70 Jahre Hitler-Stalin-Pakt:Der Weg in den Krieg

Jedes Abkommen war nur Ausgangspunkt für neue Kämpfe - Adolf Hitler wollte unbedingt "seinen Krieg" und führte die Welt so in die Katastrophe.

Ulrich Schlie

Anders als beim Ersten hat es beim Zweiten Weltkrieg nie eine Diskussion über die Schuldfrage gegeben. An Hitler-Deutschlands Hauptverantwortung besteht kein Zweifel. Kampf und Krieg waren für den deutschen Diktator die Lebensprinzipien. Ein Gegensatz zwischen Politik und Krieg hat für ihn nie bestanden. Der Friede war kein positives Ziel, stets nur ein Ausgangspunkt für neue Kämpfe. Keine Frage: Hitler wollte "seinen" Krieg.

70 Jahre Hitler-Stalin-Pakt: Am 23. August 1939 unterzeichneten der deutsche Joachim von Ribbentrop (links) und der sowjetische Außenminister Wjatscheslaw Molotow (vorn) in Moskau den deutsch-russischen Nichtangriffspakt. Im Hintergrund lächelt Stalin.

Am 23. August 1939 unterzeichneten der deutsche Joachim von Ribbentrop (links) und der sowjetische Außenminister Wjatscheslaw Molotow (vorn) in Moskau den deutsch-russischen Nichtangriffspakt. Im Hintergrund lächelt Stalin.

(Foto: Foto: dpa)

Bis zum Jahr 1937 war Hitler auf seinem Weg vorangekommen, zunächst eine Hegemonialstellung auf dem europäischen Kontinent durch stückweise Revision des Versailler Vertrages zu erlangen. Mittel und Zweck vermischten sich dabei: Austritt aus dem Völkerbund (1933), Nichtangriffspakt mit Polen (1934), deutsch-britisches Flottenabkommen (1935), Einmarsch in die entmilitarisierte Zone des Rheinlandes (1936), "Achsenbündnis" mit Italien (1936). 1937 sprach er dann erstmals von einer möglichen Auseinandersetzung mit den europäischen Kontinentalmächten. Seine Wunschkonstellation war dies nicht.

Hitlers Hoffnung, sich mit London zu arrangieren

Spätestens seit dem Besuch des britischen Lordsiegelbewahrers Lord Halifax im November 1937 hätte Hitler klar sein müssen, dass die auf eine Einbindung Deutschlands zielende britische Appeasementpolitik und sein auf Hegemonie ausgerichtetes Programm unvereinbar waren. Doch er hat nie die Hoffnung aufgegeben, Großbritannien könne sich vielleicht doch noch mit Deutschland arrangieren, auch nach Kriegsausbruch nicht.

Der Wunsch mag hier Vater des Gedankens gewesen sein, doch es war auch Kalkül dabei, dass die natürlichen Gegensätze zwischen den beiden Kontinentalmächten Frankreich und Großbritannien stärker seien als die gemeinsamen Ziele.

Russland war Dreh- und Angelpunkt in Hitlers Lebensraumdenken. Sein Rassenwahn und sein Antibolschewismus verbanden sich in seinem kruden Gedankengebräu. Der Bolschewismus habe die Ablösung der germanischen durch die jüdische Herrschaftsschicht bewirkt, und deshalb sei das Riesenreich im Osten reif für den Zusammenbruch.

In einer Klarheit, die nichts zu wünschen übriglässt, hat Hitler dies am 11. August gegenüber einem Besucher, dem Schweizer Carl Jacob Burckhardt, damals Hochkommissar des Völkerbundes in Danzig, offen ausgesprochen: "Alles, was ich unternehme, ist gegen Russland gerichtet; wenn der Westen zu dumm und zu blind ist, um dies begreifen, werde ich gezwungen sein, mich mit dem Russen zu verständigen, den Westen zu schlagen und danach mich mit meinen versammelten Kräften gegen die Sowjetunion zu wenden."

Goebbels sprach vom "genialen Schachzug"

Der am Morgen des 24. August zwischen Deutschland und der Sowjetunion von Stalin und dem deutschen Außenminister Joachim von Ribbentrop unterzeichnete Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der Sowjetunion - auf den 23. August datiert - entsprach vollständig dem gegenüber Burckhardt offengelegten Kalkül. Der Pakt wurde sogleich veröffentlicht und schlug ein wie eine Bombe. Goebbels nannte die Unterzeichnung in seinem Tagebuch einen "genialen Schachzug".

