Abhörskandal der NSA:Amerikas großes Ohr

NSA

Überblick über die Überwachungsprogramme der NSA

(Foto: SZ-Grafik)

"Selbstverständlich werden alle Telefonate abgehört." Der Satz aus dem Jahr 1972 beweist: Das Wissen um das Tun der National Security Agency ist mehrere Jahrzehnte alt. Auch dass die NSA befreundete Staaten abschöpft, ist schon seit vielen Jahren bekannt. Die Geschichte eines ständigen Verdrängungsprozesses.

Von Christopher Keil und Frederik Obermaier

Der Direktor von Amerikas mächtigstem Geheimdienst zögerte einen Augenblick. Dann sagte er: "Die National Security Agency hat systematisch internationale Kommunikation abgehört." Die NSA zapft Kabel an, hört Telefonate mit und liest private wie geschäftliche Korrespondenz. Das klingt bekannt. Es klingt wie eine Bestätigung der Enthüllungen des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden, der im Juni das Ausmaß der Spionage beschrieb und seither auf der Flucht ist. Allerdings heißt der geständige NSA-Direktor nicht Keith B. Alexander, sondern Lew Allen. Was Allen sagte, sagte er vor 38 Jahren, am 8. August 1975.

Die Geschichte der NSA ist eine Geschichte der ignorierten Warnungen, der Heuchelei und einer spitzfindigen, komplizierten und staatsrechtlich heiklen Gesetzeslage, weil Geheimes ja eigentlich der Geheimhaltung unterliegt. Das Ausmaß der durch Edward Snowden bekannt gewordenen Überwachung ist neu, die Methoden des größten aller amerikanischen Geheimdienste sind es nicht. Wirklich gestört hat das Wirken der NSA noch keine deutsche Regierung. Die Treue zum großen Bündnispartner stand stets über allem.

Auch der BND lernte von der NSA

1972 verriet ein früher Vorgänger Snowdens, der Entschlüssler Perry Fellwock, erstmals Erhellendes aus der Welt der Agency. Im Gespräch mit dem linkskatholischen amerikanischen Magazin Ramparts nannte er das Arbeitsprinzip der NSA das einer "Nachrichten-Diktatur": "Selbstverständlich werden alle transatlantischen und transpazifischen Telefonate in die USA oder aus den USA abgehört." Es gebe kein Land, das die NSA nicht ausspioniere; sie sammle "Informationen über sie alle".

Wie man alle ausspäht, wollten offenbar auch die deutschen Dienste lernen. Dieter Blötz, in den Siebzigerjahren Vizepräsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), reiste regelmäßig nach Fort Meade, Maryland, ins Hauptquartier der NSA.

Die Amerikaner hatten da längst die Bürger der Bundesrepublik im Visier. Telefonate wurden abgehört und Briefe gelesen. In München hatte sich die NSA in die Oberpostdirektion einquartiert, wo auch das Fernmeldeamt untergebracht war. Eine erste Bundestagsaussprache über das "Abhören privater Telefongespräche durch die NSA" fand 1982 statt. Das Innenministerium wurde gefragt, auf welcher Grundlage die NSA "massenhaft private Telefongespräche" abhöre. Ein Staatssekretär erklärte: "Die Bundesregierung hält an ihrer bisherigen Übung fest, Einzelheiten nur vor den zuständigen parlamentarischen Kontrollorganen, nicht aber in der Öffentlichkeit zu erörtern."

Sieben Jahre später, 1989, titelte der Spiegel: "Amerikas großes Ohr". 350 geheimdienstliche Zentren und Kommandos der USA sollen damals in der Bundesrepublik tätig gewesen seien. Eine Horchstation sei am Fernsprechknotenpunkt in Frankfurt installiert worden. Die NSA habe sich "Am Hauptbahnhof 6" eingemietet - im selben Gebäude wie der BND. Nur wenige Kilometer davon entfernt liegt heute der Internetknotenpunkt De-Cix. Er wird wohl vom BND abgefischt und womöglich auch von der NSA.

