Abgeordnetenhaus:Fünf Lehren aus der Wahl in Berlin

Lesezeit: 6 Min.

  • Von wegen Multikulti-Metropole: Auch in Berlin erreicht die AfD zweistellige Ergebnisse.
  • Die CDU leidet wie überall unter der Flüchtlingspolitik, hat aber auch auf Landesebene einige Fehler gemacht.
  • In Berlin könnte nun bald die erste rot-rot-grüne Koalition unter Führung der SPD regieren.

Blitzanalyse von Hannah Beitzer und Thorsten Denkler, Berlin

Gespaltenes Berlin

Wie weit weg ist doch Mecklenburg-Vorpommern. Oder Sachsen-Anhalt. Die beiden Bundesländer, in denen die AfD zuletzt über die 20 Prozent kam, haben mit der coolen Metropole Berlin erst einmal wenig zu tun. Doch nun zeigt sich: Auch in Berlin kann die AfD mit einem zweistelligen Ergebnis rechnen. Mit 13,5 Prozent der Stimmen schafft die Partei jüngsten Hochrechnungen zufolge den Einzug ins Abgeordnetenhaus.

Das ist weit mehr als in den anderen Stadtstaaten Hamburg und Bremen, wo sie jeweils nur knapp über fünf Prozent lag. Und zeigt: Das gern gezeichnete Bild vom weltoffenen, urbanen, toleranten und lässigen Multikulti-Berlin bildet nur einen Teil der Realität ab.

Der andere, wenn auch kleinere Teil findet zum Beispiel in den Hochhaussiedlungen am Rande Berlins statt, besonders im Osten. Dort berichteten Wahlkämpfer anderer Parteien vor der Wahl von ganzen Häuserkomplexen, beispielsweise im Plattenbau-Bezirk Marzahn-Hellersdorf, die Ombudsmänner an die Haustür schickten: Wir wählen alle einheitlich. Nämlich die AfD. Mit Grauen sprechen die Leute in Marzahn über die Zustände in Neukölln oder Kreuzberg. Für sie sind das Viertel voller Drogenkriminalität und Ausländergewalt, in denen die Islamisierung des Abendlandes längst vollzogen ist.

Die Bewohner eben dieser Stadtviertel hingegen würden für nichts auf der Welt in die Plattenbausiedlungen am Stadtrand ziehen - und das nicht erst, seit die Leute dort AfD wählen. Und um alles noch komplizierter zu machen, sind es nicht nur die ostdeutschen Viertel, in denen die Rechtspopulisten gut abschneiden. Sie finden durchaus Anklang in Westberliner Bürgerkreisen, die sonst eher der CDU nahe stehen.

Berlin ist also gespalten, wie Deutschland gespalten ist. Bei weitem nicht in zwei Hälften, aber doch so, dass es wehtut. In erster Linie einmal den anderen Parteien, die mit der rechtspopulistischen Konkurrenz von der AfD klarkommen müssen. Vor allem die CDU muss sich fragen: Wie weit muss man deren Wählern entgegenkommen? Wenn überhaupt? Und wie bilden wir mit den Stimmen der anderen funktionierende Koalitionen?

Es ist aber auch schwer für diejenigen in Deutschland, die keine Berufspolitiker sind: Wie gehe ich um mit dem Nachbarn, der AfD wählt? Mit der Mutter, die findet, man solle besser nicht so viele Muslime ins Land lassen? Mit dem Kollegen, der Politiker für Volksverräter hält? Eines ist dabei klar: Der Bundestagswahlkampf 2017 wird eher nicht langweilig werden.

CDU: Diesmal war es nicht nur Merkel

Und wieder hat die CDU mit 18 Prozent der Stimmen eine krachende Niederlage hingelegt. Und wieder wird es schnell heißen: Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Flüchtlingspolitik natürlich. Nur, so ganz stimmt das diesmal nicht. Das zeigt sich allein deswegen, weil die Wählerwanderung nicht nur in Richtung AfD groß war, sondern auch in Richtung FDP.

