Besser als sein Ruf ist der Bundestag auf jeden Fall, und auch besser, als eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung sowie der gemeinnützigen Initiative Abgeordnetenwatch.de ihn macht.
Studie, Stiftung und gemeinnützig, das klingt immer sehr gediegen, abgewogen und neutral. Aber nichts ist nur deshalb bereits wahr und richtig, weil es den Anspruch darauf erhebt. Die zur IG Metall gehörende Stiftung erklärt es zum "Problem", dass fast jeder dritte Bundestagsabgeordnete in der zu Ende gehenden Wahlperiode noch Geld nebenbei verdient hat. Sie erweckt den Eindruck, als gäbe es eine relevante Zahl von Abgeordneten, die nicht so sehr für ihren Wahlkreis, sondern, wie es in einer Karikatur auf dem Titelblatt heißt, für ihre "15 Nebenjobs" im Einsatz sind. Und sie verortet die "Aufstockerei" vor allem bei der Union.
Viele Einkünfte: unbedenklich. Manche Einkünfte: unanständig
Um die Dimension klarzumachen, schätzt die Studie die Nebeneinkünfte auf einen Betrag zwischen 26,5 Millionen und 48,7 Millionen Euro. Der Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Zahl ist so groß, dass die Schätzung im Grunde unbrauchbar ist; dies indes kann man den Autoren kaum vorwerfen. Als Daten standen ihnen nur die Angaben zur Verfügung, welche die Abgeordneten gemäß den Regeln des Bundestags machen müssen.
Niemand muss angeben, ob es für den Sitz in einem Kuratorium 1000 oder aber 10 000 Euro gibt. Lediglich zehn Einkommensstufen werden öffentlich gemacht. Stufe eins umfasst Einkünfte zwischen 1000 und 3500 Euro, Stufe drei Einkünfte bis 15 000 Euro, Stufe zehn von 250 000 Euro an aufwärts. Und kaum ein Abgeordneter macht genauere Angaben als vorgeschrieben.
Das Problem der Studie ist die pauschale Problematisierung. Fast jeder dritte Abgeordnete! Verdient Geld nebenbei! Wenn man sich jedoch die Details besieht, stellt man fest, dass es bei 80 Prozent der Nebeneinkünfte um Beträge von bis zu 15 000 Euro geht, bei 90 Prozent überschreitet der Betrag die 30 000 Euro nicht. Zugegeben, das sind Beträge, die jemandem mit einem Monatseinkommen von 2500 Euro exorbitant erscheinen mögen. Aber es sind Nebeneinkünfte in einer Höhe, wie sie viele Akademiker, in allen möglichen Branchen, auch haben. Werden sie unanständig, sobald Abgeordnete sie beziehen?
Wer die alte Tätigkeit weiterführt, behält seine Brücke ins Leben
Unanständig wären Einkünfte, die auf keiner oder keiner angemessenen Gegenleistung beruhen. Unanständig wären Einkünfte, die einen Abgeordneten in Rollenkonflikte bringen. Wem sein Ruf teuer ist, der verzichtet auch auf Einkünfte, die nur den bösen Anschein erwecken - sowie auf "Neben"-Tätigkeiten in einem Maß, das Zweifel zulässt, ob der Abgeordnete wirklich hauptberuflich Abgeordneter ist.
Ja, es gibt Abgeordnete, bei denen das der Fall ist. Es gibt den Hinterbänkler, der seinen Wahlkreis weit weg von Berlin hat und trotzdem Zeit findet, als Anwalt Dutzende Mandate zu betreuen. Es gibt den Ex-Minister, der nebenbei der Arabisch-Deutschen Handelskammer vorsteht, dafür bis zu 7000 Euro im Monat bezieht und die Nachfrage von Spiegel Online mit der Auskunft bedient, zu Fragen "unseriöser Organisationen" beziehe er keine Stellung.
Die Studie ist sehr geeignet als Mahnung an manche, sich bitteschön zu prüfen. Sie ist jedoch keineswegs geeignet, einen Generalverdacht zu begründen. Und sie ist insofern heikel, als sie diesen Generalverdacht zwar nicht behauptet, aber nahelegt.
Wie wäre es, andersherum, mit diesem Gedanken: Wer als Anwalt oder als Unternehmer seine alte Tätigkeit in Maßen weiterführt, der behält seine Brücke ins Leben, und der ist auch den Pressionen seiner Fraktionsführung weniger ausgeliefert. Zumindest weniger als derjenige, der sich mit dem Einzug in den Bundestag finanziell enorm verbessert hat und nun alles auf seine Politikkarriere setzt.