In den vergangenen 30 Jahren gab es im Bundestag Dutzende Fragestunden, Anfragen, sogar Untersuchungsausschüsse zu Lauschangriffen der US-Dienste. Das Thema kommt immer wieder in Schüben, wie eine Fieberkrankheit, und der Bundestag befasst sich aufgeregt mit dem Befund, wenn er vom nächsten Schub geschüttelt wird. Im Grunde wird jedes Mal wieder "der umfassendste Eingriff" in die Grundrechte diagnostiziert, wie Thomas Oppermann (SPD) jüngst formulierte. Jedes Mal ohne Folgen.

Snowdens Enthüllungen sind "nur für den überraschend, der Bekanntes verdrängt hat"

Bereits Ende der Achtzigerjahre beschrieb der britische Journalist Duncan Campbell im Magazin New Statesman ein bedrohliches Spionagenetzwerk: Echelon, auch bekannt als P415, mit dem die NSA die "globale elektronische Überwachung" anstrebte. Eine NSA-Mitarbeiterin hatte Campbell erzählt, dass die Geheimdienste sich in private Gespräche von Politikern schlichen. Direkt betroffen sei auch Deutschland, genauer: Bad Aibling.

Nahe des oberbayerischen Städtchens lag eine der wichtigsten NSA-Stationen, ausgerüstet mit gigantischen Antennen. "Vorsicht, Freund hört mit", warnte damals der Spiegel. Das Ende des Kalten Krieges führte dazu, dass die NSA ihre Lauscher auch nach Westen ausrichtete. Satelliten sammelten unermüdlich elektronische Signale: Telefonate, Faxe, Computerverkehr.

In einem Bericht des Amts zur Bewertung von Technikfolgen, das dem Europaparlament zugeordnet ist, hieß es 1998: "Innerhalb Europas werden alle Mails, Telefonate und Faxe routinemäßig von der NSA abgefangen." Deutschlands Politik horchte kurz auf, im Bundestag kam eine mögliche "Industriespionage der NSA" zur Sprache - "die Bundesregierung verfügt nicht über entsprechende Erkenntnisse", lautete die Antwort. Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags pilgerte nach Bad Aibling, knipste Erinnerungsfotos vom "großen Ohr". Damit war die Sache erledigt.

Demonstrators Protest NSA Surveillance

Demonstration gegen die Abhörpraktiken der NSA Ende Juli in Berlin

(Foto: Getty Images)

Im Juli 2001 bestätigte der stellvertretende EU-Parlamentspräsident Gerhard Schmid (SPD) in einem Untersuchungsbericht "die Existenz eines globalen Abhörsystems für private und wirtschaftliche Kommunikation". Auf den 192 Seiten hatte er sich unter anderem mit den aufkommenden unterseeischen Glasfaserkabeln befasst. Diese könnten nur an den Endpunkten abgehört werden. In Europa, schloss Schmid daraus, könne die NSA mit ihren Verbündeten lediglich Kabelendpunkte in Großbritannien abhören.

Die Zäsur: 11. September 2001

Snowden hat das jetzt bestätigt. Schmid verschickt nun ein Dokument mit dem Titel "Was wissen wir bereits seit 2001?" Dort steht: Was Snowden aufgedeckt habe, sei nur dann überraschend, "wenn man das Bekannte verdrängt hat".

Am 11. September 2001 veränderte sich die Welt durch die Anschläge in New York. Die USA zogen in den Krieg gegen den Terror, die NSA rüstete auf, und Deutschland schaute zu. Präsident George W. Bush erlaubte den Diensten, Glasfaserkabel auszulesen. "Partner aus dem privaten Sektor haben seit November 2001 damit begonnen, Telefon- und Internetdaten zu liefern", heißt es in einer als "Top Secret"-eingestuften Note des Generalinspekteurs der NSA - der Anfang einer geräuschlosen Zusammenarbeit von NSA und IT-Industrie. Und Europas Politiker wussten davon. Der Europa-Parlamentarier Erik Meijer wollte 2002 von Rat der EU erfahren, was es mit Plänen des US-Verteidigungsministerium auf sich habe, "in aller Welt Datenbanken und Informationsströme, von Fluggesellschaften, Einwanderungsdiensten, Banken und Kommunikationssystemen" analysieren zu lassen. Antwort: Man könne nichts dazu sagen. Außer: Das sei doch bekannt - aus öffentlich zugänglichen Quellen.

