60 Jahre nach Staatsgründung:Vertrauen für Israel

Eigentlich sollte Israel ein sicherer Hafen sein für das jüdische Volk, doch es ist ein gefährlicher Ort. Sicherheit wäre deshalb das schönste Geschenk für alle Israelis. Doch dazu müsste das Land erst einmal das Vertrauen seiner arabischen Nachbarn gewinnen.

Thorsten Schmitz

Eigentlich sollte Israel ein sicherer Hafen sein für das jüdische Volk. Heute ist es ein gefährlicher Ort. Deshalb wäre Sicherheit das schönste Geschenk, das der jüdische Staat deshalb erhalten könnte. Doch dazu müsste das Land erst einmal das Vertrauen seiner Nachbarn gewinnen.

Israel Reuters

Das schönste Geschenk, das der jüdische Staat erhalten könnte, wäre Sicherheit.

(Foto: Foto: Reuters)

Israel feiert seinen sechzigsten Geburtstag mit Feuerwerken, Fanfaren und Freunden aus aller Welt. Seine Nachbarn aber bleiben dem Fest fern - sie sind Zaungäste. Man stelle sich vor, auf der Gästeliste stünden Palästinenser, und im Festprogramm würde sich auch ihre Geschichte spiegeln. Stattdessen fürchtet Israel seine Nachbarn und schließt die Grenzen aus Angst vor Terroranschlägen. Das Land feiert Geburtstag in einem Hochsicherheitstrakt.

Das schönste Geschenk, das der jüdische Staat deshalb erhalten könnte, wäre Sicherheit. Ein ganz normaler Alltag ohne Raketen der Hisbollah- und Hamas-Milizen, ohne Palästinenser, die sich in die Luft sprengen, ohne einen Iran, der Israel von der Landkarte löschen möchte. Auch an seinem 60. Geburtstag muss Israel auf dieses Geschenk verzichten.

Nur wenige Stunden, nachdem David Ben-Gurion am 14. Mai 1948 den Staat Israel ausgerufen hatte, griffen die arabischen Nachbarn die neue jüdische Nation an. Die Araber wollten keine Juden in ihrer Mitte haben. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Wer in Israel geboren ist, kennt keine Normalität. Normal in Israel sind Bedrohung, Gewalt und die Abwesenheit von Frieden. In den vergangenen 60 Jahren hat Israel in sechs Kriegen und zwei gewaltsamen Aufständen der Palästinenser seine Existenz verteidigen müssen. Man kann beim Einkaufen in die Luft gesprengt, in Sderot von einer Rakete getroffen oder als Soldat in den Libanon verschleppt werden.

Die Geburtsstunde Israels brachte also eine wehrhafte Nation hervor, die von Anfang an ums Überleben kämpfen musste in einer feindlich gesinnten, muslimisch dominierten Umgebung.

Der Versuch Adolf Hitlers, das jüdische Volk auszurotten, hat Israels Staatsgründung erst ermöglicht. Ohne den Holocaust gäbe es kein Israel. Die Juden, die den Gaskammern entrinnen konnten, gründeten ihre eigene Heimat, weil niemand auf der Welt ihnen Heimat und Schutz bieten wollte. Israel sollte nach der Vision von Ben-Gurion ein sicherer Hafen sein für das jüdische Volk.

Heute ist es ein gefährlicher Ort. Hamas, Hisbollah und Iran, die einen radikal-religiösen Islam predigen, wollen den jüdischen Staat zerstören.

Erfolgsgeschichte unter Druck

Obwohl in Israel bis heute nicht ein Tag Frieden geherrscht hat, blickt der Staat auf eine Erfolgsgeschichte zurück. In sechzig Jahren ist es der Nation von der Größe Hessens gelungen, sich von einer sozialistisch geprägten Agrargesellschaft in eine moderne High-Tech-Enklave im Nahen Osten zu verwandeln und dabei einer existentiellen Bedrohung zu trotzen.

Vertrauen für Israel

Israel zählt nach den Vereinigten Staaten die meisten Start-up-Unternehmen, hat ein Bruttosozialprodukt auf europäischem Niveau, ist fortschrittlich in der Gleichberechtigung wie auf dem Gebiet der Alzheimer-Forschung.

