Abgeordnetenhaus - Berlin:Vorgehen der Polizei am 1. Mai: "Das wird Stress geben"

1. Mai
Polizisten stehen am Rande der Demonstration linker Gruppen unter dem Motto "Demonstration zum revolutionären 1. Mai" vor einem Feuer auf der Straße. Foto: Christoph Soeder/dpa (Foto: dpa)

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Berlin (dpa/bb) - Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) und die Polizei haben das Eingreifen bei der linken und linksradikalen Demonstration am Abend des 1. Mai verteidigt. Bestimmte Demonstranten hätten von Anfang an Gewalt angestrebt, sagte Geisel am Montag. Polizeipräsidentin Barbara Slowik erklärte im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses, der sogenannte schwarze Block von Linksautonomen habe die Corona-Regeln wie Masken und Abstände "in keiner Weise" akzeptiert. "Ich kann in diesen Zeiten nicht tatenlos zuschauen, wie Menschen ohne Einhaltung der Hygienevorschriften kilometerweit durch die Stadt laufen." Daher habe die Polizei den Block ausgeschlossen.

Slowik sagte, die Missachtung der Hygiene-Vorschriften durch die Linksautonomen habe "womöglich der bewussten Eskalation" schon am Anfang der Demonstration in Neukölln gedient. "Es ist nicht ganz auszuschließen, dass man eine Auflösung durchaus auch provozieren wollte." Es sei bekannt gewesen, dass am geplanten Endpunkt in Kreuzberg Absperrgitter und größere Polizeieinheiten gewartet hätten.

"Es folgten 90 Minuten deutlicher Gewalt", stellte Slowik fest. Der Zeitraum von 20.15 bis 21.45 Uhr sei bei den Autonomen auf der Karl-Marx-Straße und der Spitze der Demonstration auf der Sonnenallee von "massiven Angriffen" auf die Polizei geprägt gewesen. "Es flogen Flaschen und Steine, es kam zu körperlichen Auseinandersetzungen."

Insgesamt wurden Slowik zufolge an dem Tag 93 Polizisten verletzt, die meisten davon leicht. Darunter waren 71 am Abend in Neukölln verletzte Beamte. Vier Polizisten konnten ihren Dienst nicht fortsetzen. Ein Polizist habe einen Knochenbruch erlitten. Es habe viele Verletzungen wie Prellungen gegeben, zudem einzelne Wunden, Zerrungen und Ausrenkungen.

Die Polizeipräsidentin betonte, zwar hätten Müllcontainer gebrannt, es habe aber keine Barrikaden gegeben. Das Ausmaß der deutlichen Gewalt habe auch "nichts zu tun mit den früheren massiven Ausschreitungen in Kreuzberg". Nach Angaben der Organisatoren der sogenannten revolutionären 1.-Mai-Demonstration gab es auch auf Seiten der Demonstranten Dutzende Verletzte.

Der Polizei-Einsatzleiter Stephan Katte berichtete, er habe die Polizei bewusst den Block der Linksautonomen ausschließen lassen. Dabei sei ihm vollkommen klar gewesen: "Das wird aber irgendwie Stress geben." Die Menschen im "schwarzen Block" hätten sich "eng umschlungen, teilweise hinter Transparenten versteckend, fast unterhakend" bewegt. Wenn die Demonstration so weitergelaufen wäre, hätte die Polizei über die gesamte Länge diese Verstöße hinnehmen müssen. Daher sei "unmittelbares Eingreifen" erforderlich gewesen.

Dass der Autonomen-Block nahe einer Baustelle gestoppt wurde, war laut Katte nicht das eigentlich Problem: "Ich glaube, dass es in der gesamten Strecke keinen optimalen Punkt gibt für eine solche einschneidende Maßnahme." Über antisemitische Parolen aus einem Block von Palästinensern sagte der Einsatzleiter, er habe davon in den Medien gelesen, die Polizei habe das nicht dokumentiert und bislang gebe es keine Anzeigen.

Im RBB-Inforadio sagte Senator Geisel, das Vorgehen der Polizei an einer besonders engen Stelle sei eine Entscheidung des Polizeiführers gewesen. "Das kann man auswerten, aber ich habe auch was dagegen, wenn es jetzt 'zig Hobby-Polizeiführer gibt, die jetzt alle sagen, was sie besser gemacht hätten." Ein späteres Zugreifen hätte nur in völliger Dunkelheit erfolgen können. Die Polizei stellte unter den deutlich mehr als 10 000 Demonstranten etwa 400 Linksextremisten der internen Kategorie rot (gewaltsuchend) und 930 der Kategorie gelb (gewaltbereit) fest, wie Slowik sagte.

Oppositionspolitiker von CDU, AfD und FDP warfen Geisel und der Polizeiführung vor, zu zurückhaltend auf die Gewalt reagiert zu haben. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Burkard Dregger las aus einem Brief von Polizisten vor, die kritisierten, dass sie massiv angegriffen worden seien und viel zu spät Unterstützung erhalten hätten. Der AfD-Innenpolitiker Karsten Woldeit erklärte: "Es ist unerträglich, daß jedes Jahr aufs Neue Linksextremisten steinewerfend und brandschatzend durch Berlin ziehen dürfen." Das Problem sei, "Antifa, Autonome und andere Linksterroristen genießen in Teilen der rot-rot-grünen Koalition Anerkennung und Respekt".

Politiker von Linken und Grünen kritisierten hingegen, die Polizei sei unnötig hart vorgegangen und habe so zur Eskalation beigetragen. Niklas Schrader von der Linken räumte zwar ein, die Gewalt habe nichts zu tun mit steigenden Mieten in der Stadt. "Das machen die ohnehin." Aber die "Einkesselung" und Auflösung von Teilen der Demonstration habe die Lage eskaliert und keinen Erfolg gebracht.

Rund um den 1. Mai gab es rund 30 Demonstrationen, von denen die meisten friedlich verliefen. Am Abend brach dann bei der großen linken Demonstration in Neukölln Gewalt aus. Die Polizei nahm an dem Tag insgesamt 354 Männer und Frauen vorläufig fest - häufig wegen Verstößen gegen die Corona-Vorschriften, aber auch wegen schweren Landfriedensbruchs, tätlichen Angriffs und gefährlicher Körperverletzung. 39 mutmaßliche Randalierer seien einem Haftrichter vorgeführt worden, in einigen Fällen seien sie in Untersuchungshaft gekommen. Insgesamt waren 6000 Polizisten im Einsatz, in der Spitze am Abend waren es 5300.

© dpa-infocom, dpa:210503-99-446378/3

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