68er-Revolte:"Der NS-Muff ist vertrieben"

STUDENTENPROTEST

Am 9. November 1967 störten Detlev Albers (l.) und Gert Hinnerk Behmler (r.) im Audimax der Hamburger Universität die traditionelle Rektoratsübergabe zu Beginn des Semesters und sind mit ihrem Banner "Unter den Talaren Muff von 1 000 Jahren" zum Symbol des Studentenprotests der 68er geworden. Das untere Foto zeigt die beiden Männer 30 Jahre später.

(Foto: DPA)

Am 9. November 1967 hielt Detlev Albers das Banner "Unter den Talaren - Muff von 1000 Jahren". Mit SZ.de sprach der Jura-Professor über die 68er, Studentenproteste und die aktuellen Probleme an den Unis.

Dörthe Nath

Am 9. November 1967 sprangen die beiden Jurastudenten Detlev Albers und Gert H. Behlmer mit einem Transparent vor die einziehenden Professoren, das eine Art Motto der 68er werden sollte. "Unter den Talaren - der Muff von 1000 Jahren" hatten sie mit Klebestreifen auf das schwarze Stoffstück geschrieben. Zunächst unsichtbar für die ins Auditorium Maximum der Hamburger Universität einziehenden Talarträger, umso sichtbarer für die Kameras. Detlev Albers (63) ist heute Professor für Politologie an der Universität Bremen und Mitglied der Grundwertekommission der SPD. Er war bis 2004 Bremer SPD-Landesvorsitzender und bis 2007 Mitglied im Bundesparteivorstand.

Detlev Albers: Unter den Talaren - Muff von 1000 Jahren

Detlev Albers (l.): "Unser Anzug war an jenem Tag Teil der Tarnung"

(Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Albers, auf dem Foto sehen Sie nicht wie ein wilder Revolutionär aus, eher ein wenig nach Lieblingsschwiegersohn - wie kam das?

Detlev Albers: Das hing mit meiner Rolle als Asta-Vorsitzender zusammen. Man begegnete den Rektoren, die in ihrer feierlichsten Amtstracht einzogen, in Ausgehgarderobe. Das war die jährlich wiederholte feierliche Übergabe des Rektorenamtes an den Nachfolger. Unser Anzug war an jenem Tag Teil der Tarnung.

sueddeutsche.de: Was hatte sich seit der vorangegangenen Rektoratsübergabe verändert?

Albers: Wir befanden uns Monate nach dem Schah-Besuch und dem tragischen Tod von Benno Ohnesorg [2. Juni 1967, d. Red.] in einer aufgeladenen Situation. Der Ruf nach Reformen, nach Demokratie in den Universitäten wurde immer lauter.

sueddeutsche.de: Warum rückte denn die Universität in den Fokus der Proteste?

Albers: Das war unsere Antwort auf die immer unerträglicher empfundenen Studienbedingungen. Daraus leitete sich die Mitbestimmungsforderung ab. Wir wollten anständig arbeiten können. Ein Impuls, der schon Jahre vor 1967/68 begann.

sueddeutsche.de: Ihre Parole ist eine Art Leitspruch der Studentenbewegung geworden. Hatten Sie so ein Echo erwartet, als sie im Audimax auftraten?

Albers: Wir wussten, dass wir provozierten. Das wollten wir. Aber dass es einen derart frenetischen Beifall gab, als wir allein auf die Bühne schritten - die Professoren hatten ganz schnell die Frechheit des Spruchs erkannt - das gab uns einen Vorgeschmack darauf, dass unsere Aktion ein Funke für die Studentenbewegung in Hamburg sein könnte. Das sie dann weit darüber hinaus als Fanal verstanden wurde, das hatten wir noch nicht im Kopf.

sueddeutsche.de: Was war in ihrem Kopf - wie haben sie sich in der Situation gefühlt?

Albers: Als Vorhut einer überfälligen und notwendigen Veränderung der Universität.

sueddeutsche.de: Und woher kam der Spruch?

Albers: Die Parole geisterte auf dem Uni-Campus herum und war an Bauzäunen zu lesen - wir haben den Knittelreim nicht erfunden.

sueddeutsche.de: Was steckte dahinter?

Albers: Wir wollten einer Art bewusster Erinnerungskultur auf die Beine helfen; die dunklen Seiten der Geschichte aufdecken, auch in Form von Selbstkritik an den Zuständen in der Universität. Was war denn vor 1967 an Aufarbeitung der faschistisch-nationalsozialistischen Jahre geschehen? Wir hatten Professoren, die ihre Arbeiten aus den dreißiger, vierziger Jahren in Giftschränken versteckten und berühmte jüdische Professoren aus der Weimarer Zeit, wie der Sprachphilosoph Ernst Cassirer, waren uns völlig unbekannt. Dieses Aufarbeiten der Geschichte gerade da, wo es schmerzt, das war der Funke, der dann über Hamburg hinaus in der ganzen Bundesrepublik verstanden wurde.

sueddeutsche.de: Würden Sie sagen, dass Ihre Forderungen erfüllt wurden?

