In der Geschichte der deutsch-israelischen Beziehungen gab es schon so manche Krise. 1999 etwa sagte der damalige israelische Außenminister Ariel Scharon kurzfristig einen Termin mit seinem deutschen Kollegen Joschka Fischer ab. Bereits damals gab es Streit um die jüdischen Siedlungen in den Palästinensergebieten. Doch 1999 begründete Scharon seine Absage offiziell noch mit einer Verletzung.
Diesmal kaschierte die israelische Regierung ihren Unmut nicht mehr. Zu groß war die Verärgerung von Premierminister Benjamin Netanjahu darüber, dass sich Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) bei seiner Israel-Reise auch mit regierungskritischen Organisationen treffen wollte - unter ihnen die Gruppe "Breaking the Silence", die Aussagen israelischer Veteranen über den Umgang der Armee mit den Palästinensern in den besetzten Gebieten sammelt. Netanjahu ließ am Dienstag seine geplante Begegnung mit Gabriel platzen - die Antrittsreise des neuen Bundesaußenministers in Israel endete mit einem diplomatischen Scherbenhaufen.
In der Union heißen nicht alle Gabriels Auftreten gut
Am Tag danach richtete sich der Blick nun auf die Kanzlerin: Würde sie sich hinter Gabriel stellen oder auf Distanz zu ihrem Außenminister gehen? Merkel ist bisher nicht durch eine übermäßig reservierte Haltung gegenüber Israel aufgefallen. Bei ihrer Rede vor der Knesset 2008 hatte sie - mit Blick auf die deutsche Verantwortung für den Holocaust - gesagt, Israels Sicherheit gehöre zur deutschen "Staatsräson" und sei für sie "niemals verhandelbar". Dass in der Union nicht alle Gabriels Auftreten gutheißen, zeigte bereits am Mittwochmorgen eine Äußerung von Gitta Connemann. Die CDU-Bundestagsabgeordnete ist Vizepräsidentin der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und beklagte ein mangelndes "Fingerspitzengefühl" des Außenministers.
Doch wer erwartet hatte, auch die Kanzlerin würde auf vorsichtige Distanz zu Gabriel gehen, wurde wenige Stunden später enttäuscht. In der Bundespressekonferenz am Mittag war Merkels Regierungssprecher Steffen Seibert auch auf Nachfragen nicht einmal eine Nuance an Kritik zu entlocken. "Wir sind der Meinung, dass es möglich sein muss, in einem demokratischen Land auch kritische Nichtregierungsorganisationen zu treffen, ohne dass das solche Folgen hat", sagte Seibert. Auch bei Reisen der Kanzlerin stünden regelmäßig Treffen mit Vertretern der Zivilgesellschaft auf dem Programm.
Sowohl im Umfeld der Kanzlerin wie auch in Gabriels Außenministerium hoffen sie jetzt, dass der Eklat keine irreparablen Folgen hat. Nun dürfte der für Anfang Mai geplante Antrittsbesuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Israel noch mehr Beachtung finden. Steinmeier wird es wohl richten müssen, das erforderliche Maß an Diplomatie trauen ihm alle zu. Steinmeiers Sprecherin sagte, der Bundespräsident werde sich natürlich auch mit Vertretern der Zivilgesellschaft treffen. Ob Breaking the Silence dabei sein wird, ist aber noch unklar. Steinmeiers Vorgänger Joachim Gauck hatte sich bei seinem Israel-Besuch im Mai 2012 genauso wie Gabriel mit Vertretern dieser Gruppe getroffen.
Die israelische Armee - ein furchtbar heikler Punkt
Dass Gabriel den Eklat ohne Blessuren übersteht, liegt auch an Reuven Rivlin. Der israelische Staatspräsident hatte bei seinem Treffen mit dem deutschen Außenminister erklärt, sein Land sei eine Demokratie, deshalb könne hier auch jeder sagen, was er denke. Gabriel interpretierte das als Unterstützung im Streit mit Netanjahu. Von einer "bemerkenswerten Äußerung" sprach er hinterher, seine eigentliche Botschaft aber hieß: Seht her, Präsident Rivlin sieht es wie ich in dieser verflixten Auseinandersetzung.
Allerdings hatte Rivlin nicht nur über die Demokratie gesprochen, sondern auch über Israels Jugend. Es seien "unsere Kinder", die in der Armee dienten, hatte Rivlin hervorgehoben - und damit exakt den Schmerzpunkt benannt, um den es beim Eklat zwischen Gabriel und Netanjahu gegangen ist. Rivlins doppelte Botschaft: Im Grundsatz hast du recht, lieber Sigmar Gabriel. Aber wundere dich nicht über das, was du ausgelöst hast.
Und wie konnte das passieren? Begonnen hat die Planung der Reise mit einem Anruf des israelischen Botschafters in Berlin, Yakov Hadas-Handelsman. Wenige Tage nachdem das Kanzleramt die gemeinsamen Regierungskonsultationen für dieses Jahr abgesagt hatte, meldete er sich im Auswärtigen Amt mit der Bitte, Gabriel möge bitte bald nach Jerusalem kommen. Eine freundliche Einladung war das; Gabriel sagte ja, die Planung begann.
Bald war klar, dass es Begegnungen mit Netanjahu, mit Rivlin und mit dem palästinensischen Premier Rami Hamdallah geben würde. Ebenso schnell wurde beschlossen, dass Gabriel auch dieses Mal Nichtregierungsorganisationen treffen würde. Die Liste entstand zwischen der deutschen Botschaft in Tel Aviv und dem Protokoll in Berlin; zurückgegriffen wurde auf Gruppen, die auch früher mit dabei waren.
Dann geschah, was üblich ist vor derartigen Reisen: Die Pläne wurden der israelischen Botschaft in Berlin übermittelt. Was danach passierte, ist umstritten. Von israelischer Seite heißt es, immer wieder habe man sehr klargemacht, Gabriel möge auf die Begegnung mit Breaking the Silence und B'Tselem verzichten. In Berliner Regierungskreisen wird es etwas anders geschildert: Ja, es habe Hinweise gegeben, dass Israels Regierung das Treffen nicht gefalle. Aber eine klare Drohung, Netanjahu werde die Begegnung platzen lassen, sei ausgeblieben. Glaubt man Gabriel, dann erfuhr er erst während des Anflugs auf Israel, wie sehr sich alles zugespitzt hatte. Ein Verzicht auf das Treffen mit den NGOs sei für ihn dann aber nicht mehr infrage gekommen.
Zusätzlich angespannt ist die Lage nun, weil Netanjahus Büro zum Abschied verlauten ließ, der Premier habe versucht, mit Gabriel wenigstens zu telefonieren. Der aber habe das Angebot ausgeschlagen. Dass das nur die halbe Wahrheit war, verschwiegen Netanjahus Leute. Denn sein Angebot hatte Netanjahu noch einmal mit der Forderung verbunden, Gabriel müsse das Format des NGO-Treffens ändern. Hätte sich Gabriel darauf eingelassen, wäre das als Einknicken interpretiert worden. Also lehnte Gabriel ab. Den Schaden haben jetzt alle.