Kompromiss zum §219a:"Die SPD-Frauen können dem niemals zustimmen"

Europawahl 2014 in Deutschland - Wahlparty bayerische SPD

Maria Noichl

(Foto: Stefan Puchner/dpa)

Maria Noichl spricht für die Frauen in der SPD, den Kompromiss zum Paragraphen 219a lehnt sie ab und empfiehlt das auch ihrer Partei. Der Kompromiss transportiere rechtspopulistisches Denken.

Interview von Lars Langenau

Maria Noichl, 51, aus Rosenheim, ist seit Juni 2018 Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) und damit kooptiertes Mitglied des SPD-Vorstandes. Seit 2014 ist sie Abgeordnete im Europäischen Parlament und steht für die Europawahl am 26. Mai 2019 auf Platz 3 der SPD-Liste hinter Katarina Barley. Die Bundesjustizministerin hat mit Familienministerin Franziska Giffey für die SPD den Kompromiss um den Paragrafen 219a mit den CDU-Politikern Jens Spahn, Helge Braun und CSU-Mann Horst Seehofer ausgehandelt.

SZ: Frau Noichl, ist die SPD bei dem Streit um den Paragrafen 219a eingeknickt?

Noichl: Die gesamte SPD will die Abschaffung des Paragrafen 219a. Punkt. Die SPD als Partei sitzt aber nicht am Tisch mit den Verhandlern von CDU und CSU, sondern nur zwei Ministerinnen der Bundesregierung. Dass hier jemand eingeknickt ist, kann man daher nicht sagen.

Aber eingeknickt ist doch eben Ihre Genossin Katarina Barley, der gerade nominierten Spitzenkandidatin für die Europawahl. Sie sind Spitzenkandidatin der Bayern-SPD und stehen auf der SPD-Bundesliste auf Platz 3. Ist es schwierig für Sie mit Frau Barley zusammenzuarbeiten?

Ich arbeite sehr gerne mit Katarina Barley zusammen, schätze sie, ihre Meinung und ihren Einsatz. Sie hat das ja nicht als Spitzenkandidatin der SPD verhandelt, sondern als Bundesjustizministerin. Sie sitzt auf zwei verschiedenen Stühlen, aber ich kann Ihnen versichern: Auch Frau Barley möchte die Abschaffung dieses Paragrafen. Aber das Möchten auf einer Regierungsbank ist leider etwas anderes, als die eigene Überzeugung durchzusetzen. Das ändert jedoch nichts an der Position der SPD.

Die wegen dem Paragrafen 219a zu einer Geldstrafe verurteilte Ärztin Kristina Hänel hat sich diese Woche schwer enttäuscht über die SPD geäußert und nennt den Kompromiss eine "Null-Nummer", der mit "Sozialdemokratie gar nichts mehr zu tun" habe.

Ich kann die Enttäuschung verstehen. Wir haben von der AsF über die Jusos und andere Parteigliederungen ganz klare Beschlüsse, dass wir den Paragrafen 219a nicht verändern, sondern abschaffen wollen. Ärzte dürfen doch sowieso nicht werben, wieso also eine Extraregelung für Ärzte, die diesen Eingriff vornehmen und die es ermöglicht, dass Mediziner verurteilt werden, wenn sie nur informieren? Werben will niemand, aber lassen wir die Ärzte doch bitte informieren! Ärzte haben einen Eid geleistet, dass sie Menschen helfen und deshalb geht es hier vor allem um die Rechtssicherheit für Ärzte.

Was ärgert Sie besonders an dem Kompromiss?