Das schlechte Abschneiden der Berliner CDU hat nämlich auch sehr viel mit der Berliner CDU zu tun. Schon die 23,4 Prozent von 2011 und die 21,3 Prozent von 2006 waren keine berauschenden Ergebnisse für eine Partei, die 1999 weit über 40 Prozent bekommen hat. Kurz danach versank die Partei jedoch im Schuldenchaos, das sie in Berlin hinterlassen hat. Und kam bis heute nicht mehr auf die Beine. Ganz ohne Zutun der AfD oder von Kanzlerin Merkel.

Spitzenkandidat Frank Henkel hat die Partei nach den herben Wahlniederlagen zwar wieder halbwegs geeint und 2011 überraschend in die Regierung geführt. Aber er hat es nicht vermocht, aus der piefigen Hauptstadt-CDU eine agile und moderne Großstadt-Partei zu machen, die mit einem breiten Angebot auch jüngere Wähler anspricht.

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Michael Müllers SPD gelang es nicht nur einmal, den Koalitionspartner CDU vorzuführen - zum Beispiel während der Flüchtlingskrise, als das Versagen der Berliner Behörden an Sozialsenator Mario Czaja hängenblieb. Im Wahlkampf hat Henkel vor allem auf das Thema innere Sicherheit gesetzt. Und für potentielle AfD-Wähler noch ein Burka-Verbot gefordert. Das reichte nicht. Vielleicht auch deswegen, weil Henkel mehr Bernhardiner denn Kampfhund ist. Seine extra aufgesetzte Bissigkeit haben ihm die meisten Berliner schon als Innensenator nicht abgenommen.

Die Berliner CDU bräuchte Persönlichkeiten an der Spitze wie die Kulturstaatsministerin im Bundeskanzleramt, Monika Grütters, Mitglied der Berliner CDU. Aber diese besonders großstädtische Frau haben die Reinecken- und Zehlendorfer der Partei immer wieder ausgebremst. Für den Altherrenclub Berliner CDU wäre das zu viel Veränderung. Wie weit die CDU mit der Haltung kommt, hat sich jetzt gezeigt.

Was jetzt kommen muss ist ein rot-rot-grünes Bündnis, erstmals unter Führung der SPD, die zwar in ersten Hochrechnungen ein mageres Ergebnis von 22,2 Prozent erreichte, aber dennoch stärkste Kraft blieb. Die Grüne landen nach jüngsten Hochrechnungen bei 15,5 Prozent, die Linke bei 15,6 Prozent.

In Thüringen gibt es zwar schon eine rot-rot-grüne Koalition, da regiert aber der Linke Bodo Ramelow. Berlin ist nicht unbedingt die eine Blaupause für die Politik im Bund, dafür ist die Stadt mitsamt der in ihr agierenden Politiker zu speziell. Aber so ganz ohne Vorbereitung in den Ländern hätte ein solches Bündnis im Bund gar keine Chance. Mit Berlin gäbe es dann immerhin schon zwei Varianten deutschlandweit.

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller hat schon angekündigt, dass er mit der CDU nicht mehr will und ihm Rot-Rot-Grün lieber wäre. In Umfragen stehen die Berliner in dieser Frage mehrheitlich hinter ihm. Wenn nicht jetzt, dann wohl nie. Im kommenden Jahr wird zwar auch noch in Nordrhein-Westfalen gewählt. Aber da sind die Linken erst dabei, sich von einem Chaoten-Haufen zu einer ernstzunehmenden Kraft zu entwickeln. Dort könnte es für Rot-Rot-Grün noch zu früh sein.

Allerdings müsste es die Berliner SPD in so einem Bündnis schaffen, den Koalitionspartner nicht nur als lästiges Übel anzusehen. Wie Müller mit der CDU umgegangen ist, müsste Linken und Grünen zu denken geben. Die Verantwortung etwa für die Zustände am Lageso hat er knallhart der CDU zugeschoben, die den zuständigen Sozialsenator Mario Czaja stellt. Dabei hätte Müller diese wichtigste politische Frage des Jahres 2015 auch zur Chefsache erklären und es besser machen können.

