "Einer muss ja jetzt dafür sorgen, dass es läuft, oder?" Am Dienstag lief rein gar nichts im nordrhein-westfälischen Schulministerium.

Zum ersten Mal in der Geschichte des Zentralabiturs mussten Prüfungen in NRW wegen einer Panne verschoben werden. Am Morgen danach gibt die CDU-Schulministerin eine Pressekonferenz. Sie wirkt zerknirscht, teilweise ratlos, als könne sie es selbst kaum glauben. Mehrmals wird sie in ihrer Erklärung die 30 000 betroffenen Abiturienten, deren Eltern und die Lehrkräfte um Entschuldigung bitten. "Es ist etwas passiert, das niemals hätte passieren dürfen. Darüber ärgere ich mich sehr", sagte Feller und "ich verstehe, dass alle richtig sauer auf uns sind, ich bin es ja selbst". Während Feller sprach und sich für die Geduld an den Schulen bedankte, bat auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) die Betroffenen via Twitter um Entschuldigung.

Dass es Probleme beim Download des insgesamt 480 Megabyte großen Datenpakets gab, war der Schulministerin seit Dienstag, 14 Uhr, bekannt, bei 300 Schulen habe das Herunterladen der Abituraufgaben geklappt, bei 600 Schulen nicht oder nur teilweise. Von zwölf Uhr an sei der Download möglich gewesen; um elf Uhr habe es einen erfolgreichen Probedurchlauf im Ministerium gegeben.

"Die Stimmung ist natürlich wahnsinnig schlecht"

Die Mail, dass die für Mittwoch angesetzten Abiturprüfungen in den Fächern Chemie, Biologie, Physik, Ernährungslehre, Technik und Informatik nicht stattfinden werden, schickte das nordrhein-westfälische Schulministerium allerdings erst um 20.32 Uhr am Dienstagabend an die Schulleitungen. Es war dann deren Aufgabe, die Abiturienten noch rechtzeitig zu informieren. Viel zu spät, kritisierten anschließend zahlreiche Schulleitungen und Lehrkräfte, die bis spätabends in den Schulen ausharrten und warteten. Die Opposition im NRW-Landtag hat eine Sondersitzung des Schulausschusses für Freitag beantragt. "Die Stimmung ist natürlich wahnsinnig schlecht", sagte Theo Blaesse von der Landesschüler*innenvertretung NRW, der selbst am Mittwoch eigentlich Physik geschrieben hätte. Die Landeselternkonferenz NRW urteilte: "Das ist ein starkes Stück."

Feller will den Vorwurf der "komplett missglückten Kommunikation" nicht stehen lassen. Ihr Ministerium habe die Schulleiter ständig per Mail auf dem Laufenden gehalten, erklärte die Ministerin. Die technische Bereitstellung der Abituraufgaben in NRW übernimmt seit 2018 ein externer Dienstleister aus dem Sauerland. Bisher habe es mit der Firma Gonicus GmbH keine Probleme gegeben, so Feller. Der Download der Aufgaben sei im vergangenen Herbst sogar mit 300 Schulen getestet worden, denn erstmals gehörte im Fach Chemie ein Video zu den Prüfungsaufgaben. Ob dieses Video oder die Zwei-Faktor-Authentifizierung schuld daran war, dass es bei zwei Drittel der Schulen nicht funktionierte, sei bisher unklar. Auch ein Hackerangriff könne nicht ausgeschlossen werden, hieß es. "Wir müssen alles in Ruhe analysieren, bevor wir Konsequenzen ziehen", sagte Feller mehrmals. Der externe Dienstleister habe am Nachmittag einen zweiten Server aktiviert und sei zuerst zuversichtlich gewesen, die Probleme lösen zu können. Doch um 18 Uhr hätte die Firma die finale Absage erteilt.

"Da waren wir im Ministerium schon weiter", sagte Feller. Dort sei parallel bis spät in den Abend an einer Lösung gearbeitet worden. So habe der Upload der Aufgaben auf den Ministerium-Server zu 96 Prozent funktioniert - sei dann aber abgebrochen. "Wir hatten das Ziel vor Augen, dachten: In fünf Minuten können wir fertig sein." Bis dahin seien die Hoffnungen im Ministerium groß gewesen, die Abiturprüfungen am späten Abend doch noch retten zu können. "Jedes Verschieben ist für die Schülerinnen und Schüler eine große Belastung", daher habe man nicht aufgeben wollen, auch wenn "der Wunsch nach Klarheit an den Schulen da war", so Feller.

Wiederholt werden sollen die Klausuren nun am Freitag - ausgerechnet am Tag des landesweiten Bahnstreiks und des muslimischen Zuckerfestes, mit dem das Ende des Fastenmonats Ramadan gefeiert wird. Das wäre, als müssten gläubige Christen an Heiligabend Abitur schreiben. "Sollte ein Schüler aus religiösen Gründen nicht teilnehmen wollen, bekommt er die Möglichkeit zu einem Nachschreibetermin", sagte Feller.

Zwischen benachbarten Schulen in größeren Städten sollen Direktoren und Lehrerinnen schon am Dienstag vereinzelt mit USB-Sticks hin- und hergelaufen sein und die Aufgaben ausgetauscht haben. Auch Mails sollen - entgegen den geltenden Vorgaben - zwischen den Schulen verschickt worden sein. Ein Sicherheitsproblem? "Wir gehen davon aus, dass erst mal die Aufgaben nicht verbrannt sind", sagte eine Fachreferentin des Ministeriums. Die 300 Schulen, bei denen das Herunterladen geklappt habe, müssten die Aufgaben "nun unter Verschluss halten, im Safe". Es gebe allerdings auch fertige Alternativaufgaben. Der heutige Download für die nächsten Klausuren am Donnerstag laufe "bislang problemlos", so die Ministerin.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusExklusivBildungsgerechtigkeit
:Das Geschäft mit der Abi-Angst

Der Staat könnte Abiturienten die Prüfungsaufgaben aus früheren Jahren zur Verfügung stellen - kostenlos. Stattdessen überlassen die Bundesländer die Inhalte oft privaten Verlagen, die damit gute Geschäfte machen. Eine Recherche von "Frag den Staat" gibt Einblicke.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: