Abhörskandal in Großbritannien:Ex-Boulevardreporter tot aufgefunden

Er war einer der ersten, der über den Abhörskandal in Großbritannien auspackte: Ein ehemaliger Reporter von "News of the World" ist tot aufgefunden worden - die Ursache ist unbekannt. Die Nachricht versetzt das Land in Aufregung - an einem Tag, an dem schon die Scotland-Yard-Spitze hingeworfen hatte.

Am Dienstag sollen Medienunternehmer Rupert Murdoch und sein Sohn James vor dem britischen Parlament zum Abhörskandal um die Zeitung News of the World aussagen. Doch jetzt spricht England über etwas Anderes: Ein ehemaliger Reporter der Boulevardzeitung ist tot aufgefunden worden, der Premier David Camerons zurückgetretenen Kommunikationschef Andy Coulson schwer belastet hatte. Sean Hoare starb in seinem Wohnort Watford nördlich von London. Für einen gewaltsamen Tod gibt es laut Polizei allerdings keine Anzeichen.

David Cameron

David Cameron auf Staatsbesuch in Südafrika. Der britische Premier will wegen der Murdoch-Affäre seine Reise verkürzen und im Parlament Rede und Antwort stehen.

(Foto: AP)

Die Zeitung Guardian zitiert einen Beamten, Hoares Tod werde derzeit als "unerklärt" eingestuft, aber nicht als "verdächtig". Hoare hatte Alkohol- und Drogenprobleme - was ihn als Zeugen für illegale Machenschaften bei News of the World immer angreifbar machte(Nick Davies hat Hoare, sein wildes Leben als Reporter und seine Sucht im Guardian beschrieben).

Der Journalist Hoare hatte in der New York Times Anschuldigungen gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber erhoben, Journalisten der News of the World - inklusive Hoare selbst - hätten Telefone abgehört. Er war auch der erste, der Coulson beschuldigte, von den illegalen Taten seiner Reporter gewusst zu haben. Hoare hatte behauptet, er sei von Coulson - damals Chefredakteur der Skandalzeitung - zum Abhören von Mailboxen angestiftet worden Coulson stand bis 2007 an der Spitze des Blattes und war später Berater von Cameron. Vergangene Woche nahm ihn die Polizei vorübergehend fest und verhörte ihn zum Abhörskandal.

Der Abhörskandal um Murdoch griff am Montag immer mehr auf Politik und Polizei über: Nachdem der Londoner Polizeichef Paul Stephenson sein Amt aufgibt, verkürzt Premierminister David Cameron Berichten zufolge eine Reise nach Afrika. Cameron wolle sich nun in die Ermittlungen einschalten, berichtete der Guardian.

Statt vier Tage halte sich der Regierungschef nur zwei Tage in Afrika auf und besuche lediglich Südafrika und Nigeria. Besuche im Sudan und Ruanda seien abgesagt worden. Die Financial Times berichtete, Cameron kehre nach Großbritannien zurück, um Vorwürfe abzuwehren, sich während des Skandals nicht im Lande aufzuhalten.

Cameron will sich zudem vor dem Parlament rechtfertigen: Er sprach sich für eine Dringlichkeitssitzung am Mittwoch aus. "Dann kann ich noch einmal Stellung nehmen, das Haus auf den neuesten Stand der Ermittlungen bringen und Fragen beantworten, die heute oder morgen auftauchen", erklärte Cameron. Dafür forderte er einen Aufschub der Sommerpause des Parlaments, die planmäßig am Dienstag beginnt. Der Premier musste sich am Wochenende verteidigen, weil er sich in nur 15 Monaten Amtszeit 26 Mal offiziell mit Murdoch oder dessen Top-Managern getroffen hatte.

Polizeispitze tritt zurück

Am Sonntag war wegen der Abhöraffäre der Londoner Polizeichef Paul Stephenson zurückgetreten. Am Montag gab ein weiterer hochrangiger Beamter der Londoner Polizeibehörde sein Amt ab. Es handele sich um John Yates, teilte die Polizei mit. Der stellvertretende Polizeichef hatte 2009 entschieden, dass trotz neuer Vorwürfe keine neuen Ermittlungen in dem Abhörskandal aufgenommen werden. Eine Kommission der Polizeibehörde wollte sich noch am Montag mit dem Fall Yates befassen. Nach dem Rücktritt Stephensons sei Yates Position "unhaltbar" geworden, sagte Kommissionsmitglied Christopher Boothman. Yates äußerte sein Bedauern, erklärte aber zugleich, er habe sich in dem Skandal vollkommen integer verhalten.

