Abitur:Die neue Macht der Schüler

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Waren die Mathematik-Aufgaben in Bayern wirklich zu schwer?

Von Paul Munzinger

Bayerns Schülern, die über den hohen Anspruch ihres Mathematik-Abiturs klagen, kann man eines nicht vorwerfen: dass sie nicht offen sagen, was sie wollen. Entwaffnend ehrlich beginnt die Petition, die im Netz mehr als 60 000 Unterstützer hat, mit dem Satz: "In den vergangenen Jahren sank das Leistungsniveau der Abiturprüfungen in Mathematik." Dann wird aufgezählt: "2016 war es anspruchsvoll, 2017 war es machbar, 2018 war es nahezu leicht und 2019 enthielt plötzlich Aufgabenstellungen, die vorher kaum einer gesehen hatte."

Nicht der Lehrplan ist der Maßstab, nicht die Vorbereitung im Unterricht. Was die Schüler fordern, ist gleiche Nachsicht für alle. Sie wehren sich dagegen, dass der Zufall ihre Note ruiniert - weil sie das Pech hatten, der Klasse von 2019 anzugehören.

Wir sind jung und wir sind laut, weil ihr uns den Schnitt versaut.

Ohnmacht ist ein Gefühl, das Schüler zu allen Zeiten kennenlernen mussten, auch in der heutigen. Wenn sie für das Klima demonstrieren und erst mal belächelt werden. Wenn sie Abiturprüfungen vorgesetzt bekommen, die ihnen unangemessen schwer erscheinen. Im ersten Halbjahr 2019 aber entdecken Schüler auch das entgegengesetzte Gefühl: dass die Erwachsenen ihnen zuhören, wenn sie mit einer Stimme sprechen. Dass sie Macht haben, wenn sie sich vernetzen. Die Wucht des Protests ist auch ein Beweis für die Mobilisierungskraft von Schüler-Whatsapp-Gruppen.

Das ist gut. Es bedeutet, dass Schülerinnen und Schüler, die am vergangenen Freitag über den Aufgaben verzweifelten, mit dieser Verzweiflung nicht alleine fertigwerden müssen. Es bedeutet, dass sie sich wehren können, gemeinsam. Und es bedeutet, dass sie die Politik unter Druck setzen können, die in Gestalt des bayerischen Bildungsministers Michael Piazolo bereits eine Überprüfung der Aufgaben angekündigt hat.

Die neue Macht der Schüler geht aber mit der Verantwortung einher, die Überprüfung abzuwarten und am Ende das Ergebnis zu respektieren, ob es ihnen gefällt oder nicht. Das gilt für Bayern ebenso wie für die anderen Bundesländer, wo es nun ähnliche Petitionen gibt. Deshalb muss als Erstes geklärt werden, an welchen Aufgaben sich der Unmut genau entzündete: an jenen, die Bayern, Niedersachsen und die anderen Ländern jeweils exklusiv stellen, oder jenen aus dem sogenannten Pool, aus dem sich alle bedienen. Erst dann lässt sich bewerten, ob die vielen Petitionen wirklich von besonders harten Prüfungen zeugen - oder von einer sich bei Whatsapp und Instagram aufschaukelnden Erregungswelle, in der das eigene Abi immer das schwierigste ist. Dass viele Eltern längst für eine fast hysterische Grundstimmung rund ums Abitur sorgen, das angeblich allein über den weiteren Lebensweg entscheidet, darf dagegen schon jetzt als sicher gelten.

Nach derzeitigem Kenntnisstand entspringt der Protest in Bayern keineswegs einer kollektiven Überreaktion; es spricht aber auch wenig dafür, dass die Aufgaben schwerer waren, als der Lehrplan erlaubt. Was auch immer die Überprüfung ergibt: Die Politik hat den Auftrag, den Schwierigkeitsgrad der Abiturprüfung stabil zu halten, um dem Zufall wenig Raum zu geben. Zugleich muss sie der Versuchung widerstehen, das Niveau abzusenken - aus Angst, dass auch die Klasse von 2020 wieder laut wird.

© SZ vom 07.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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