75. Jahrestag des Reichstagsbrandes:Viele Verdächtige, zwei Theorien

Vor 75 Jahren missbrauchten die Nazis den Reichstagsbrand zur Unterdrückung politischer Gegner. Die These vom einzelnen Brandstifter ist umstrittener denn je.

Robert Probst

Es war eine Nacht der Superlative. Der Amtliche Preußische Pressedienst schrieb vom "bisher ungeheuerlichsten Terrorakt ... in Deutschland" und der "zweifellos schwersten bisher in Deutschland erlebten Brandstiftung".

Der angebliche Brandstifter, Marinus van der Lubbe

Der angebliche Brandstifter, Marinus van der Lubbe

(Foto: Foto: AP)

Und als Reichskanzler Adolf Hitler am 27. Februar 1933 vor dem brennenden Reichstag stand, sprach er sogleich von einem "gottgegebenen Zeichen". Selbst 75 Jahre später gilt der Brand noch immer als wohl bedeutendster politischer Kriminalfall in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Und noch immer streiten diverse Forscher sozusagen mit Feuereifer darüber, wer damals den Reichstag angezündet hat - vielfach wird darüber die wirkliche historische Bedeutung des Ereignisses in den Hintergrund gerückt.

Protest gegen das kapitalistische System?

Noch in dem Gebäude nahm die Polizei den 24 Jahre alten niederländischen Anarcho-Kommunisten Marinus van der Lubbe fest. Der arbeits- und obdachlose Maurer bestand von Anfang an darauf, den Brand allein gelegt zu haben, um gegen das ausbeuterische kapitalistische System zu protestieren.

Bei dieser Aussage blieb er bis zuletzt - im Dezember 1933 wurde er dafür zum Tode verurteilt und wenig später hingerichtet. Für Hitler, Goebbels und Göring war dieses Attentat in der aufgeheizten Stimmung kurz vor der Reichstagswahl am 5. März jedoch das Fanal eines kommunistischen Aufstands. Es bot sich so die günstige Gelegenheit, die unbequeme Opposition von KPD und auch SPD endlich zu attackieren und letztlich auszuschalten.

Weil aber die Katastrophe gar zu gut in die Pläne der Nazis auf ihrem Weg von einer Demokratie in die Diktatur zu passen schien, streiten seit fast 60 Jahren die Gelehrten darüber, ob van der Lubbe wirklich als Alleintäter gelten kann, oder ob die Nazis den Brand nicht selbst legten, um der "Machtergreifung" die nötige Dynamik zu verleihen.

Die dritte Theorie - Aufstand der Kommunisten - wurde in der Forschung längst verworfen, wenngleich die Führung der NSDAP wohl zum Teil daran glaubte und mit ihrer Propagandamaschinerie die Öffentlichkeit entsprechend manipulierte.

Nicht nur eine Frage des kriminalistischen Ehrgeizes

Das Reichsgericht jedoch fand 1933 keine Anhaltspunkte für kommunistische Drahtzieher und Mitwisser - bis auf van der Lubbe wurden alle Angeklagten der Partei freigesprochen. Allerdings ist die Täterfrage nicht nur eine Sache des kriminalistischen Ehrgeizes, sie spiegelt auch die historiographische Beschäftigung mit der NS-Zeit in der Bundesrepublik.

Nicht zuletzt ging es dabei um die Beurteilung, wie die Hitlersche Machteroberung tatsächlich ablief. So fochten viele Jahre die Anhänger der Totalitarismustheorie gegen die Verfechter des Polykratieansatzes. Die "Totalitaristen" gingen davon aus, die Nazis hätten planmäßig und systematisch die politische Gleichschaltung betrieben - ihnen passte natürlich die NS-Mittäterschaft beim Brandanschlag ins Konzept.

