Abgestürzter Flug MH17:Kerry wütend über "betrunkene Separatisten" am Absturzort

A pro-Russian separatist holds a stuffed toy found at the crash site of Malaysia Airlines flight MH17, near the settlement of Grabovo in the Donetsk region

Ein pro-russischer Separatist hält am Absturzort ein Kuscheltier aus der Maschine MH17 in die Höhe (Archiv vom 18.7.2014): US-Außenminister Kerry macht genau diese Leute für den Abschuss verantwortlich

(Foto: REUTERS)

US-Außenminister Kerry weist Moskau deutlicher denn je Mitverantwortung am Schicksal des Passagierflugzeugs MH17 zu. Unterdessen verspricht Russlands Präsident Putin den Niederlanden die Übergabe der Flugschreiber.

  • Ein von den Niederlanden koordiniertes Team von Forsensik-Experten reist für die Identifizierung der Opfer nach Donezk.
  • Russlands Präsident Putin sicher Niederlande Übergabe der Black Boxes zu.
  • UN-Sicherheitsrat verhandelt über Resolution, die von prorussischen Rebellen uneingeschränkte Zusammenarbeit fordert.
  • USA drohen Russland.
  • US-Außenminister Kerry geht davon aus, dass MH17 mit einem Raketensystem aus Russland abgeschossen wurde.
  • USA: Audiomitschnitt ist echt

Luftfahrt-Experten reisen ins Absturzgebiet

Nach massiven Klagen über Behinderungen am Absturzort der malaysischen Boeing sind Forensik-Experten in das von Rebellen kontrollierte Gebiet bei Donezk gereist. Das Flugzeug der niederländischen Luftwaffe hat Forensiker der Polizei und Material für die Identifizierung der Opfer an Bord. Die Niederlande werden die internationale Identifizierung der Opfer in der Ostukraine koordinieren, gab der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte in Den Haag bekannt.

Putin verspricht den Niederlanden Übergabe der Flugschreiber

Unterdessen hat der russische Präsident Wladimir Putin den Niederlanden seine Unterstützung bei der Übergabe der sterblichen Überreste der Opfer des abgestürzten Flugzeuges sowie der Flugschreiber zugesichert. Das habe er dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte in einem Telefongespräch zugesagt, teilte ein Regierungssprecher in Den Haag mit.

UN-Sicherheitsrat verhandelt über Resolution zu Absturz von MH17

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verhandelt derzeit über eine Resolution zum Flugzeugabsturz in der Ostukraine. Westlichen Diplomaten zufolge hat Australien einen Entwurf vorgelegt, der von allen Beteiligten, insbesondere den prorussischen Rebellen, eine uneingeschränkte Zusammenarbeit mit den internationalen Behörden fordert. Gleichzeitig soll das Papier jede Manipulation an der Absturzstelle verbieten. Es fordert zudem, dass die Flugschreiber und andere Beweisstücke sofort auszuhändigen sind. Die australische UN-Mission setzte nach Angaben westlicher Diplomaten ihren Resolutionsentwurf "in blau". Damit ist das Papier abstimmungsreif und könnte nach der üblichen Frist von 24 Stunden zur Entscheidung kommen. Weil Moskau die Resolution mit seinem Veto verhindern kann, ist der Ausgang allerdings völlig offen.

Kerry: Das ist der Augenblick der Wahrheit für Putin

US-Außenminister John Kerry hat die Europäer in mehreren TV-Talkshows aufgerufen, dem Beispiel Washingtons zu folgen und ihre Sanktionen zu verschärfen. Es wäre enorm hilfreich, wenn einige europäische Länder, die bisher "ein wenig abgeneigt" seien, sich den USA anschlössen, sagte Kerry am Sonntag dem Sender CNN. Die Vorgänge um den mutmaßlichen Flugzeugabschuss sollten als "Weckruf" dienen. In einem Interview des Senders ABC fügte Kerry hinzu, dass die USA "absolut darauf vorbereitet" seien, selbst "noch einen Schritt weiter" zu gehen und mehr Strafmaßnahmen zu verfügen, wenn dies nötig würde.

