75 Jahre D-Day:Das Licht der Freiheit

75 Jahre D-Day: Der amerikanische Friedhof von Colleville-sur-Mer, hier liegen zahlreiche Soldaten begraben, die im Zweiten Weltkrieg fielen.

Der amerikanische Friedhof von Colleville-sur-Mer, hier liegen zahlreiche Soldaten begraben, die im Zweiten Weltkrieg fielen.

(Foto: AFP)

Großbritannien und die USA, Gründungsnationen der demokratischen Welt, sind in bedenklicher Verfassung. Gefährdet sind jene Werte, für die sie im Zweiten Weltkrieg kämpften.

Kommentar von Joachim Käppner

Am Eingang der Westminster Abbey in London befinden sich zwei Inschriften: eine zum Gedenken an Winston Churchill, den Kriegspremier Großbritanniens, der Hitlerdeutschland 1940 in scheinbar aussichtsloser Lage "We shall never surrender" entgegenschleuderte, wir werden uns niemals ergeben, und die Freiheit in Europa bewahrte. Die zweite gilt Franklin D. Roosevelt, seinem Freund und Bündnispartner. Amerikas Präsident tat schließlich, was Churchill so lange gehofft hatte: "dass die Neue Welt, mit all ihrer Kraft und Macht, zur Rettung der Alten Welt an unsere Seite tritt". Am D-Day, mit der westalliierten Landung in der Normandie, war dieser Tag gekommen.

Der US-Autor Jon Meacham schrieb über Westminster Abbey: "An sonnigen Tagen fällt das Licht ins Düster der alten Kirche - Licht einer Welt, die Churchill und Roosevelt gemeinsam vor dem Bösen gerettet haben." Ein wenig Pathos, sicher, aber ein verzeihliches. Und ein überaus berechtigtes, wie im Hier und Jetzt das unwürdige Schauspiel des Besuchs von US-Präsident Donald Trump in Großbritannien demonstrierte. America first, Brexit-Hysterie: Zwei Gründungsnationen der demokratischen Welt, zwei Mutterländer der politischen Vernunft, die 1944 ihre Armeen zur Rettung der Freiheit schickten - sie präsentieren sich heute in derangierter Verfassung, mit einem clownesk auftretenden, eigensüchtigen Führungspersonal. Dieses hat vor allem im Sinn, das Erbe Roosevelts und Churchills so schnell wie irgend möglich über Bord zu werfen: statt ein Miteinander der Nationen zu organisieren wieder das Erzübel des Gegeneinanders zu pflegen. An diesem Mittwoch war Trump in Portsmouth Gast eines Ereignisses, dem er daher keine Ehre machte, der Gedenkfeiern zum 75. Jahrestag des D-Day 1944.

Der Tag der Invasion markiert den Anfang vom Ende der Nazityrannei, von Terror, Vernichtungskrieg und Holocaust. Ungezählt sind die Bücher, Filme, Podcasts darüber, noch einmal berichten die allerletzten Veteranen anrührend vom Sterben am Omaha Beach und dem Durchbruch durch den "Atlantikwall". Selbst wer historisch wenig interessiert ist, versteht doch, wofür der D-Day stand und was ihn mit der eigenen Gegenwart verbindet: das Licht der Freiheit. Roosevelt und Churchill aber weckten auch "die Hoffnung auf eine bessere Zukunft", die sie schon 1941 in der "Atlantik-Charta" gefordert hatten, jenem Gegenentwurf zur Weltherrschaftsfantasie der deutschen Kriegsherren: Frieden, Freiheit, Selbstbestimmungsrecht (auch wenn die Briten vorsichtshalber nicht erklärten, wie sich solch hehre Ziele mit dem Empire vereinbaren ließen - auf das sie bald verzichten mussten). Churchill regte 1945 die Gründung jenes europäischen Staatenbundes an, den die Brexiteers nun so dringend verlassen wollen. Trump gibt ihnen gern Schützenhilfe, um die EU zu schwächen. In diesem Denken werden Partner zu Gegnern, gar zu Feinden. Da hilft es wenig, dass die scheidende Premierministerin Theresa May nun den D-Day als "Moment historischer internationaler Kooperation" würdigte.

Die nach 1945 entstandenen multilateralen Gemeinschaften und Gemeinsamkeiten - UN, Nato, EU - hatten und haben zahlreiche Schwächen. Aber sie sind in jeder Hinsicht das sehr viel bessere Modell als alles, was der neue Populismus zu bieten hat. Die Brutalität, mit der Trump seine britischen Gastgeber traktierte, von der Beleidigung der Herzogin Meghan bis hin zu Empfehlungen für ihm genehme künftige Bewohner von 10 Downing Street, bewies nur, in welch kalte, destruktive Welt der neue Nationalismus führt. Das "Europa der Vaterländer", das die Rechtspopulisten des Kontinents angeblich wollen, wäre eines von Kämpfen um Macht, Territorien, Gewinn; eines, in dem allein die Regeln des Stärkeren gelten.

Für die Deutschen sollte der Jahrestag des D-Day vielleicht Anlass sein, die nicht ganz so deutsche Tugend der Demut und Dankbarkeit zu zeigen. Damals hatte ihr Regime Finsternis über Europa gebracht; heute ist es ihre Regierung, die mit Freunden wie Frankreich die Demokratien an jene Gemeinsamkeiten erinnern darf und muss, welche eine irrlichternde US-Regierung mit Füßen tritt. Ein historisches Paradox. Jahrzehntelang hatten deutsche Bundeskanzler beim D-Day-Gedenken nicht dabei sein dürfen, selbst Helmut Kohl nicht, der sich im Sinne seines "Wir gehören wieder dazu"-Geschichtsbildes doch so sehr eine Einladung gewünscht hätte. Dieses Privileg wurde erst dem Sozialdemokraten Gerhard Schröder zuteil.

So trifft sich nun über den Gräbern die tief zerstrittene Familie der westlichen Welt, mit völlig veränderten Fronten und Konflikten. Es wäre vermessen zu glauben, dieser Gedenktag könnte Annäherungen bringen. Immerhin erinnert er an den Geist der Freiheit und die Opfer, die ihr Sieg erforderte; damals, als ein US-Soldat an die Gräber seiner gefallenen Kameraden die Verszeilen schrieb: "Die Retter kommen heute Nacht nicht heim. Denn sich selbst haben sie nicht retten können."

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