Früher einmal, da war die Bundeswehr auf die Verteidigung der eigenen Landesgrenzen ausgerichtet. Und da die - allen Bedrohungsszenarien des Kalten Krieges zum Trotz - stabil blieben (mal abgesehen von der Wiedervereinigung), war der Dienst in der deutschen Armee eigentlich eine ungefährliche Sache.
Das hat sich gründlich geändert: Seit die Bundeswehr in den neunziger Jahren damit begann, sich an UN- oder Nato-Missionen in den jugoslawischen Nachfolgestaaten auf dem Balkan, später in Afghanistan oder an anderen Einsatzorten zu beteiligen, müssen auch deutsche Soldaten damit rechnen, im Einsatz getötet oder verletzt zu werden oder mit einer posttraumatischen Belastungsstörung wieder in die Heimat zurückzukehren.
Zehntausende neue Rekruten benötigt die Bundeswehr jedes Jahr. Doch die Gefahr schreckt viele junge Menschen ab. Zudem hat die Aussetzung der Wehrpflicht im vergangenen Jahr die Nachwuchssorgen der Truppe verschärft. Vor diesem Hintergrund sorgt derzeit eine Kampagne für große Empörung, mit der die Bundeswehr in der Jugendzeitschrift Bravo und auf deren Webseite um Jugendliche wirbt. Denn die lockt junge Menschen mit sogenannten Adventure-Camps und entwirft dabei ein ganz anderes Bild der Armee.
"Action, Adrenalin, Abenteuer" erwarten die Teilnehmer der kostenlosen Abenteuer-Reisen einem Werbevideo zufolge (das Video wurde inzwischen aufgrund eines Urheberrechtsverstoßes auf Youtube gesperrt, verfügbar ist allerdings noch ein ähnlich getricktes Video über ein erstes "Come together" von Camp-Teilnehmern). "Krasse Wasserwettkämpfe, crazy Strandspiele und coole Beachpartys" können sich die Jugendlichen bei der Luftwaffe in Sardinien erhoffen, es winken Übernachtungen in einer "coolen Bundeswehrhütte" bei den Gebirgsjägern in den Berchtesgadener Alpen. Auf jeden Fall - wo auch immer: "Jede Menge Fun." Und alles gratis.
Die Art, wie sich die Bundeswehr hier Jugendlichen präsentiert, stößt Politikern und Kinderrechtlern sauer auf. Mehrere Oppositionsvertreter kritisierten die Kampagne als "unsäglich" und "nicht akzteptabel".
Präsentiert sich die Bundeswehr verharmlosend?
"Die Bundeswehr wird hier auf eine völlig irreführende Art und Weise dargestellt", sagt auch Ralf Willinger, Kinderrechtsexperte bei Terre des Hommes. Natürlich seien die Abenteuer-Camps keine Ausbildungsstätten, doch würden junge Leute dort auf eine Tätigkeit bei der Bundeswehr eingestimmt.
Und es gehe ja nicht nur um die 30 Teilnehmer, sondern um Hunderttausende jugendliche Bravo-Leser, denen ein Bild der Armee vermittelt werde, das mit der Realität wenig zu tun habe. Fraglich sei zudem, ob die Bundeswehr mit der Werbung in der Jugendzeitschrift, nicht seine eigenen Leitlinien unterlaufe, wonach sich Info- und Werbekampagnen erst an Jugendliche von mindestens 14 Jahren richten sollen. Denn eigenen Angaben der Bauer Media KG zufolge bietet die Bravo Werbekunden "eine intensive Ansprache der Kids und Jugendlichen zwischen 10 und 20 Jahren".
Steffen Stoll, Personalwerbungs-Leiter bei der Bundeswehr, widerspricht dieser Einschätzung: Die Bravo spreche zwar auch Leser unter 14 Jahren an, doch die Hälfte der Nutzerschaft bewege sich genau im Altersabschnitt zwischen 14 und 17 Jahren, den die Bundeswehr mit Werbeaktionen wie den Adventure-Camps ansprechen wolle.
Keine Personalwerbung bis 17
Auch Vorwürfe, dass die Bundeswehr sich mit ihrer Aktion verharmlosend präsentiere, weist der Fregattenkapitän zurück. "Wenn wir ein sachlich aufklärendes Video machen, wird sich das kein Mensch angucken. Junge Menschen müssen in ihrer Sprache und ihrer Bilderwelt angesprochen werden", sagt er. Hier unterscheide sich die Bundeswehr erst einmal nicht von Unternehmen wie Audi oder Lufthansa.
Ziel sei es, junge Menschen in Kontakt mit aktiven Soldaten zu bringen. Und in diesem Folgeschritt liege die besondere Verantwortung der Bundeswehr. Im Dialog mit den Soldaten kämen dann auch negative Aspekte des Einsatzalltags zur Sprache. Stoll verweist zudem darauf, dass es bei der Ansprache der Jugendlichen zunächst einfach darum ginge, Interesse zu generieren. Erst ab dem Alter von 17 Jahren fände eine "personalwerbliche Ansprache" statt.
Doch Kritikern geht es ohnehin um mehr als diese eine Werbekampagne mit der Bravo. Denn die Aufsehen erregende Aktion ist nur ein Teil der Strategie, die das Militär bei Jugendlichen anwendet, wenn auch ein sehr zugespitzter. "Die gesamte, oft kritisierte Werbestrategie der Bundeswehr kulminiert in diesem Film", sagt Willinger.
