Süddeutsche Zeitung

Abgelehnte Asylbewerber:In Deutschland geduldet

  • In Deutschland leben derzeit etwa 168 000 geduldete Migranten - sie sind ausreisepflichtig, die Abschiebung ist aber ausgesetzt.
  • Bei 37 000 von ihnen scheitert die Abschiebung wie bei dem als Terrorverdächtigem gesuchten Anis Amri an fehlenden Reisedokumenten.
  • Die Duldung soll maximal 18 Monate dauern, 21 000 Menschen haben aber seit mehr als zehn Jahren diesen Aufenthaltsstatus.

Von Bernd Kastner

Der Terrorverdächtige von Berlin, der Tunesier Anis Amri, lebte als Geduldeter in Deutschland. Die sogenannte Duldung ist der schwächste Aufenthaltsstatus eines Zuwanderers. Genau genommen ist es gar kein Aufenthaltstitel. Die Duldung besagt nur, dass er Deutschland verlassen müsste, die Abschiebung aber vorübergehend ausgesetzt ist. Dass er sich in Deutschland aufhält, sei "rechtswidrig", sagt Hubert Heinhold, einer der führenden Asylexperten. Dies wird aber nicht kriminalisiert, also auch nicht bestraft. Davor schützt ein grün-rosafarbenes Papier, zweimal gefaltet wie der alte Führerschein, das mit Bundesadler, Foto und Behördenstempel aussieht wie ein Ausweis - aber eben bloß die Duldung bescheinigt. "Der Inhaber ist ausreisepflichtig", steht auf der Vorderseite.

Ende Juni dieses Jahres lebten laut Bundesregierung 168 000 Geduldete in Deutschland. Etwa zwei Drittel davon sind Männer, 55 000 sind minderjährig. Mit etwa 18 000 und 15 000 stammen die meisten von ihnen aus Serbien und Afghanistan, es folgen in der Rangliste der Herkunftsländer: Kosovo, Syrien, Albanien, Mazedonien. Die Zahl der Geduldeten dürfte seit Juni weiter gestiegen sein. Duldungen werden nicht zentral ausgestellt, sondern von den örtlichen Ausländerbehörden. Entsprechend regional unterschiedlich fällt die Duldungspraxis aus: Mit gut 46 000 lebten Mitte des Jahres die meisten Geduldeten in Nordrhein-Westfalen, im offenbar restriktiver agierenden Bayern waren es nur knapp 9300.

Die Gründe für eine Duldung sind vielfältig, sagt der Münchner Rechtsanwalt Heinhold. Häufig werde ein Migrant nicht abgeschoben, um Ehe und Familie zu schützen. Hat ein Elternteil einen Aufenthaltstitel und kümmert sich auch der Ausreisepflichtige um das gemeinsame Kind, so darf dieser meist in Deutschland bleiben. Etwa ebenso häufig komme es vor, schätzt Heinhold, dass jemand nicht abgeschoben werden kann, weil seine Identität nicht geklärt ist. In welches Land sollte man ihn schicken?

Und selbst wenn ein Flüchtling ein Herkunftsland angibt, weigert sich dieses mitunter, nach dem Motto: Da könnte ja jeder kommen. 37 000 Ausländer sind wegen fehlender Reisedokumente geduldet, so die Bundesregierung. In diese Kategorie dürfte der Terrorverdächtige Anis Amri fallen: Laut NRW-Innenminister Ralf Jäger hat man ihn abschieben wollen, aufgrund fehlender Papiere habe ihn Tunesien aber nicht zurückgenommen.

Manchmal scheitert eine Abschiebung aus ganz banalen Gründen

Häufig wird jemand auch deshalb geduldet, weil seine Abschiebung aus ganz banalen Gründen scheitert: Wenn es keine Flugverbindung ins Herkunftsland gibt, weil die Lage dort zu unsicher ist. Dies war jahrelang in Afghanistan der Fall, als Kabul nicht angeflogen wurde. Derzeit gehört Somalia zu den höchst unsicheren Ländern ohne Flugverbindung. Und eine Route über einen anderen Staat sei kompliziert oder ganz unmöglich, sagt Heinhold.

Ein zwischen Ärzten und Behörden besonders umstrittenes mögliches Abschiebehindernis ist die Reiseunfähigkeit: Wenn ein Flüchtling aufgrund seiner Abschiebung erhebliche gesundheitliche Nachteile zu befürchten hätte, darf er bleiben. Bei traumatisierten Kriegsflüchtlingen oder Folteropfern ist dies immer wieder der Fall. Neuerdings gibt es auch die sogenannte Ausbildungsduldung: Wer in Deutschland eine Ausbildung beginnt, darf vorübergehend bleiben.

Ausgestellt wird eine Duldung von den Ausländerbehörden für maximal ein halbes Jahr. Mitunter, sagt Heinhold, seien die Fristen aber deutlich kürzer, wenn ein Amt etwa den Eindruck habe, dass die Person bei der Beschaffung von Papieren nicht kooperiere. Dann muss er zur "Strafe" alle paar Wochen aufs Amt und sich einen neuen Stempel holen. Im Ermessen der Behörden liegt es zudem, ob ein Geduldeter eine Arbeitserlaubnis bekommt.

Die Duldung soll maximal eineinhalb Jahre dauern, dann soll der Ausländer die Chance auf eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Voraussetzung ist, dass er selbst für seinen Lebensunterhalt aufkommt und straffrei ist. Noch immer aber komme es zu Kettenduldungen über mehrere Jahre: Laut Bundesregierung sind mehr als 21 000 Menschen länger als zehn Jahre geduldet. Heinhold fordert, dass die Ämter differenzierter auf die einzelnen Fälle schauen: Wenn klar ist, dass eine Abschiebung auf absehbare Zeit nicht möglich ist, sollte man diesen Menschen die Integration ermöglichen. Die Grundlage sei ein Sprachkurs. Der sei für Geduldete eigentlich nicht vorgesehen.

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SZ vom 22.12.2016/ewid
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