Albers: Der NS-Muff ist nachhaltig vertrieben. Heute finde ich stattdessen im Auditorium Maximum eine große Erinnerungsplatte, die an Widerstandskämpfer erinnert. Wir haben diese im Schatten liegenden Teile unserer jüngsten Vergangenheit ein großes Stück aufgearbeitet. Darin liegt ein unentbehrliches Moment der Reife unserer Demokratie.

sueddeutsche.de: Und wie blicken Sie auf Ihr eigenes Verhalten zurück?

"Der NS-Muff ist vertrieben"

Albers: Ich schaue mit ein bisschen Stolz auf jenen Aufbruch, diese Wetterscheide in der inneren Entwicklung der damaligen Bundesrepublik. Auch wenn ich, als ich in das dröge Geschäft des Jurastudenten einstieg, nicht geahnt hab, was auf mich zukommt (lacht).

Detlev Albers heute: Unter den Talaren - Muff von 1000 Jahren

Detlev Albers (l.) - gemeinsam mit Gert Hinnerk Behlmer, der damals half, das Banner zu tragen.

(Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Daran waren Sie aktiv beteiligt.

Albers: Ja. Wie gut, dass man die Zweit- und Drittwirkungen eigener Aktivitäten nicht alle gleich im Kopf hat.

sueddeutsche.de: Sonst hätten Sie das nicht getan?

Albers: Ich hätte es gemacht, wäre aber befangen gewesen. Ein Hauch Ungestüm liegt natürlich drin, in der Aktion dieser beiden 23-Jährigen dort.

sueddeutsche.de: Später haben Sie die Seite gewechselt und sind Professor für Politologie geworden.

Albers: Halt, kein Seitenwechsel! Wir wollten nie sagen: auf der einen Seite der Barrikade die Professoren und auf der anderen die Studenten. Wir haben damals in der autokratischen Position der Ordinarien ein Hindernis der gemeinsamen Kreativität gesehen. Bei der Gründung der Universität Bremen [1971, d. Red.], bei der ich als studentischer Vertreter mitwirkte, war es selbstverständlich, dass wir die Drittelparität, mit gleichen Beteiligungsrechten der Professoren, des nicht wissenschaftlichen Personals und der Studenten, verwirklichten.

sueddeutsche.de: Und wo steckt heute der Muff?

Albers: Ich glaube, dass wir mit dem Bachelor- und Masterstudiengängen Gefahr laufen, unter der richtigen Idee einer europäischen Vereinbarkeit der Abschlüsse manche Errungenschaft der Humboldtschen Universität, des eigenständigen, des forschenden Lernens zu begraben. Stattdessen gibt es heute die ständige Jagd nach Creditpoints und der Übergang vom Bachelor- zum Masterstudium ist an vielen Orten eingegrenzt. Aus meiner Sicht muss er für alle Absolventen offen stehen. Und wir benötigen für die Übergänge in das eigene wissenschaftliche Arbeiten eine viel größere Gelassenheit, als es uns dieses modularisierte Studium anbietet. Über die bildungsfeindlichen Studiengebühren will ich gar nicht erst reden.

sueddeutsche.de: Aber gegen die Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge gab es keine großen Proteste.

Albers: Wir schnüren doch mit überorganisierten Festlegungen vielen Protesten im Sinne einer demokratischen Kreativität im Vorhinein die Luft ab. Dagegen muss in den nächsten Jahren angekämpft werden. Von den Studenten. Aber auch wir Lehrende haben unsere Erfahrungen einzubringen. Und die sprechen für einen wesentlich weniger reglementierten Gang durch die Universität.

sueddeutsche.de: Mittlerweile werden an einigen Unis wieder Talare getragen - in Bonn zum Beispiel. Zeichen eines neu aufkommenden Traditionalismus oder Verkleidung?

Albers: Ein gerüttelt Maß von beidem. Die Geschichte produziert nun einmal keinen linearen Fortschritt, weder an den Unis noch in der Gesellschaft. Ich bleibe aber zuversichtlich, dass die Beteiligten einen allgemeinen Rückfall abwenden werden.

sueddeutsche.de: Würden Sie einen Talar anziehen?

Albers: Mir ist nie einer angeboten worden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: