Abgasaffäre:"Story noch nicht rund"

Audi CEO, Rupert Stadler gives a speech at the company's annual news conference in Ingolstadt

Im Fokus der Ermittler: Der langjährige frühere Audi-Chef Rupert Stadler.

(Foto: Lukas Barth/Reuters)
  • Audi-Chef Rupert Stadler soll Mitarbeiter angewiesen haben, Informationen über Abgas-Manipulationen zu verheimlichen.
  • Informationen seien vor einem Treffen mit der US-Umweltbehörde aus einer Präsentation entfernt worden.
  • Die Familien Porsche und Piëch halten weiter an ihm als Vorstandsvorsitzenden fest.

Von Klaus Ott und Nicolas Richter

Es gab vermutlich Zeiten, in denen Rupert Stadler gern in die USA reiste. Zum Beispiel im Jahr 2008, als es noch gute Nachrichten und große Ziele zu verkünden gab. Damals ließ sich der Vorstandschef der Audi AG auf dem Autosalon in Detroit interviewen. "Der nordamerikanische Markt ist ein großer Pfeiler unserer Wachstumsstrategie, wir verkaufen 93 500 Autos pro Jahr. Unser Ziel ist es, langfristig mindestens 200 000 Autos zu verkaufen", sagte Stadler in ordentlichem Englisch. "Wir wollen wachsen, wir müssen wachsen. Das geht nur über neue Produkte und Innovation und Technologie. Und wir sind uns sicher, dass der Diesel uns helfen wird."

Im Jahr 2015 dann war es schon nicht mehr so angenehm, nach Detroit zu reisen, jedenfalls nicht für Manager und Ingenieure des Volkswagen-Konzerns, zu dem Audi gehört. Im Laufe dieses Jahres hatte sich bei US-Behörden der Verdacht verfestigt, dass VW die Abgaswerte seiner Dieselfahrzeuge manipulierte, um die Sauberkeit des "Clean Diesel" vorzutäuschen. Betroffen war der Zwei-Liter-Motor, etwa in den Modellen Golf und Beetle. Der Druck der US-Regierung war so groß, dass eine Abordnung von VW am 19. August 2015 in Kalifornien ein Geständnis ablegte. Ja, erklärten die Deutschen, wir haben die Software so justiert, dass die Autos auf dem Prüfstand zwar sauber wirken, es auf der Straße aber nicht sind. Wenig später, im September, erfuhr die Öffentlichkeit von dem Schwindel.

Brenzlige Passagen der Audi-Präsentation wurden offenbar noch rasch gestrichen

Am 19. November war dann Audi an der Reihe. Eine Delegation aus Ingolstadt sollte in Ann Arbor im US-Staat Michigan mit Vertretern der Umweltbehörden EPA und CARB zusammentreffen und Abgas-Diskrepanzen beim Drei-Liter-Dieselmotor erklären, den Audi speziell für den US-Markt entwickelt hatte. Dieser Motor war das Herzstück der Wachstumsstrategie Audis in den USA, jene Säule, von der Stadler Jahre zuvor in Detroit gesprochen hatte.

Der Termin vom 19. November war für Audi eminent wichtig. Bislang hatte nur VW gestanden, geschummelt zu haben, Vorstandschef Martin Winterkorn war zurückgetreten. Die Luxusmarke Audi hingegen wirkte noch unbefleckt. Die VW-Tochter aus Ingolstadt konnte so tun, als habe sie mit den Abgastricks nichts zu tun. Weil es jetzt um alles ging, reiste der Chef offenbar persönlich mit nach Detroit: Stadler soll der Delegation angehört haben, dies haben mehrere Beteiligte unabhängig voneinander bei Ermittlern angegeben.

In den deutschen Audi-Büros schwelte damals ein Streit zwischen jenen, die in Amerika reinen Tisch machen wollten, und jenen, die lieber nichts Illegales zugeben wollten. Vor dem Schicksalstermin in Michigan sah es zunächst nach einem umfassenden Geständnis aus. Die Ingenieure hatten sich gründlich vorbereitet: Über Wochen war eine Präsentation entstanden, die man immer wieder überarbeitete. Über einem Entwurf standen die Worte: "Story noch nicht rund".

So sehr sich viele Details immer wieder änderten - der Kern blieb in den ersten Entwürfen immer gleich. Die Ingenieure räumten ein, dass sie der Abgasreinigung mittels Harnstoff (Adblue) enge Grenzen gesetzt hatten. Mehr als 1,2 Liter davon sollte das Fahrzeug auf einer Strecke von 1000 Kilometern nicht verbrauchen. In den Entwürfen für die Präsentation hieß es, man habe diesen Maximalverbrauch festgelegt, um Ablagerungen im Abgas-System zu vermeiden.

