Abgas-Belastung:Die Städte und die Stinker

Lesezeit: 3 min

Inzwischen ein vertrautes Bild: Feinstaubalarm in Stuttgart. Die Stadt hat im bundesweiten Vergleich einen der höchsten Abgaswerte. (Foto: Arnulf Hettrich/imago)

In vielen Kommunen werden die Grenzwerte für Stickstoffdioxid verletzt. Das Umweltbundesamt gibt vor allem alten Dieselautos die Schuld. Auf die Schnelle könnten nur Fahrverbote helfen.

Von Kathrin Zinkant

Angeblich haben die Schwaben ja schon immer eine gedeihliche Beziehung zum Moos gepflegt. Gemeint war damit bloß etwas anderes als das, was sich in kleiner Ausführung derzeit am Stuttgarter Neckartor beobachten lässt. Ein Kubus aus grünem Pelz steht da seit November neben der Fahrbahn, inmitten des städtischen Verkehrsknotens Nummer eins. Und das nicht zufällig: Das Moos soll hier, wo sich die Blechlawinen rein- und rauswälzen, den Dreck aus der Luft filtern. Dass das geht, haben Forscher gezeigt. Nun soll es bald in großem Maßstab funktionieren. Hundert Meter soll die Wand aus Moos messen. Im März, wenn sie fertig ist.

Den riesigen grünen Reinigungsteppich haben die Schwaben dringend nötig, denn nach wie vor ist Stuttgart bundesweit das Negativbeispiel für Luftverschmutzung. Das belegt der aktuelle Bericht "Luftdaten 2016", den das Umweltbundesamt (UBA) am Dienstag veröffentlicht hat. Demnach wurde an der berüchtigten Messstation Neckartor im Stuttgarter Zentrum der Höchstwert von 50 Mikrogramm Feinstaub je Kubikmeter Luft an 63 Tagen überschritten. Erlaubt sind nach den EU-Vorgaben 35 Tage. In allen anderen deutschen Städten und Gemeinden wurde diese Grenze eingehalten. Insgesamt war 2016 in Deutschland das bislang an Feinstaub ärmste Jahr seit der Jahrtausendwende.

Alles gut also? Keineswegs. Das UBA widmet sich nicht allein dem Feinstaub, sondern auch dem laut Bericht größeren Sorgenkind, dem Stickstoffdioxid. Dem Papier zufolge wurden die Grenzwerte für den Schadstoff an 57 Prozent aller deutschen Messstationen übertroffen, seit 2010 ist es kaum besser geworden. "Schuld sind in den Städten vor allem alte Dieselautos", sagte UBA-Präsidentin Maria Krautzberger. Solche Fahrzeuge müssten aus den Innenstädten ausgeschlossen werden. Als wichtiges Mittel nannte Krautzberger die umstrittene blaue Plakette, die es nur abgasarmen Autos erlauben würde, in festgelegte Zonen zu fahren. Die Landesminister hatten sich jedoch gegen das Abzeichen ausgesprochen. "Die Kommunen brauchen eine bundeseinheitliche Regelung, die festlegt, wer die blaue Plakette bekommt", fordert Krautzberger. "Schließlich geht es darum, die Gesundheit ihrer Bürgerinnen und Bürger zu schützen."

Die Feinstaub-Werte sind zurückgegangen, doch das liegt vor allem am Wetter

Grundsätzlich wäre das Stickstoffdioxidproblem auch technisch lösbar: Viele Lkw verfügen inzwischen über Abgasreinigungssysteme, die nicht nur auf dem Prüfstand, sondern auch unter realen Bedingungen den Ausstoß von Stickstoffdioxid vermindern. Für Pkw allerdings sind diese Systeme häufig noch zu teuer. In diesen Fällen bleibt wohl nur, die Dieselfahrzeuge zu testen - und ihnen eine entsprechende Plakette aufzukleben.