Die Bundeswehr schickt Soldaten auf Jobmessen oder mit dem Infomobil an belebte Plätze, plant Sportveranstaltungen und hat neben einer Karriereseite auch ein spezielles Internetangebot für Teenager. Auf besondere Kritik stößt aber vor allem die Zusammenarbeit der Armee mit Schulen - wobei die Bundeswehr selbst bestreitet, dass es sich hierbei überhaupt um Werbung handelt.
Dass Zweitklässler Schutzengel für Soldaten im afghanischen Masar-i-Scharif basteln, wie jüngst berichtet wurde, ist zwar noch eine Ausnahmeerscheinung. Jugendoffiziere werden jedoch in weiterführende Schulen geschickt, um dort über verschiedene Themenblöcke wie den Auftrag der Bundeswehr, die Nato, die Zusammenarbeit zwischen Militär und humanitären Organisationen oder den Afghanistan-Einsatz zu informieren.
Das mag keine direkte Werbung sein - objektive politische Bildung ist es jedoch auch nicht, sagen zumindest Kritiker. Ein breit angelegtes Bündnis aus Bildungsvertretern und Friedensinitiativen hat daher für die kommende Woche eine "Antimilitaristische Aktionswoche" ausgerufen, um gegen die Präsenz der Bundeswehr an Schulen und Hochschulen zu demonstrieren. Darunter Gewerkschafter von GEW und DGB, Schülervertretungen, Studierendenvertretungen oder das Bündnis "Schulfrei für die Bundeswehr".
Es sind vor allem vier Punkte, die sie gegen die Arbeit der Jugendoffiziere vorbringen:
[] In acht Bundesländern haben die Kultusministerien sogenannte Kooperationsverträge mit der Bundeswehr geschlossen. Die Arbeit der Jugendoffiziere werde dadurch besonders legitimiert, sagte Lena Sachs, eine der Organisatorinnen der "Antimilitaristischen Aktionswoche" . Ein Verweis darauf diene den Bundeswehrvertretern als "Türöffner" in den Schulen. Zudem griffen die Jugendoffiziere in diesen Bundesländern auch in die Lehrerausbildung ein: Sie schulten Referendare und organisierten Weiterbildungsfahrten für Lehrer.
[] Die Bundeswehr gibt für die Unterrichtseinheiten ihrer Abgesandten spezielle Materialien heraus. Diese seien nur vordergründig objektiv, sagt Sachs, die die Unterlagen für eine wissenschaftliche Arbeit untersucht hat. Vielfach würden kritische Punkte jedoch gar nicht angesprochen, weiterführende Links verwiesen immer nur auf offizielle Stellen.
[] Die Jugendoffiziere kommen im Allgemeinen während der üblichen Schulstunden. Ihr Unterricht erscheint so als Teil des Pflichtunterrichts. "Die Teilnahme müsste aber freiwillig sein", sagt Kinderrechtsexperte Willinger. "Eltern und andere Interessierte sollten auch teilnehmen können. Und vor allem müsste es sich um kontroverse Diskussionsveranstaltungen mit weiteren Experten handeln und nicht um eine One-Man-Bundeswehr-Show."
[] "Denn die Art, wie die Bundeswehr in den Schulen präsent ist, verstößt aus unserer Sicht gegen das Kontroversitätsgebot", kritisiert Willinger zudem. Dem sogenannten "Beutelsbacher Konsens" zufolge müssten Themen, die in der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden, auch in der Schule kontrovers behandelt werden, zum Beispiel durch Einbeziehung weiterer Experten. Sicherheitspolitik gehöre da eindeutig dazu.
Die Verzerrung der Realität sei bei den Besuchen der Jugendoffiziere subtil, sagt Sachs. "Da wird ja keine Kriegspropaganda betrieben." Doch würden stark belastende Themen aus dem Soldatenalltag - Tod, Verwundung, psychische Störungen - nicht ausreichend dargestellt. Wenn ein "cooler Jugendoffizier in seiner schicken Uniform" vor der Klasse stehe, würde der Soldatenberuf auf eine Weise repräsentiert, die nicht der Einsatzrealität entspreche. Und dies vor Schülern, die kurz vor ihrer Berufswahl stünden.
Zur Kritik an der Arbeit der Jugendoffiziere will sich Fregattenkapitän Stoll als Leiter der Personalwerbung nicht eingehend äußern, da Werbung und der Informationsbereich bei der Bundeswehr organisatorisch streng voneinander getrennt seien. Nur so viel: Aus Sicht der Bundeswehr übermittelten die Jugendoffiziere in den Schulen sicherheitspolitische Informationen: "Da findet keine Werbung statt." Auch die Polizei besuche ja beispielsweise regelmäßig Schulen, ohne dass es um Personalrekrutierung gehe.
Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums teilte zur Kritik an der Arbeit der Jugendoffiziere mit, dass die von ihnen herausgegebenen Materialien die "von der Bundesregierung zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik veröffentlichten Aussagen und Positionen" widerspiegelten. Die Bundeswehr habe "keine rechtlich verbindlichen Kooperationsverträge, sondern Kooperationsvereinbarungen zur Optimierung der Zusammenarbeit" mit den Kultusminsterien geschlossen.
Den Vorwurf, der Einsatz der Jugendoffiziere verstoße gegen das Kontroversitätsgebot, bestritt er. Unterricht müsse kontrovers sein, damit sich Schülerinnen und Schüler ein eigenes, argumentativ ableitbares Urteil bilden können, teilte der Ministeriumssprecher weiter mit. Ihm zufolge ist dies aber nicht Aufgabe der Jugenoffiziere, sondern der Lehrer: "Für diese Kontroversität ist die Lehrkraft, die den Unterricht leitet, verantwortlich."