Abenteuer:Das Böse packt die Menschen

Zwei Geschwister im Bürgerkrieg in Kenia, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.

Von Regina Riepe

Es gibt Abenteuer, die möchte man gar nicht erleben. Als sich Muchoki mit seiner kleinen Schwester Jata auf den Weg macht, um die Großeltern zu suchen, hat er schon viel erlebt, zu viel für einen vierzehnjährigen Jungen. Sein Zuhause wurde im Bürgerkrieg völlig zerstört, der Vater kam bei dem Versuch um, die Familie zu schützen. Rund um die Wahlen 2007/2008 in Kenia wurden die verschiedenen Bevölkerungsgruppen von skrupellosen Anführern aufgehetzt. Früher lebte man als Nachbarn zusammen, Kikuyu mit Luo, Kalenijn, Massai oder Kamba. Jetzt brachte ein gewalttätiger Mob die jeweils andere Volksgruppe um, zündete Häuser und Läden an, plünderte. Warum nur? Wie soll man danach wieder Vertrauen fassen? "Das Böse hat die Menschen gepackt", versucht Muchoki das Geschehen seiner siebenjährigen Schwester zu erklären. Doch auch er weiß keine Antwort auf ihre Frage, wo Gott war, als eine Kirche voller Menschen angezündet wurde, nur weil sie der "falschen" Volksgruppe angehörten.

Eine bewegende Geschichte über Freundschaft und Solidarität

Eine erste Zuflucht fanden Kinder und Mutter in einem völlig überfüllten Flüchtlingslager. Zurück nach Hause können sie nicht mehr. Muchoki übernimmt die Verantwortung für die kranke Mutter und für Jata, holt Wasser, sammelt Holz, sorgt für Essen. Als die Mutter an Malaria stirbt, droht den Kindern die Einweisung ins Waisenhaus - Jata in eines für Mädchen, Muchoki in ein Jungenheim. Auch noch seine Schwester zu verlieren, das würde Muchoki nicht ertragen! Und so machen sich die Geschwister auf den Weg zu den Großeltern, die sie allerdings nie kennengelernt haben. Unglaubliche 150 Kilometer in sechs Tagen laufen sie alleine durch Kenia. Sie müssen sich in einsamen Gegenden gegen Löwen wehren und die Großstadt Nairobi durchqueren, in der immer noch Aufstände lodern. Hilfe und Unterstützung erfahren sie dabei von den unterschiedlichsten Menschen, die ihnen Mut zusprechen, ihr weniges Essen mit ihnen teilen, ihnen den Weg zeigen. Die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe tritt in den Hintergrund, nicht alle "anderen" sind Banditen, die Menschlichkeit zählt. Der Schluss des Buches ist berührend. Am Ende der Reise erfüllt sich die Hoffnung der Kinder, sie finden ein Zuhause im Heimatort der Mutter, bei den Großeltern.

Muchoki und Jata sind beeindruckende Persönlichkeiten, großer Bruder und kleine Schwester, die aufeinander achten und füreinander sorgen. Trotz des erlebten Schreckens in diesen Zeiten der Unsicherheit und Angst gelingt es ihnen immer wieder, Vertrauen zu haben, großzügig und hilfsbereit auf andere zu zugehen. Neben den wirklich spannend beschriebenen Abenteuern eröffnet diese bewegende Geschichte über Freundschaft und Geschwistersolidarität den Blick in eine andere Welt, nach Kenia.

Klug hat der Autor Eric Walters viele Informationen nicht in seiner gut geschriebenen Erzählung untergebracht, das hätte die Handlung leicht gesprengt und überfrachtet. Es gibt eine spezielle Internetseite www.walkinghome-buch.de, voller Fotos, Videos und Hintergrundinformationen in englischer Sprache, und Hinweise darauf als Symbole im Text. Gemeinsam mit kenianischen und kanadischen Jugendlichen ist der Autor dazu die Strecke abgelaufen, die seine beiden (fiktiven) Romanfiguren zurückgelegt haben, um authentisch erzählen zu können. Eine fantastische Idee, die neugierigen Lesern bei uns ermöglicht, Bilder aus einem Flüchtlingslager, einer kenianischen Kleinstadt oder einer Landstraße zu sehen und sich über die Ursachen von Gewalt zu informieren, die oft einfach als "Stammeskriege" bezeichnet werden und doch viel komplexer sind. (ab 12 Jahre)

Eric Walters: Walking home - Der lange Weg nach Hause. Aus dem Englischen von Annika Loose. Knesebeck 2016. 288 Seiten, 16,95 Euro.

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