Abhör-Affäre:Großbritannien betreibt offenbar Spähposten in Berliner Botschaft

Eine Abhörstation in unmittelbarer Nähe zu Kanzleramt und Reichstag: Luftaufnahmen und Geheimdienstdokumente legen nahe, dass auch auf dem Dach der britischen Botschaft Daten abgefangen werden können. Die deutsche Spionageabwehr hat das Gebäude offenbar schon länger im Visier.

Der britische Geheimdienst GCHQ betreibt einem Zeitungsbericht zufolge auf dem Dach der Botschaft im Berliner Regierungsviertel einen Spähposten. Das berichtet die Zeitung Independent unter Berufung auf Dokumente des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden.

Die Unterlagen sowie Luftaufnahmen und weitere Informationen legten nahe, dass dabei Hightech-Ausrüstung zum Einsatz komme. Auf dem Grundstück befinde sich ein zylinderförmiges Bauwerk, das Abhörstationen ähnlich sehe. Die zeltähnliche Vorrichtung sei von der Straße aus nur schwer erkennbar.

Die Station, die Ferngespräche, Handytelefonate und Wlan-Daten abfangen soll, soll sich seit der Eröffnung der Botschaft vor 13 Jahren dort befinden. Sie ähnele dem einstigen Horchposten von Briten und Amerikanern auf dem Berliner "Teufelsberg", mit dem vor dem Mauerfall ostdeutsche und sowjetische Kommunikation abgehört worden war, schreibt das Blatt. Belege wurden nicht veröffentlicht.

Dem Bericht zufolge betreibt der britische Nachrichtendienst Spähposten in diplomatischen Vertretungen weltweit und arbeitet dabei mit den USA und anderen Staaten zusammen. Der Nachrichtendienst war zunächst nicht für eine Stellungnahme erreichbar. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Großbritannien dürften damit wie die zu den USA auf eine harte Probe gestellt werden.

Die britische Botschaft selbst will zu Berichten keine Stellung beziehen. "Ich kann zu geheimdienstlichen Aktivitäten keine Auskunft geben", sagte eine Mitarbeiterin.

Vorwürfe gegen britische Regierung

Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages, Thomas Oppermann, hat mit Besorgnis auf den Bericht reagiert. Sollten Briten tatsächlich in der Hauptstadt spionieren, müsse man sich sofort damit beschäftigen, sagte der SPD-Politiker im Deutschlandfunk. Die Spionageabwehr in Deutschland solle umgestellt werden. Künftig müsse es auch bei Verbündeten heißen: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

Auch der Grünen-Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht kritisierte, dass die Abhörstation nur gegen Politiker und Journalisten gerichtet sein könne, die wohl kaum eine Bedrohung darstellten. Das und die Weigerung der britischen Regierung, die GCHQ-Aktivitäten aufzuklären, sei nicht im Sinne der europäischen Zusammenarbeit. "Wir sind keine Feinde", sagte Albrecht. Ein Sprecher von Premier David Cameron wollte die Vorwürfe nicht kommentieren.

Innenpolitiker der Union forderten ebenfalls Konsequenzen. "Die neuesten Entwicklungen zeigen, dass man auch mit Großbritannien ein No-Spy-Abkommen schließen sollte", sagte der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach dem Tagesspiegel. "Es ist zwar bedauerlich, dass solche Verträge unter Partnern überhaupt notwendig sind, aber eine Komplettausspähung ist völlig inakzeptabel." Der CSU-Abgeordnete Hans-Peter Uhl sagte dem Blatt: "Wir müssen es allen Spionen, egal woher sie kommen, schwerer machen als sie es bisher haben."

Mutmaßliche US-Spähangriffe auf das Mobiltelefon von Kanzlerin Angela Merkel belasten seit Wochen das Verhältnis zwischen den Regierungen in Berlin und Washington. Medienberichten zufolge sollen amerikanische Geheimdienste auch die US-Botschaft am Brandenburger Tor für Spionage im Regierungsviertel genutzt haben.

Die britische Botschaft liegt nur wenige Meter entfernt in der Wilhelmstraße. Das Gebäude wurde im Jahr 2000 in unmittelbarer Nähe von Reichstag und Kanzleramt eröffnet. Die Dienste der USA und Großbritanniens arbeiten eng zusammen und sind zusammen mit Australien, Kanada und Neuseeland Teil des "Five Eyes"-Verbundes zum Austausch geheimer Informationen.

Deutsche Spionageabwehr hatte Botschaft im Visier

Das Gebäude der britischen Botschaft ist bereits seit Bekanntwerden der NSA-Affäre im Juli verstärkt im Visier der deutschen Spionageabwehr.

Die damals beim zuständigen Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) gebildete Sonderarbeitsgruppe beschäftige sich nicht nur mit Spionageattacken der US-Geheimdienste in Deutschland, sondern auch mit solchen von britischen und französischen Nachrichtendiensten, teilte das BfV mit. "Es werden alle Hinweise geprüft", sagte eine Sprecherin. "Befreundete Nachrichtendienste werden aber nicht systematisch beobachtet, sondern nur, wenn es Anhaltspunkte gibt."

In unregelmäßigen Abständen würden seit langem alle Botschaften in Berlin mit Hubschraubern überflogen, um Hinweise auf eine Spionagetätigkeit zu entdecken. Aber selbst wenn Antennen entdeckt würden, könne meist nicht festgestellt werden, welchem Zweck sie dienten.

Zudem gebe es keine Handhabe für die deutschen Sicherheitsbehörden, Botschaften zu durchsuchen - diese gelten rechtlich nicht als deutsches Staatsgebiet. "Der Prüfung sind Grenzen gesetzt", hieß es weiter. Die Ergebnisse der Nachforschungen würden den Aufsichtsbehörden wie dem Bundesinnenministerium und dem Bundestagsgremium zur Kontrolle der Geheimdienste mitgeteilt.

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