Nach Angaben der britischen Polizei-Aufsichtsbehörde wurden Vorwürfe gegen zwei weitere ehemalige ranghohe Londoner Beamte erhoben. Die Aufsichtsbehörde wird nun zu möglicher Korruption bei der Polizei ermitteln. Innenministerin Theresa May erklärte, das Inspectorate of Constabulary werde Verbindungen zwischen der Polizei und den Medien unter die Lupe nehmen.

Stephenson hatte zuvor in mehreren Fernsehkanälen erklärt, ihm sei das Ausmaß der Bespitzelungsaffäre nicht klar gewesen. In seiner Rücktrittserklärung, die sehr vorsichtig formuliert gewesen sei, habe er allerdings auch Downing Street 10 angegriffen, berichtet der Guardian. Demnach sagte der ranghohe Polizist, die Nähe zu dem früheren News-of-the-World-Redakteur Andy Coulson gefährde Cameron als Premier.

Zuvor hatte Scotland Yard eingeräumt, dass Neil Wallis, der ehemalige stellvertretende Chefredakteur der News of the World, nach seinem Wechsel in die PR-Branche eine Zeitlang als Berater für die Polizei gearbeitet hatte. Auch Wallis war vor wenigen Tagen in Zusammenhang mit dem Abhörskandal festgenommen worden. "Anders als Andy Coulson musste Wallis seinen Stelle bei News of the World nicht aufgeben, und meines Wissens nach wurde er in keinster Weise mit den Abhöraktionen in Verbindung gebracht", erklärte Stephenson weiter.

Die Abgeordnete Yvette Cooper von der oppositionellen Labour-Partei ging auf den indirekten Angriff auf den Premier sogleich ein: "Die Leute werden sich fragen, warum für die Polizei andere Regeln gelten sollten als für den Premier, insbesondere nachdem - anders als Andy Coulson - Neil Wallis nicht gezwungen wurde, seine Arbeit bei News of the World aufzugeben", sagte sie dem Guardian. Cameron selbst wies dies einem Bericht der BBC zufolge zurück: Man könne keine Parallele zwischen dem Fall Wallis bei Scotland Yard und Andy Coulson in Downing Street ziehen. Die Situation in der Londoner Polizei sei eine gänzlich andere als die in der Regierung, da die Probleme dort das Vertrauen der Öffentlichkeit in die polizeilichen Ermittlungen beeinträchtigen könne, so der Premier.

Politiker wollen keine Konsequenzen tragen

Dem Guardian zufolge hätten mehrere ranghohe Polizeibeamte bestätigt, dass Stephensons Angriff auf den Premier beabsichtigt gewesen sei. Bei Scotland Yard sei man verärgert darüber, dass Stephenson bereit war, die Konsequenzen des Skandals zu tragen, während die politische Klasse dies bislang verweigere.

Eine Kur für 13.700 Euro

Commissioner Stephenson selbst war ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, weil er sich einen Kur-Aufenthalt im Wert von 12.000 Pfund (13.700 Euro) teilweise bezahlt haben lassen soll. PR-Chef des Kur-Unternehmens war zu dem Zeitpunkt Wallis. In seiner Rücktrittserklärung wies Stephenson die Anschuldigungen zurück.

Er erklärte: "Ich habe mich zu dieser Entscheidung durchgerungen als Konsequenz aus den andauernden Spekulationen und Anschuldigungen bezüglich der Verbindungen der Polizei mit News International und im Speziellen als Reaktion auf die Festnahme von Neil Wallis."

Am Sonntag hatte die Polizei darüber hinaus die Murdoch-Vertraute Rebekah Brooks festgenommen, die ehemalige Versitzende von News International. Brooks war zum Zeitpunkt der Abhöraktionen Chefredakteurin bei News of the World. Nach intensiver Befragung zur Affäre wurde die 43-Jährige gegen Kaution von der Polizei wieder freigelassen, wie Scotland Yard am frühen Montagmorgen mitteilte. Sie wird sich am Dienstag einer Befragung im Parlament stellen - ebenso wie Rupert Murdoch selbst und sein Sohn James.

Der Anwalt der Ex-Chefredakteurin kritisierte am Montag die Polizei wegen der Festnahme von Brooks. Die Polizei habe seiner Mandantin während ihres neunstündigen Verhörs zum Abhörskandal kein Vergehen vorgeworfen, sagte Stephen Parkinson. Die Ermittler hätten ihr auch keine Beweise vorgelegt, die sie in Verbindung mit einer kriminellen Handlung brächten. Die Polizei müsse daher erklären, warum sie die 43-Jährige ungeachtet des "enormen Schadens für ihr Ansehen" festgenommen habe.

Linktipp: Der Guardian hat die Rücktrittserklärung von Scotland-Yard-Chef Paul Stephenson im Wortlaut veröffentlicht.

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