Krautzbergers Appell wird durch die neuen Daten bekräftigt. Dabei erweist sich jedoch nicht nur die Stickstoffdioxidbelastung als ein Problem. Auch die gesunkene Feinstaubbelastung ist laut Umweltbundesamt kein Verdienst der Umwelt- und Verkehrspolitik. Sie bedeutet nicht einmal, dass weniger Feinstaub in die Luft getragen worden wäre. Es handelt sich vielmehr um das Resultat eines meteorologischen Phänomens, der milde Winter 2016 hatte wenige "austauscharme Wetterlagen" hervorgebracht: Bei schwachem Wind ist die bodennahe Luftschicht kälter als die darüberliegende. Es steigt keine Luft auf. Abgase und Feinstaubemissionen können sich in der Kälteglocke anreichern.

Private Kamine werden zunehmend zum Problem

Die Experten sind sich daher einig, dass das Feinstaubproblem zwar weniger drängend erscheint. Aber es gibt viele gute Gründe, die mikroskopisch winzigen Partikel auf der Tagesordnung zu lassen. "Eine wichtige Rolle spielt die Dosis, ab der mit gesundheitlichen Auswirkungen zu rechnen ist", sagt Josef Cyrys, Forscher am Helmholtz-Zentrum für Gesundheit und Umwelt in München. So zeige Stickstoffdioxid unterhalb der Höchstgrenze nur wenige schädliche Langzeitwirkungen. Außerdem sei der Schadstoff eher für Bewohner an dicht befahrenen Straßen relevant, in den Wohngebieten abseits der Hauptstraßen dagegen erweise sich die Belastung als gering. Beim Feinstaub jedoch liegen die Dinge anders: Dort gibt es keine Untergrenze, die winzigen Partikel schädigen den Körper in jeder Konzentration; zudem ist die Belastung auch in den Wohnsiedlungen hoch. Umso bedeutsamer ist es, dass die EU-Grenzwerte für Feinstaub mehr als doppelt so hoch angesetzt sind wie jene der Weltgesundheitsorganisation WHO. Würde man die WHO-Werte zum Maßstab nehmen, dann würde nicht nur Stuttgart die Regeln verletzen. Jede vierte Messstation in Deutschland hat die WHO-Hürde von 20 Mikrogramm Feinstaub je Kubikmeter im Jahresmittel 2016 gerissen. "Eigentlich sollten die derzeit gültigen Grenzwerte in der EU gesenkt werden", sagt Cyrys.

Ob der Verzicht auf Dieselfahrzeuge der richtige Weg dahin wäre, darin sind sich die Experten allerdings nicht ganz einig. Denis Pöhler, der am Institut für Umweltphysik der Universität Heidelberg forscht, hält ein Fahrverbot in Innenstädten unter bestimmten Voraussetzungen für sinnvoll und verweist auf das Beispiel Norwegen. In Oslo wurden im Januar sämtliche Dieselfahrzeuge aus der Innenstadt verbannt, weil die Emissionen alarmierende Werte erreichten. "Damit hat man einiges bewirkt", sagt Pöhler. Doch Feinstaub entsteht nur zu einem Bruchteil aus den Emissionen der Automotoren. Die meisten Partikel stammen vom Reifenabrieb, aufgewirbeltem Staub, aus der Industrie, von Kohlekraftwerken und in zunehmendem Maße aus privaten Kaminen, in denen abends gemütlich die Holzscheite verbrannt werden. Josef Cyrys hält dieses Problem noch für zu wenig beachtet. "Über die Holzverbrennung könnte man einmal nachdenken."

Fürs Stickstoffdioxid dagegen sind tatsächlich vor allem die Dieselfahrzeuge verantwortlich. Eine Verbannung der Stinker aus den Innenstädten ergäbe in dieser Hinsicht also Sinn. Wer noch weniger Feinstaub wünscht, könnte mehr Mooswände bauen, die keinen Unterschied zwischen den Quellen der Feinstaubpartikel machen und durchaus einen Beitrag zur Luftqualität leisten können. Und jederzeit sinnvoll bleibt, das Auto öfter stehen zu lassen. Je mehr Menschen in den Städten auf Rädern oder zu Fuß unterwegs sind, desto leichter fällt allen das Atmen.

© SZ vom 01.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: