Abhörpraktiken bei den UN:Letzte Zuflucht Safe Room

UN Gunter Pleuger

Gunter Pleuger während einer UN-Debatte über den Irak im Jahr 2003.

(Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)

Spionage-Angriff auf die Koalition der Unwilligen: Zwei hohe Regierungsbeamte aus der Zeit Gerhard Schröders berichten, warum die Amerikaner sie in der Zeit vor dem Irakkrieg ausspionierten - und wie Diplomaten schon 2002 merken konnten, dass sie überwacht werden.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Es waren wilde Zeiten damals, im Jahr 2002. Die USA bereiteten sich auf einen Einmarsch im Irak vor. Kanzler Gerhard Schröder versprach im Bundestagswahlkampf, dass Deutschland sich an dem Krieg nicht beteiligen würde. Im UN-Sicherheitsrat übernahm Deutschland als nichtständiges Mitglied den Vorsitz. Noch nie war die Kluft zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik so groß wie während der Irak-Krise.

Heute ist klar: Für die USA bot das deutsche Nein zum Irakkrieg den Anlass, den Nachrichtendienst NSA direkt auf Schröder anzusetzen. Heute schlägt dieser Umstand hohe Wellen, da es nach Recherchen von SZ und NDR erstmals Belege dafür gibt. Aber schon damals hätten diese Erkenntnisse hochrangige Regierungsvertreter offenbar nicht sonderlich überrascht.

Kann sich etwa Schröders damaliger außenpolitischer Berater im Kanzleramt, Bernd Mützelburg, vorstellen, dass sein Chef Ziel von US-Abhöraktionen war? Mützelburg antwortet umgehend: "Aber selbstverständlich kann ich mir das vorstellen." Geheimdienste würden das tun, was ihnen möglich sei, sagt er. Das sei ihr Job.

Vertraulichkeiten nur verschlüsselt

Diese Erkenntnis hatte er seinerzeit seinem Chef voraus: "Damals wäre ich nicht auf die Idee gekommen, von amerikanischen Diensten abgehört zu werden; jetzt überrascht mich das nicht mehr", erklärte Gerhard Schröder auf Anfrage der SZ.

Das Ausmaß der amerikanischen Abhör-Wut sei ihm zwar nicht bewusst gewesen, sagt Mützelburg. "Es gab nicht das klare Lagebild wie heute." Doch schon damals sei allen völlig klar gewesen, "dass Handytelefonate abgehört wurden", sagt Mützelburg. Vertrauliche Gespräche führte man verschlüsselt über das Bürotelefon.

Für Gunter Pleuger war dies genauso selbstverständlich. Pleuger wurde 2002 deutscher Botschafter bei den Vereinten Nationen und vertrat Deutschland in den nervenaufreibenden Sitzungen im UN-Sicherheitsrat. Vor allem aber hielt er die elf Länder des 15 Nationen umfassenden Gremiums zusammen, die sich gegen den Krieg aussprachen. Dazu zählten auch Frankreich und Russland.

Abhörstrategien ein offenes Geheimnis

Pleuger macht sich keine Illusionen: "Allen UN-Botschaftern war klar, dass die sogenannten 'Five Eyes', also die USA, Großbritannien, Kanada, Neuseeland und Australien, sich das Abhören der UN-Vertretungen in New York untereinander aufgeteilt hatten. Aber das war kein Thema, über das sich seinerzeit in New York jemand aufgeregt hätte." Allerdings sei damals noch nicht bekannt gewesen, dass auch die Räumlichkeiten der Vereinten Nationen abgehört wurden.

US-Beschwerden über konspirative Treffen

Auch Pleuger störte sich daran nicht. Abgehört zu werden war Teil der Jobbeschreibung. "Bei den Vereinten Nationen gibt es überhaupt nichts, was geheim bleibt. Denn in den UN wird mit Mehrheit entschieden, deshalb müssen alle mit allen kommunizieren", sagt Pleuger. Deutschland hatte zudem seiner Ansicht nach kaum etwas zu verbergen. "Schröders Haltung war klar. Er wollte den Krieg nicht. Das war nicht geheim. Darum spielte die Frage, ob wir abgehört wurden, keine so entscheidende Rolle."

Wenn es doch mal vertraulich werden musste, damals, Ende 2002, Anfang 2003, wurden Sitzungen eben in den Safe Room der deutschen Botschaft verlegt. "Da konnten wir strategische und taktische Gespräche vertraulicher Art führen. Das war eine Art Faradayscher Käfig, da ging nichts raus."

Was Pleuger da so sicher macht? "Nun, immer, wenn sich dort während der Irak-Debatten die elf Länder aus dem UN-Sicherheitsrat trafen, die unsere Position teilten, beschwerten sich die USA in Berlin über mich, ich würde amerikanische Interessen unterwandern. Das passierte nur, wenn wir im Safe Room waren."

Echte Beweise dafür, abgehört zu werden, hatte Pleuger in New York genauso wenig wie Mützelburg im Kanzleramt. Aber das war offenbar auch nicht nötig. "Für uns war das selbstverständlich", sagt Mützelburg. Es sei klar gewesen, dass die Amerikaner wissen wollten, was genau die deutsche Position war. "Alles andere wäre naiv gewesen."

Abhörsicherer Schröder

Die Amerikaner wollten demnach vor allem erfahren, ob sich die Debatten unter den elf Gegnern eines Krieges gegen den Irak veränderten, beziehungsweise ob "einer von den drei großen - die Franzosen, Russen oder wir - schwanken würden", sagt Mützelburg. Was am Ende nicht geschah. Im Sicherheitsrat erhielten die USA für den Kriegseinsatz im Irak nie eine Mehrheit.

Und der Altkanzler muss nicht von sich behaupten, es der NSA besonders leicht gemacht zu haben. "Herr Schröder hat meines Wissens kein Handy getragen", berichtet Mützelburg. "Und wenn er doch einmal mit einem Handy telefonieren musste, dann ließ er sich von Mitarbeitern eines geben. Das waren aber meist private Telefonate."

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