"Das ist Augenblick der Wahrheit für Putin", sagte Kerry CNN. Es sei an der Zeit, dass Russland "Teil der Lösung und nicht länger Teil des Problems" sei, fügte er bei ABC hinzu. Es gebe eine enorme Menge von Fakten, die die russische Verbindung zu den Separatisten belegten. "Wir haben Bilder vom Raketenabschuss, wir wissen über die Flugbahn Bescheid", sagte Kerry dem Sender NBC. Dazu gehörten aber auch die Ausbildung und die Versorgung der Rebellen mit Waffen. Er forderte den russischen Präsidenten Wladimir Putin erneut auf, die russische Unterstützung der Separatisten zu stoppen und dafür zu sorgen, dass die Umstände des Flugzeugabsturzes uneingeschränkt untersucht werden könnten.

Er prangerte andauernde Behinderungen der Ermittlungen durch die Separatisten an, die beispielsweise Material von der Absturzstelle entfernt hätten. Ferner gebe es Aufnahmen von "prahlenden" Separatisten nach dem "Abschuss". Das Verhalten der prorussischen Rebellen am Absturzort der Boeing nannte Kerry "grotesk". "Betrunkene Separatisten" würden die Ermittlungsarbeiten behindern, pietätlos Leichen aufeinanderstapeln und "Spuren verwischen".

Kerry: Gegen MH17 genutztes Raketensystem kommt aus Russland

Das malaysische Passagierflugzeug MH17 ist nach Einschätzung Kerry mit einem Raketensystem abgeschossen worden, das den prorussischen Separatisten im Osten der Ukraine von Russland gestellt wurde. "Es ist ziemlich klar, dass dieses System von Russland in die Hände der Separatisten gelangte", sagte Kerry weiter zu CNN. Bei dem Absturz der malaysischen Boeing am Donnerstag in der Ostukraine kamen alle 298 Insassen ums Leben.

Zuvor hatte die Washington Post Ähnliches berichtet. Demnach hätten die Separatisten von Russland das Flugabwehrsystem Buk erhalten. Anschließend seien die verbliebenen Raketen wieder auf russisches Territorium geschafft worden, berichtete die Zeitung unter Berufung auf einen US-Regierungsvertreter. Die US-Geheimdienste hätten vor etwa einer Woche Hinweise darauf erhalten, dass die Boden-Luft-Raketen den prorussischen Separatisten zur Verfügung gestellt worden seien, heißt es in dem Bericht weiter. Der ukrainische Geheimdienstchef Witali Najda habe berichtet, dass eine Batterie des Systems mit einer fehlenden Rakete am Freitag früh die Grenze nach Russland überquert habe. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte dementiert, dass die prorussischen Separatisten von Russland aus militärisch unterstützt werden.

USA: Audiomitschnitt ist echt

Nach Angaben der US-Botschaft in Kiew haben Experten zudem die Authentizität eines vom ukrainischen Geheimdienst veröffentlichten Audiomitschnitts bestätigt, der ein Gespräch zwischen "bekannten Separatistenführern" nach dem Abschuss von MH17 wiedergeben soll. Nach dem Vergleich der Aufzeichnung mit früheren Tondokumenten sei nun klar, dass die Passagiermaschine von einer Boden-Luft-Rakete vom Typ SA-11 des Flugabwehrsystems Buk abgeschossen worden sein müsse, die vom Einflussgebiet der Rebellen aus abgefeuert wurde.

Separatisten melden möglichen Fund der Black Box von MH17

Die Separatisten haben nach eigenen Angaben am Absturzort des Flugzeugs in der Ostukraine "Flugzeugteile" gefunden, die "Black Boxes ähneln". Die gefundenen Teile könnten sie nicht selbst untersuchen, weil sie dafür keine Spezialisten hätten, sagte Rebellenführer Alexander Borodaj am Sonntag in Donezk. Ukrainischen Ermittlern brächten die Rebellen "kein Vertrauen" entgegen, das Material könne jedoch "internationalen" Ermittlern übergeben werden. Bei einer Black Box handelt es sich um ein Gerät, das die Flugdaten aufzeichnet und ein weiteres, das die Gespräche im Cockpit speichert.

