Einmal im Monat treffen sie sich an der Puerta del Sol im Herzen Madrids. Manchmal sind es nur drei Dutzend, die die rot-gelb-violette Fahne der Republik schwingen. Doch an runden Jahrestagen, wie am heutigen 1. April, kommen ein paar Tausend Menschen. Viele halten Schilder hoch: "Gerechtigkeit für die Opfer Francos!" Oder: "Bestrafung der Folterer und Schreibtischtäter!"
Vor der neoklassizistischen Fassade des Real Casa de Correos, dem Königlichen Posthaus an der Puerta del Sol, lassen sich gerne die Touristen fotografieren. In den bleiernen Jahren der Diktatur des Francisco Franco befand sich hier die Direktion der gefürchteten Geheimpolizei DGS. Heute ist der repräsentative Bau mit dem Uhrenturm Sitz der Regionalregierung von Madrid.
Überraschend reibungslos verlief nach dem Tod Francos 1975 der Übergang von der Diktatur zur Demokratie. Der Hauptgrund: das Amnestiegesetz von 1977. Doch heute spaltet genau dieses Gesetz die Spanier. Zwar habe es damals für innenpolitische Stabilität gesorgt, aber nicht die Gesellschaft befriedet, so die linksliberale Tageszeitung El País.
Wiedergutmachung verhindert
Letztlich habe es eine politische und juristische Aufarbeitung des Franco-Regimes verhindert. Denn faktisch bedeutete es Straffreiheit sowohl für die DGS-Folterknechte als auch für die dahinter steckenden Politiker; gleichzeitig nahm es deren Opfern weitgehend die Möglichkeit, juristische, materielle und moralische Wiedergutmachung zu erlangen.
Der "Schweigepakt" der Politiker von 1977 hielt zwei Jahrzehnte, auch in den Jahren der Verfestigung der Demokratie unter dem sozialistischen Regierungschef Felipe González (1982-1996). Unter dessen konservativem Nachfolger José María Aznar (1996-2004) aber setzte eine schleichende Rehabilitierung der Franquisten ein. So bezuschusste die Regierung eine Stiftung, die Franco verherrlichte. Erst der auf Aznar folgende Sozialist José Luis Zapatero (2004-2011) erklärte die Aufarbeitung des Bruderkriegs und der Franco-Diktatur zu einem Kernanliegen seiner Regierung.
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Die konservative Volkspartei (PP), eine Gründung von Francos früherem Informationsminister Manuel Fraga, aber auch die katholische Kirche warfen Zapatero daraufhin vor, "alte Wunden aufzureißen". Damit war eine breite öffentliche Debatte ausgebrochen, die bis heute anhält.
Erstmals wurden von lokalen Gruppen im ganzen Land die Massengräber von Opfern der franquistischen Repression aufgespürt. Experten schätzen deren Zahl auf 130 000. Das konservative Lager hält dagegen, dass in den Wirren des Bürgerkriegs Anarchisten und Kommunisten Zehntausende Vertreter der alten Ordnung ermordet sowie unzählige Kirchen zerstört hätten.
Papst Franziskus hat im vergangenen Oktober per dreiminütiger Videokonferenz bei einer Zeremonie mehr als 500 Geistliche und Ordensleute seliggesprochen, die im Bürgerkrieg auf gewaltsame Weise umgekommen waren. Seine Vorgänger Benedikt XVI. und Johannes Paul II. hatten fast 1000 Priester und Nonnen als Märtyrer seliggesprochen. Die Nachkommen der Verlierer des Bürgerkriegs wiesen vergeblich darauf hin, dass es in der Behandlung der Opfer einen fundamentalen Unterschied gegeben habe: Ihre Toten seien nie geehrt worden.
Auch die Regierung Zapatero konnte die von ihr geweckten Erwartungen der "Gedächtnisbewegung" sowie der Opferverbände letztlich nicht erfüllen, nicht zuletzt wegen der Grenzen, die das Amnestiegesetz gezogen hatte. Die juristische Aufarbeitung blieb Stückwerk, auch weil damit Entschädigungsansprüche verbunden gewesen wären.
Unter Zapateros konservativem Nachfolger Mariano Rajoy wurden die Mittel für Historiker und Bürgerinitiativen, die sich der Aufklärung von Verbrechen der Bürgerkriegs- und Franco-Zeit verschrieben haben, nahezu vollständig gestrichen. Begründet wurde dies mit der in der Krise erforderlichen Sanierung des Staatshaushalts. Zwar gilt Rajoy selbst als gemäßigt, doch haben im nationalpatriotischen Flügel der von ihm geführten PP manche Alt-Franquisten ihren Platz gefunden.
Seit dem vergangenen Herbst ist allerdings wieder Bewegung in die Debatte um die Bürgerkriegs-Aufarbeitung gekommen. Nach einer Rundreise durch Spanien rügte die UN-Arbeitsgruppe zu gewaltsamem und unfreiwilligem Verschwinden (GTDFI), dass die Kriegsverbrechen von damals bislang nicht geahndet und auch die Schicksale der etwa 114 000 vermissten Personen nicht von den Behörden aufgeklärt worden seien.
Der gefürchtete Billy el Niño
Vor allem sorgten vier internationale Haftbefehle für Aufsehen, die aus Buenos Aires in Madrid eintrafen: Das argentinische Bundesstrafgericht untersucht Menschenrechtsverletzungen aus dem Bürgerkrieg und der Franco-Zeit. Das Verfahren hatten nach Argentinien ausgewanderte Opfer und Familienmitglieder in Gang gebracht. Ausgeliefert werden sollen vier Polizisten der Politisch-Sozialen Brigade (BPS), die jegliche Opposition zu bekämpfen hatte.
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Am 1. April 1939 endet der Spanische Bürgerkrieg mit dem Sieg der Nationalisten. Das Datum markiert zugleich den Beginn der Franco-Diktatur, die ihren Vernichtungswillen gegen "innere Feinde" gnadenlos in Taten umsetzt.
Einer von ihnen war der als besonders brutal gefürchtete Billy el Niño - spanisch für Billy the Kid. Der heute 66 Jahre alte Juan Antonio González wurde so genannt, weil er bei den Verhören nicht nur handgreiflich wurde, sondern wie der Revolverheld aus den US-Filmen auch eine Pistole um den Zeigefinger kreisen ließ. Einen Prozess in Buenos Aires haben er und seine BPS-Kameraden aber nicht zu fürchten. Denn einer Auslieferung spanischer Staatsbürger müsste die Regierung in Madrid zustimmen, und dies ist nach dem Stand der Dinge nicht zu erwarten - wegen des Amnestiegesetzes von 1977.
Über den Bürgerkrieg gibt es Tausende von Publikationen. Zu staatlichen Gedenkfeiern wollen sich die Politiker von heute trotzdem nicht durchringen. Auch an der Real Casa de Correos an der Puerta del Sol findet sich nicht der kleinste Hinweis, was in den Kellern dieses prachtvollen Gebäudes vom Ende des Bürgerkriegs an vor sich gegangen ist: Gegner des Regimes und oder Menschen, die auch nur dafür gehalten wurden, erlebten hier ein Martyrium.