Dass sich hier rechtspopulistischen Gedanken durchgesetzt haben. So wird eine Studie in Aussicht gestellt, die sich mit den negativen seelischen Folgen der Schwangerschaftsabbrüche auseinandersetzen soll. Diese saublöde Rhetorik kenne ich aus dem Europaparlament von Vertretern extrem rechter Parteien, meistens Männern. Ich bin entsetzt, dass die CDU/CSU dem Argumentationsstrang von angeblichen "Lebensschützern" übernimmt, die statt der Frauen selbst über die Frauen und ihr Leben bestimmen wollen. Letztendlich geht es um die Entmachtung der Frauen. Diese Leute haben kein Problem damit, wenn Menschen auf dem Weg zu uns ertrinken, aber wollen angeblich ungeborenes Leben schützen. Deren Ziel ist es, Abtreibungen generell zu verbieten. Wir erleben hier gerade eine Radikalisierung auf deren Seite. Blicken Sie doch nur einmal nach Amerika. Deshalb kann ich diesen Kompromiss nicht akzeptieren. Es wäre gelogen, wenn ich ihn als gut bezeichnen würde.

Sie kritisieren auch die Formulierungen der "seelischen Folgen" einer Abtreibung, die jetzt näher untersucht werden sollen, wie es im Eckpunktepapier steht?

Ja, es gibt bereits viele Studien dazu und keine bestätigt diesen angebliche "Post-Abortion-Syndrom". Für mich ist völlig klar, dass alle Frauen eine Abtreibung nur in einer Notsituation vornehmen lassen. Es hat auch Auswirkungen, wenn ich Kinder bekomme, für die ich mich nicht entschieden habe oder für Kinder, wenn sie ungeliebt auf die Welt kommen. Das wird sicher nicht in dem Gesetzentwurf stehen, der im Januar vorliegen soll, aber dass dies in dem Papier auftaucht, zeigt, dass die Union weiter rechts steht, als man oft vermutet. Es sagt, dass man Frauen vor ihren Entscheidungen schützen müsse, weil sie uns langfristig dafür dankbar sein werden. Beatrix von Storch von der AfD hat sich im EU-Parlament mehrfach in dieser Richtung geäußert und jetzt bedient sich die Union bei ihr. Es ist eine Katastrophe.

"Das Werbeverbot ist und bleibt zynisch"

Aber in den Verhandlungen für diese "Katastrophe" saßen ja nun zwei SPD-Frauen. Wie können die so eine Formulierung tolerieren?

Es soll ja ein Kompromiss sein. Und die SPD hat wiederum auch verhandelt, dass nun auch drin steht, dass wir deutlicher auf Qualifizierung und Weiterbildung in diesem Bereich achten müssen. Dass wir sicherstellen, dass Ärztinnen und Ärzte sich im Bereich Schwangerschaftsabbrüche weiterbilden können. Die Frauen haben ein Recht darauf, dass dieser Eingriff von guten Ärzten und Ärztinnen vorgenommen wird. Auch ist von der SPD reingekommen, dass es endlich eine Information über den Eingriff geben soll und wo man den vornehmen kann.

Aber das Werbungsverbot ist auch noch drin.

Deshalb können die SPD Frauen dem auch niemals zustimmen. Ein Kompromiss müsste ein Treffen auf halber Strecke sein. Im angeblichen Kompromisspapier aber wird der Paragraf nicht gestrichen, sondern nur verändert. Eine längst fällige Distanzierung von dem Wort "Werbung" wurde nicht vollzogen. Es suggeriert, Frauen würden sich zur Abtreibung locken lassen, weil sie heute gerade nichts anderes zu tun hätten. Dies ist und bleibt zynisch.

Wofür steht die SPD?

Dafür, Frauen zu unterstützen und eine Weiterbildung von Fachärzten für diese Eingriffe. Die andere Seite steht für moralischen Druck auf Frauen. In dem Papier wird der Paragraf 218 mit 219a völlig vermischt. Es geht da plötzlich nicht mehr um Werbung oder Information, sondern ob es zu viele Abtreibungen gibt oder nicht. Das wird alles in einen völlig falschen Kontext gestellt. Die CDU/CDU in dieser Koalition will keinen Schritt in Richtung Weiterentwicklung von Frauenrechten gehen. Deshalb kann man nicht sagen, unsere Leute haben schlecht verhandelt. Wie soll man denn ein Auto steuern, wenn die zwei anderen immer die Handbremse ziehen?

Manche werfen der SPD vor, sie sei für Abtreibungen ...