OSZE-Beobachter beklagen chaotische Zustände am Absturzort

Die Untersuchungen am Absturzort werden den Ermittlern erschwert. Die Experten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) seien auch bei ihrer zweiten Inspektion des Absturzortes bei jedem Schritt von bewaffneten und zum Teil maskierten Männern verfolgt worden, berichtete Sprecher Michael Bociurkiw am Samstagabend aus Donezk.

Um die Arbeit der eigentlichen Spezialisten am Absturzort vorbereiten zu können, bräuchten die OSZE-Mitarbeiter Bewegungsfreiheit und eine Atmosphäre der Ruhe. Beides sei nicht gegeben. Auf Seiten der Aufständischen fehle es zudem an Ansprechpartnern. "Es gibt dort keinen eindeutigen Befehlshaber", sagte Bociurkiw. Das erschwere auch die Suche nach den beiden Flugschreibern der Boeing. Es sei unklar, wo sich die Geräte befinden. "Niemand kann das beantworten. Das ist ein sehr, sehr großes Rätsel."

Separatisten sollen Todesopfer in Kühlwaggons gebracht haben

Leichen von Insassen des Passagierflugzeugs werden offenbar in Eisenbahn-Kühlwaggons aufbewahrt. Dort würden sie bleiben, bis klar sei, was mit ihnen geschehen solle, sagte der hochrangige Rebellenvertreter Sergej Kawtaradse der Nachrichtenagentur Reuters. Nach Separatistenangaben wurden bislang 196 Tote entdeckt. Ein AFP-Reporter berichtet unterdessen, dass am Absturzort keine Leichen mehr zu sehen seien. Auch die bewaffneten Separatisten, die das Gebiet zunächst kontrolliert und abgeriegelt hatten, schienen nicht mehr vor Ort zu sein.

Malaysia Airlines bietet Kunden Umbuchungen und Stornierungen an

Nach dem mutmaßlichen Abschuss von MH17 hat Malaysia Airlines ihren Kunden weitreichende Umbuchungs- und Stornierungsmöglichkeiten eingeräumt. Das Angebot gelte für alle Destinationen, erklärte die Fluggesellschaft. Außerdem werde die Flugnummer MH17 "aus Respekt" vor der Crew und den Passagieren zurückgezogen. Die täglichen Flüge von Amsterdam nach Kuala Lumpur liefen von nun an unter der Flugnummer MH19, hieß es.

Merkel, Cameron und Hollande drohen Putin mit schärferen Sanktionen

Kanzlerin Angela Merkel, der französische Präsident François Hollande und der britische Premierminister David Cameron haben Moskau mit einer Verschärfung der EU-Sanktionen gedroht. Putin müsse umgehend Druck auf die moskautreuen Rebellen in der Ostukraine ausüben, damit diese den ungehinderten Zugang zur Absturzstelle ermöglichten, erklärten der Élyséepalast und die britische Regierung nach Telefonaten. "Bei beiden Anrufen ging es um zwei wichtige Fragen: Den Zugang zur Absturzstelle und die Haltung der EU zu Russland in Anbetracht der Tatsache, dass alles darauf hindeutet, dass die Rakete von prorussischen Separatisten abgeschossen wurde", sagte ein Sprecher der britischen Regierung. Ein Sprecher des Bundespresseamtes bestätigte lediglich, dass die Kanzlerin mit Cameron und Hollande telefoniert hat, konnte zu den Inhalten aber zunächst nicht Stellung nehmen.

Australien hat bei den 15 Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates indes einen Resolutionsentwurf zum Absturz von MH17 in Umlauf gebracht. Damit soll der mutmaßliche Abschuss der Passagiermaschine verurteilt werden. Außerdem werden die Separatisten demnach aufgefordert, den Zugang zur Absturzstelle zu ermöglichen. An die Staaten der Region soll zudem die Aufforderung ergehen, bei der internationalen Untersuchung des Falls zu kooperieren. Diplomaten zufolge könnte bereits am Montag über die Resolution abgestimmt werden.

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