Süddeutsche Zeitung

Abgas-Skandal:Kabarett statt Kontrolle

Nach der Betrugsaffäre um Dieselmotoren müsste der VW-Konzern Schadenersatz von seinem früheren Vorstandschef verlangen. Stattdessen wird dieser geschont. Der Chef des Aufsichtsrats sollte zurücktreten.

Von Klaus Ott

Mehr als fünf Jahre ist es her, dass US-Behörden die Abgasmanipulationen bei Volkswagen enthüllt haben. Mehr als 30 Milliarden Euro hat die Dieselaffäre den Autokonzern bis heute gekostet. Doch Ex-Vorstandschef Martin Winterkorn, in dessen Amtszeit das Unternehmen auf kriminelle Abwege geriet, wird von VW immer noch geschont. Der Aufsichtsrat hat es bis heute nicht geschafft, Schadenersatz vom einstigen Vorstandschef zu fordern. Der vielfache Millionär Winterkorn muss nichts hergeben von seinem Vermögen. Dieser Umgang des Aufsichtsrats und der Haupteigner von Volkswagen mit der Affäre ist dreist, grotesk und verantwortungslos.

Piëch, Porsche, Pötsch - diese drei Namen stehen für Abwiegeln, Schönreden und eine Unternehmenskultur, die nichts mit Kultur zu tun hat. Die Milliardärsfamilien Piëch und Porsche sind Hauptaktionäre von Volkswagen. Ihnen kommt es offenbar nur darauf an, ihren eigenen Reichtum zu mehren. An Aufklärung haben sie anscheinend kein Interesse. Die Piëchs und Porsches haben nach Beginn der Affäre ihren Vertrauten Hans Dieter Pötsch als Aufsichtsratschef eingesetzt, obwohl dieser zuvor als Finanzchef des Konzerns mit Winterkorn im Vorstand saß.

VW spricht nach fünf Jahren von einer "inzwischen weit fortgeschrittenen" Prüfung zur Rolle Winterkorns. Wer nachfragt, bekommt folgende Antwort: "Das ist weiter als fortgeschritten und weniger als abgeschlossen." Das klingt nach Kabarett, nicht nach Kontrolle. Pötsch greift nicht durch, er ist eher die Karikatur eines Aufsichtsratschefs. Wahrscheinlich lässt er Schadenersatzforderungen gegen Winterkorn noch ewig prüfen, um seinen alten Weggefährten zu schonen.

Winterkorn hat bei Volkswagen ein Spitzensalär bezogen, aber bei der Organisation des Unternehmens keine Spitzenleistungen geliefert, sondern schmählich versagt. Nur so konnte es zu den Betrügereien kommen, von denen der einst schier allmächtige Konzernchef während seiner Amtszeit auch noch erfahren haben soll (was er bestreitet). Gegen Winterkorn liegt inzwischen viel mehr Belastendes vor, als das einst bei Siemens und Heinrich von Pierer der Fall war - bis hin zu einer Betrugsanklage. Siemens, ebenfalls einer der führenden deutschen Industriekonzerne, hatte jahrzehntelang weltweit Schmiergeld gezahlt, um lukrative Aufträge zu erhalten. Pierer, erst Vorstands- und dann Aufsichtsratschef, wollte davon nichts mitbekommen haben.

Trotzdem verlangte Siemens frühzeitig und mit Erfolg Schadenersatz in Millionenhöhe von Pierer für die Folgen des Korruptionsskandals. Der Skandal hatte Siemens mehrere Milliarden Euro gekostet. Bei Volkswagen sind es nun sogar mehrere zehn Milliarden Euro. Dass Winterkorn bislang verschont wird, liegt auch am Land Niedersachsen und der Gewerkschaft IG Metall. Niedersachsen ist als Miteigner von VW im Aufsichtsrat ebenso vertreten wie die mächtige IG Metall. Doch Ministerpräsident Stephan Weil, ein Sozialdemokrat, und Gewerkschaftschef Jörg Hofmann lassen Pötsch gewähren. Sozialdemokraten und Gewerkschafter reden gerne von Gerechtigkeit. Wie Volkswagen mit der Abgasaffäre und Winterkorn umgeht, ist das Gegenteil davon.

Heinrich von Pierer musste, wegen des Schmiergeldskandals, als Aufsichtsratschef bei Siemens gehen. Das Beste für Volkswagen wäre, Hans Dieter Pötsch würde auch gehen.

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SZ vom 12.10.2020
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