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Ein Vorteil von Rot-Rot-Grün wäre allerdings, dass sich die politischen Lager wieder besser unterscheiden ließen. In Zeiten einer großen Koalition fällt das vielen Parteien (und ihren Wählern) schwer. Der CDU gäbe das die Möglichkeit, in der Opposition noch einmal die Erneuerung zu versuchen. Und von da aus ein einerseits konservatives und zugleich städtisches Profil zu entwickeln, sowohl personell als auch programmatisch. Und die SPD könnte zeigen, dass das Herz tatsächlich noch links schlägt. Und nicht in der Mitte.

Die FDP als moderne Großstadtpartei? Funktioniert!

Es war bis zum Schluss knapp, aber sie hat es geschafft: Der FDP gelang mit 6,5 Prozent der Stimmen der Wiedereinzug ins Berliner Abgeordnetenhaus. Das war zum einen psychologisch wichtig. 2011 flog die FDP hier mit schmählichen 1,8 Prozent der Stimmen aus dem Länderparlament. Das war keine Niederlage, es war eine Katastrophe für die Partei - und nicht die einzige im Jahr 2011.

Wer damals dabei war, als der damalige Spitzenkandidat Christoph Meyer und der damalige FDP-Generalsekretär Christian Lindner mit aschgrauen Gesichtern die Niederlage eingestehen mussten - der ahnte schon: Das wird nichts mit der Bundestagswahl. Genau so kam es.

Inzwischen, im Jahr 2016, ist Christian Lindner nicht mehr Generalsekretär, sondern Parteichef. Und in Berlin schaffte die FDP mit ihrem Spitzenkandidaten Sebastian Czaja, was ihr zuvor schon in den Stadtstaaten Hamburg und Bremen gelang: das Comeback als moderne Großstadtpartei, mit viel guter Laune und fast ohne schrille Töne.

Im Wahlkampf hatte sich die FDP mit ihren Pop-Art-Plakaten unter anderem als Partner der aufstrebenden Start-Up-Szene positioniert und über das schon sprichwörtliche Versagen der Berliner Verwaltung gespottet. Das geht doch alles effizienter! Die prominenteste Forderung der Partei nach einer Offenhaltung des Flughafens Tegel ist angesichts der anhaltenden Querelen um die Großbaustelle BER gar nicht so albern, wie es Nicht-Berlinern scheinen mag. Auch liberale Freigeister, denen die Grünen zu verbotsorientiert sind, will die Partei hier vertreten. Und hat immerhin 6,5 Prozent der Wähler von sich überzeugt.

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Müllers großer Fehler

Müller hat schon im Wahlkampf Rot-Rot-Grün als Wunschoption ausgerufen, es war die wahrscheinlichste Kombination. Und so wird es wohl auch kommen. Das Problem: Solche Ansagen machen eine Wahl so spannend wie angeln in der Badewanne. Es ist vorher schon klar, was hinten rauskommt.

Das war Müller größter Fehler im Wahlkampf. Mehr denn je müssen nämlich die etablierten Parteien auf Wählermobilisierung setzen. Das war den Parteien in Sonntagsreden schon immer sehr wichtig. Tatsächlich aber hatte etwa Angela Merkel mit dem Konzept der asymmetrischen Mobilisierung über Jahre hinweg großen Erfolg. Sie hat durch Unangreifbarkeit die Wahlkämpfe derart öde gemacht, dass SPD-Wähler lieber zu Hause geblieben sind. Das Konzept ging erstaunlich gut auf.

Jetzt aber gibt es die AfD. Und die holt massiv frustrierte Nichtwähler ab, die weder die CDU noch die SPD noch irgendeine andere der etablierten Parteien erreichen kann. Mit Hetze, völkischem Rechts-Populismus und Unwahrheiten zwar, aber das scheint zu funktionieren. Auch in Berlin zeichnet sich ab, dass die Wahlbeteiligung besonders in den Bezirken stark gestiegen ist, in denen die AfD in Umfragen vorne lag, nämlich in Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg. Wenn dann auch noch die Anhänger der etablierten Parteien aus lauter Langeweile zuhause bleiben, dann sieht es für SPD oder CDU schlecht aus.

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