Die"Polykraten" betonten dagegen vor allem die Improvisationsfähigkeit der eher konzeptlosen NS-Politiker - hier passte die geniale Ausnutzung eines zufälligen Ereignisses, in diesem Falle der Alleintäter van der Lubbe, gut ins Bild. Lange Zeit opponierten jedoch politisch links eingestellte Historiker gegen die Alleintäter-Theorie, sie schien ihnen auf eine Verharmlosung Hitlers hinauszulaufen.

Viele Verdächtige, zwei Theorien

Zweifel an Alleintäter-Theorie

Allerdings hat der heftige, höchst emotionale "Historiker-Streit" diese theoretische Ebene längst verlassen und dreht sich heutzutage vor allem um die Interpretation historischer Quellen, um echte und gefälschte Akten - und nicht zuletzt um den Ehrgeiz, in einer brisanten Frage recht zu haben.

Zeitweise war nicht einmal mehr eine seriöse Auseinandersetzung möglich, die Kontrahenten beschimpften einander lieber als "Verschwörungstheoretiker". Seit den 1970er Jahren scheint sich jedoch die Alleintäter-Theorie im allgemeinen durchgesetzt zu haben, auch wenn jüngst wieder neue Zweifel aufgekommen sind.

So verlangen einige Forscher die Exhumierung van der Lubbes, um zu klären, ob dieser während des Prozesses unter Drogen gesetzt worden ist. Einen letztgültigen Beweis hat aber bisher keine der beiden Seiten vorgelegt - ob er je gelingen wird, ist mehr als fraglich.

Komplizenschaft, so oder so

Vielleicht sollte man es mit Joachim C. Fest halten, der schon 1973 in seiner Hitler-Biographie schrieb: "Durch die blitzschnelle Inanspruchnahme des Ereignisses für ihre Diktaturpläne haben die Nationalsozialisten sich die Tat, so oder so, zu eigen gemacht und ihre Komplizenschaft in einem Sinne offenbart, der von der Auseinandersetzung über Tatbestandsmerkmale und Täterschaftsfragen nicht mehr erreicht wird."

Noch in der Nacht wurden Tausende KPD-Funktionäre, Parlamentarier, aber auch Sozialdemokraten, Gewerkschafter und Linksintellektuelle wie Carl von Ossietzky verhaftet. Am darauffolgenden Tag wurde in aller Eile die Notverordnung "Zum Schutz von Volk und Staat" in Kraft gesetzt.

Zur "Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte" wurden sämtliche Grundrechte (Meinungs-, Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit, Post- und Telefongeheimnis, sowie Unverletzlichkeit von Eigentum und Wohnung) "bis auf weiteres" aufgehoben. Politische Gefangene durften auf unbestimmte Zeit festgehalten werden, auch die Grundlagen für die Gleichschaltung der Länder wurden gelegt.

"Schafsmäßige Ergebenheit"

Dieser "unerklärte Ausnahmezustand" - der bis zum Ende des Dritten Reiches andauerte - war von zentraler Bedeutung im Machteroberungsprozess der Nazis, der Weg zur Diktatur war damit geebnet.

Das Volk ließ sich das gefallen, gegen "Mordbrenner, Mordbuben und Giftmischer" müsse ja hart durchgegriffen werden. Sebastian Haffner, der später berühmte Publizist, schrieb 1939: "Daß die meisten Deutschen damals, im Februar 1933 an die kommunistische Brandstiftung glaubten, kann man ihnen, scheint mir, nicht übelnehmen. Was man ihnen übelnehmen kann, und worin sich zum ersten Mal in der Nazizeit ihre schreckliche kollektive Charakterschwäche zeigte, ist, daß damit die Angelegenheit für sie erledigt war.

Daß man ihnen, jedem einzelnen von ihnen, sein bißchen verfassungsmäßig garantierte persönliche Freiheit und Bürgerwürde wegnahm, nur weil es im Reichstag ein bißchen gebrannt hatte - das nahmen sie mit einer schafsmäßigen Ergebenheit hin, als müßte es so sein."

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