Mit dem technischen Fortschritt stieg zwar die Lust der NSA auf absolute Kontrolle, es wuchs aber auch die Zahl der Whistleblower, denen die Willkür der Agency zu schaffen machte. 2003 sagte eine britische Geheimdienstangestellte aus, dass die NSA Mitglieder des UN-Sicherheitsrates abhöre. Wenig später schrieb die New York Times, dass die US-Regierung ohne richterliche Genehmigung abhört und mitliest. 2006 verriet Mark Klein, ein ehemaliger Techniker der Telefonkonzerns AT&T, dass es im Internetknotenpunkt San Francisco einen geheimen Raum der NSA gebe: Darin werde pausenlos Datenverkehr zwischen Amerika, Asien und der Pazifikregion kopiert. Auch in Seattle, Los Angeles, San Diego und San José sei die NSA aufgetaucht. Plötzlich standen Hunderttausende Menschen unter Generalverdacht. Für ihre AT&T-Operation setzte die Agency Hardware der Firma Narus Inc. ein. Partner von Narus in Deutschland wurde das mittlerweile aufgelöste Frankfurter Unternehmen GTS - nach Recherchen des MDR-Politikmagazins "Fakt" eine Tarnfirma des BND. Der deutsche Geheimdienst hatte also Zugang zur Hardware der NSA.

Durch Snowden wurde jetzt bekannt, dass der BND auch die Analysesoftware X-Keyscore nutzt, zu der sich NSA-Experte James Bamford schon 2008 öffentlich geäußert hatte. Laut am Mittwoch bekannt gewordenen Geheimdienstpapieren ermöglicht das Programm, Internetnutzer in Echtzeit zu überwachen. William Binney, der 40 Jahre für die NSA gearbeitet hatte, verriet, dass zuvor wohl schon das Datenerfassungsprogramm ThinThread an den BND übergeben worden sei. ThinThread sollte aus der unfassbaren Datenfülle den interessantesten Stoff herausfiltern, wurde aber bald durch Trailblazer ersetzt, einen gigantischen Datenstaubsauger.

2006 traf eine E-Mail in der Redaktion der Baltimore Sun ein. Ihr Inhalt: Details über ein NSA-Programm, das darauf abziele "das Internet zu besitzen". Es ist heute ein Partnerprogramm von Prism. Etwa zur gleichen Zeit, 2007, wurde im Bundestag die Kontrolle der NSA über den "gesamten deutschen Fernsprechverkehr einschließlich elektronischer Post" problematisiert. Die Antwort: "Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse (. . .) vor." Keine Erkenntnisse: Das ist der Klassiker. Am 17. Juni wurde er wieder bemüht, als offizielle Reaktion im Parlament zu Prism.

Die Überwachungsprogramme der NSA
Das Daten-Rätsel
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Am Anfang war es nur ein Wort. Rot unterlegt stand es da auf einem Organigramm des US-Militärs, unter der Überschrift "Geheimdienst": Prism. Das war vor acht Jahren. Der amerikanische Ex-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden machte schließlich diesen Juni öffentlich, was sich hinter dem Wort verbergen soll: ein umfangreiches Überwachungsprogramm des US-Geheimdienstes National Security Acency (NSA). Millionen Daten würden Tag ein Tag aus abgegriffen, von Internet- und Telefonnutzern weltweit. Allein aus Deutschland sollen monatlich 500 Millionen Datensätze bei der NSA eingelaufen sein.

Der US-Gemeindienst verbreitete indes eine Mitteilung wonach es nicht ein, sondern drei Prism-Programme gebe. Demnach existiere das Programm, von dem Edward Snowden sprach, außerdem ein "collection management tool" des US-Verteidigungsministeriums. Und noch dazu: ein Prism-Portal zum Informationsaustausch. Tatsächlich taucht auf den bislang veröffentlichten NSA-Präsentationen nicht nur Prism auf, sondern auch Programme namens Stormbrew, Blarney, Oakstar, Mainway oder Fairview - Prism ist also nur ein Teil eines viel umfassenderen Abhörprojekts der NSA.

Frederik Obermaier

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