Zunächst schienen alle zu glauben, das ganze Ausmaß verheimlichen zu können

Eine solche Deckelung für Adblue freilich widersprach dem Ziel der US-Umweltgesetze, wonach das gesundheitsschädliche Stickoxid in den Abgasen weitgehend zu neutralisieren war. Aber die Audi-Ingenieure hatten keine andere Wahl mehr, als Adblue einzusparen, denn der Vorrat an Bord der Autos war beschränkt, und er sollte für 16 000 Kilometer reichen, von einem planmäßigen Werkstattbesuch zum nächsten. Im Normalbetrieb hätten die geplanten 1,2 Liter Harnstoff im Schnitt auch für 1000 Kilometer gereicht - laut frühen Tests aber nur, wenn die Fahrer ihre Audis mit höchstens 54 Kilometern in der Stunde durch die Landschaft bewegt hätten.

Die Ingenieure erklärten in ihren Folien für das Treffen, dass der Harnstoff eingeteilt wurde, es war sogar von einer "optimierten Dosierstrategie" die Rede. Demnach gab es bei den Autos zwei Modelle: Plan A für "sanfte Fahrbedingungen", dann wurde die "notwendige Menge" Abgasreiniger eingespritzt. Plan B kam bei "dynamischerem Fahren" zum Einsatz - und da war in der Präsentation nicht mehr von der notwendigen Menge Abgasreiniger die Rede, sondern von einer "alternativen" Variante.

Am 18. November 2015 bereitete, das besagt die Schilderung mehrerer Beteiligter, sich die Audi-Delegation in einem Hotel in Detroit auf das Treffen mit den US-Beamten am nächsten Tag vor. Es waren knapp 20 Personen dabei, mehrere Ingenieure und Manager, angeführt von Audi-Vorstandschef Rupert Stadler sowie Michael Steiner, der damals bei Porsche arbeitete und auf Geheiß der VW-Spitze den AbgasSkandal aufklären sollte.

Stadler und Steiner waren nach Lektüre der geplanten Präsentation angeblich der Meinung, dass die Ingenieure zu viel verraten wollten. Die beiden Manager schienen noch immer zu glauben, dass man den US-Behörden das ganze Ausmaß der Affäre verheimlichen könne. Am Abend zuvor hätten Stadler und Steiner also die Ingenieure wegen der vorbereiteten Präsentation gerügt und angeordnet, den Text zu ändern. Das Papier wurde deutlich gestrafft, der ausführliche Abschnitt zur Deckelung des Adblue-Verbrauchs gestrichen. Einem Beteiligten zufolge soll Steiner den neuen, verharmlosenden Text diktiert haben, und einer der anwesenden Ingenieure hätte ihn dann getippt.

Audi ist mindestens so betroffen wie VW

Am nächsten Tag in Ann Arbor räumte die Audi-Gesandtschaft zwar ein, dass der Konzern drei Software-Funktionen in seinen Dieselmotoren nicht offengelegt habe. Nur eine davon aber sei eine verbotene Abschalteinrichtung. Die Adblue-Deckelung war nicht mehr erkennbar. Stadler selbst erschien zu dem Termin nicht. Es bedurfte weiterer Treffen im folgenden Jahr, bis Audi weitere illegale Software-Tricks verriet, unter anderem jenen, der systematisch den Adblue-Verbrauch drosselte.

Sollte diese Schilderung mehrerer Beteiligter zutreffen, so hätte Stadler persönlich angeordnet, den US-Behörden illegale Softwaretricks zu verheimlichen. Bislang hat der Vorstandschef den Abgas-Skandal überstanden, obwohl Audi mindestens so betroffen ist wie VW. Aus der Belegschaft ist zu hören, der oberste Manager solle den Weg für einen Neuanfang frei machen. Doch die Familien Porsche und Piëch, Miteigentümer von VW, halten eisern an Stadler fest. Ihrem Wunsch nach Stabilität ist es geschuldet, dass Stadler weiter im Amt ist.

Auf Anfrage verweist VW auf eine Anfang 2017 von der US-Regierung veröffentlichte Sachverhaltsdarstellung. Diese enthalte "keine Hinweise auf Verfehlungen ehemaliger oder aktiver Vorstandsmitglieder". Wegen laufender Verfahren äußere man sich nicht weiter.

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