Der neue Abhörskandal in Polen droht jetzt auch den Außenminister Radosław Sikorski und die Beziehungen des Landes zu den USA zu beschädigen. Wie Warschauer Medien am Sonntag berichteten, hat der konservative Politiker vor einiger Zeit bei einem privaten Gespräch in einem Warschauer Restaurant erklärt, die polnisch-amerikanische Allianz sei "nichts wert". "Sie ist sogar schädlich, denn sie gibt Polen das falsche Gefühl der Sicherheit", soll Sikorski erklärt haben.
Auf eine Zwischenfrage seines Gesprächspartners, des früheren Finanzministers Jacek Rostowski, fuhr der Außenminister den Berichten zufolge fort: "Völliger Bullshit. Wir streiten uns mit den Deutschen und mit Russland und werden glauben, dass alles super ist, weil wir den Amerikanern zu Gefallen waren. Trottel, komplette Trottel." Diese Wortlautauszüge aus dem Gespräch, das im Warschauer Edelrestaurant Amber Room stattgefunden haben soll, wollte die Zeitschrift Wprost an diesem Montag veröffentlichen.
Das Blatt hatte schon vor einer Woche über ein Treffen des Innenministers Bartłomej Sienkiewicz mit dem Präsidenten der Nationalbank, Marek Belka, berichtet. Dabei sollen die beiden ein für die Regierung günstiges Vorgehen der Nationalbank vor der nächsten Parlamentswahl verabredet haben. Die Grundlage war auch hier ein abgehörtes Gespräch in einem anderen Warschauer Restaurant.
Als Quelle ihrer Veröffentlichungen nannte die Wprost am Sonntag erstmals "einen Geschäftsmann". Welche Motive dieser Mann für seine Abhöraktion gehabt haben könnte, blieb vorerst offen. Bisher war spekuliert worden, hinter der Operation könnten Teile der polnischen Sicherheitsdienste, Handlanger der nationalkonservativen Opposition oder Agenten des russischen Geheimdienstes stecken. Die Zeitung Gazeta Wyborcza berichtete mit Berufung auf einen Hinweis aus dem Inlandsgeheimdienst, zu den Tätern gehörten ein Abgeordneter der Opposition, ein Journalist und frühere Geheimdienstoffiziere.
Abfällige Äußerungen
Ministerpräsident Donald Tusk hatte erklärt, dies sei "der erste Versuch seit 1989, mit illegalen Methoden die Regierung zu stürzen". Es sei möglich, dass die entstandene Vertrauenskrise nur noch durch vorzeitige Neuwahlen zu lösen sei. Die Opposition forderte den Rücktritt der Regierung, will aber eine vorzeitige Selbstauflösung des Parlaments nur dann mittragen, wenn für die Übergangszeit ein überparteiliches Technokraten-Kabinett eingesetzt wird.
Mit einer Ausweitung der Krise ist zu rechnen, weil neue Enthüllungen angekündigt sind, von denen weitere Politiker und prominente Wirtschaftsführer betroffen sein dürften. Im Fall Sikorski könnte auch dessen Bewerbung für das Amt des Hohen Vertreters der EU für Außen- und Sicherheitspolitik als Nachfolger der Britin Catherine Ashton tangiert sein.
Sikorski hatte sich laut den Veröffentlichungen bei der Unterhaltung im Restaurant auch negativ über die Mentalität seiner Landsleute geäußert und gesagt, sie litten unter "murzyńskość" - ein abfälliger, rassistischer Begriff - etwa "Negermentalität". "Das Problem, das wir in Polen haben, ist, dass wir einen sehr oberflächlichen Stolz und eine geringe Selbstachtung haben", sagte Sikorski. Andere Äußerungen der beiden Politiker beziehen sich auf innenpolitische Vorgänge in Polen in jüngerer Vergangenheit.