Ein großer Blödsinn! Keine Partei im Bundestag ist für Abtreibungen. Die SPD setzt sich mit so vielen sozialen Maßnahmen für Abtreibungsprävention ein, dass jedes Kind ein gewünschtes Kind sein kann. Wenn eine Frau trotz all der Hilfsangebote und finanziellen Unterstützungen sich gegen das Kind entscheidet, dann wenden wir uns nicht von der Frau ab, sondern wollen sie in ihrer freien Entscheidung unterstützen.

Wie geht es denn nun weiter mit dem Papier?

Das war jetzt eine Art Willenspapier, wir werden uns im Januar den Gesetzentwurf genau anschauen.

Und dann die Abstimmung im Parlament freigeben?

Das halte ich für eine ganz wunderbare Idee. Es wird ja viel darüber geredet, ob das auch eine religiöse Komponente hat. Dann ist es eine Gewissensentscheidung. Dann hoffe ich, dass die SPD mit anderen Parteien eine Entscheidung trifft, die sowohl im Bundestag als auch bei der deutschen Bevölkerung längst eine Mehrheit hat: den Paragraf 219a abzuschaffen. Er ist einfach nicht mehr zeitgemäß.

Also den Koalitionsbruch riskieren?

Koalitionsbruch fand in der letzten großen Koalition statt, als der damalige Landwirtschaftsminister von der CSU, Christian Schmidt, entgegen der Weisung der SPD-Umweltministerin, in Brüssel für Glyphostat stimmte. Barbara Hendricks hat damals großmütig über diese Sauerei hinweg gesehen. Deshalb haben wir in dieser Koalition wenigstens einmal das Recht, auch anders zu handeln. Deshalb sehe ich eine freie Abstimmung auch überhaupt nicht als Koalitionsbruch.

Sie sind Europapolitikerin. In welchen Ländern läuft es denn besser?

In Irland werden Schwangerschaftsabbrüche im kommenden Jahr endlich legalisiert und in Polen wurde kürzlich eine Verschärfung des Rechts auf Abtreibung verhindert. Aber da werden die Ärzte so unter Druck gesetzt, dass kaum noch jemand diesen Eingriff anbietet. Deshalb führt das zu Abtreibungstourismus. Das geschieht inzwischen aber auch wieder in Deutschland, weil sich immer weniger Ärzte dazu bereit erklären. Auch hier werden sie von sogenannten "Lebensrettern" eingeschüchtert. Das kann einfach nicht sein.

Wie sollte man dem begegnen?

Kommunale Kliniken, die öffentliche Gelder bekommen, sollen Abtreibungen verpflichtend anbieten. Zwar können das Ärzte aus Gewissengründen verweigern, aber die Gynäkologen müssen dazu bei ihrer Einstellung befragt werden. Wenn sie das verweigern, müssen sich die Klinken fragen, ob das der richtige Arzt ist.

Die Kirchen sind ja wie die Union bekannte Gegner der Abtreibung.

Kirchen dürfen gerne ihre Meinung dazu äußern und ich habe hohen Respekt vor jeder Frau, die sagt, ich lasse mein Kind nicht abtreiben. Ich habe zwei Söhne und mein erstes Kind habe ich mit 17 Jahren bekommen. Ich weiß sehr wohl, was eine nicht geplante Schwangerschaft heißt und wie wichtig diese eigene Entscheidung ist. Das Kind hat ein Recht darauf, dass die eigene Mutter zu ihm Ja sagt! Also sollen die Kirchen bitteschön aufhören, in diese Entscheidung anderer einzugreifen. Wir haben kein Kirchenrecht in Deutschland.

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Kristina Hänel

SZ PlusSZ MagazinParagraf 219a
:Bauchgefühl

Kristina Hänel ist deutschlandweit als die "Abtreibungsärztin" bekannt geworden. Seit sie um das Recht kämpft, Frauen über Schwangerschafts­abbrüche zu infor­mie­ren, ist eine alte Debatte neu entflammt: Wer darf in den Lauf des Lebens eingreifen?

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