Der Hitler-Stalin-Pakt hatte eine subjektive und eine objektive Bedeutung. Hitler hatte jetzt freie Hand, Polen auszulöschen. Die strategische Lage Deutschlands hatte sich dramatisch verbessert. Das alte Problem eines Zweifrontenkriegs war über Nacht verschwunden. Und auch Stalins Sowjetunion hatte aus dem Vertragsabschluss zunächst nur strategische Vorteile.

In einem geheimen Zusatzprotokoll, das erst nach dem Krieg im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess bekannt wurde, war die Aufteilung Osteuropas in Interessensphären verabredet. Finnland, Estland, Lettland wurden mit einem Federstrich dem sowjetischen Einflussbereich zugesprochen, Litauen dem deutschen. "Freiheit der Besitznahme" nannte man dies in beschönigender Sprache. Eine kriegerische Zerschlagung Polens war die unausgesprochene Annahme der Absprachen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wieso der Zweite Weltkrieg nach dem Abschluss des Hitler-Stalin-Pakts nur eine Frage der Zeit war.

Zweiter Weltkrieg unvermeidbar

Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war mit Abschluss des Hitler-Stalin-Pakts nur noch eine Frage der Zeit. Auch die Sowjetunion hat dies so gesehen, wie Molotow in einer öffentlichen Rede am 31. August unumwunden zugegeben hat. Skrupel kannte auch Stalin nicht.

70 Jahre Hitler-Stalin-Pakt: Der Historiker Ulrich Schlie, Jahrgang 1965, unterrichtete an Universitäten in Berlin und Paris. Derzeit leitet er den Planungsstab des Bundesministeriums der Verteidigung in Berlin.

Der Historiker Ulrich Schlie, Jahrgang 1965, unterrichtete an Universitäten in Berlin und Paris. Derzeit leitet er den Planungsstab des Bundesministeriums der Verteidigung in Berlin.

(Foto: Foto: oH)

Als sich nach dem deutschen Angriff auf Polen am 1. September gegen Monatsmitte der militärische Zusammenbruch Polens abzeichnete, nahm sich Stalin seinen Teil. Die Rote Armee rückte am 17. September nach Ostpolen ein. Als Begründung wurde noch nachgeschoben, der polnische Staat habe aufgehört zu existieren.

Den ersten Zug überließ Stalin stets Hitler, und dieser hatte nun seinen Freibrief zum Krieg. Hektische diplomatische Aktivitäten selbsternannter und neutraler Mittelsmänner hätten Hitler in der letzten Woche vor Kriegsausbruch die Chance eröffnet - getreu dem bis dahin bewährten Rezept - , die mit dem Pakt deutlich verbesserte strategische Lage zu nutzen, um politische und territoriale Zugeständnisse einzuheimsen. Hitler aber schlug dies aus. Er wollte "seinen" Krieg.

Die Fehleinschätzung, Großbritannien würde wegen Polen nicht kämpfen, die Unterschätzung der immer mehr auf Intervention ausgerichteten Vereinigten Staaten und die Überschätzung der eigenen Kräfte haben dazu beigetragen. Was spätestens seit Anfang 1942 offenkundig wurde, dass es Hitler nie verstanden hat, militärische Erfolge in politische Siege umzumünzen, das galt schon für den Sommer 1939. Hitler verzichtete auf Politik, weil er dazu nicht in der Lage war.

Den großen Krieg, die Ausweitung der zunächst europäischen Auseinandersetzung mit dem Angriff auf die Sowjetunion und dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten 1941 ins Globale, hat Hitler so zwar nicht gewollt, aber bewusst in Kauf genommen. Die Geschichte in ihrem Verlauf ist grundsätzlich nie ohne Alternativen. Hitler indes hat mit seinem Verzicht auf Politik alles getan, um die Offenheit geschichtlicher Konstellationen außer Kraft zu setzen.

Er bekam seinen Krieg, und dieser musste mit einer vollständigen militärischen Niederlage und einer moralischen Katastrophe ohnegleichen enden. Auf die Hybris folgte die Nemesis. Am Ende steht der 8. Mai 1945.

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