Israel besitzt großartige Schriftsteller wie Amos Oz und Abraham B. Jehoschua und international geschätzte Journalisten wie Gideon Levy und Amira Hass, die treffsicher über die Schwächen ihrer Nation berichten. Israel hat die sozialistische Kibbuz-Vergangenheit hinter sich gelassen und im Nahen Osten die einzige Demokratie etabliert, die selbst unter höchstem Druck funktioniert.

Geblieben aber ist von der Geburtsstunde an das Misstrauen gegenüber den Nachbarn. Das Misstrauen und damit die Kontrolle über die etwa 3,5 Millionen Palästinenser. Beides will nicht zum modernen Staat Israel passen. Besatzung und Kontrolle sind ein Ergebnis aus dem Sechs-Tage-Krieg von 1967.

In der Euphorie, in nur sechs Tagen den Gaza-Streifen, das Westjordanland, die Sinai-Halbinsel, Ost-Jerusalem und die Golan-Höhen erobert zu haben, begann Israel mit der Errichtung jüdischer Siedlungen. Zu Beginn der siebziger Jahre lebten 3000 Siedler im Westjordanland, heute sind es 270.000 und noch einmal so viele im arabischen Ostteil Jerusalems.

Um die Besiedlung dauerhaft zu machen, hat der demokratische Staat in den Palästinensergebieten ein System errichtet, das der südafrikanischen Apartheid ähnelt. Während in Tel Aviv junge Firmen im Internet gegründet werden, fahren jüdische Siedler im Westjordanland auf nur ihnen vorbehaltenen Straßen. Siedler dürfen bauen - Palästinenser, wenn überhaupt, Häuser nur mit Genehmigung errichten.

Gestützt wird das Siedlungssystem durch die Armee, die in dieser Funktion missbraucht wird. Sie wurde vor sechzig Jahren mit dem Auftrag gegründet, Israel zu schützen und nicht das Volk der Palästinenser zu beherrschen.

Der Blick nach Westen

In Israel herrscht weitläufig die Meinung, es gebe eine "gute Besatzung". Der Friedensprozess von Oslo wird als Beispiel dafür angeführt, zu welchen weitreichenden Konzessionen Israel gegenüber den Palästinensern bereit gewesen sei. Die Sicht ist verengt, Oslo-Momente sind die Ausnahme in der Geschichte. Die jüngste Intifada hat das israelische Volk nach rechts rücken lassen. Nun schottet es sich immer mehr von den Palästinensern ab, weil es Teil des Westens sein möchte, nicht eines in die Radikalität gleitenden Nahen Ostens.

Der Staat, der durch den Holocaust erst möglich wurde, sieht es als seine Gründungsverpflichtung an, einen Holocaust nie wieder zuzulassen. Dieses Bedrohungsbild ist so radikal wie möglich, geschichtlich nachvollziehbar - und gleichzeitig Israels schwerste Hypothek.

Die Furcht vor der größtmöglichen Bedrohung lässt keinen Platz für Vertrauen. Verteidigungsminister Ehud Barak erklärte kürzlich, die Israelis lebten in einer "gnadenlosen Nachbarschaft, die kein Mitleid für Schwache kennt und keine zweite Chance für die, die sich nicht verteidigen."

Der Mangel an Vertrauen ist Israels größtes Defizit. Vertrauen kann ein Staat nicht entwickeln, der nur in Kategorien von Schwäche und Stärke misst. Stark, das ist eine schlagkräftige Armee, das ist eine robuste Kontrolle. Als schwach gilt, Siedlungen aufzulösen oder mit dem Feind zu reden. Die Erfahrung aus all den siegreichen israelisch-arabischen Kriegen lehrte Israel, dass nur Stärke die Existenz sichern werde.

Mit dieser Prägung hat das Land verdrängt, dass es seine Sehnsucht nach Sicherheit und Frieden nur befriedigen kann, wenn es das Vertrauen der Nachbarn gewinnt. Sechzig Jahre nach der Staatsgründung ist der jüdischen Nation nichts mehr zu wünschen als Sicherheit und eine friedliche Existenz. Voraussetzung dafür ist aber die Einsicht, dass wahre Sicherheit nur mit Vertrauen geschaffen werden kann.

Es ist vor allem das Siedlungssystem, das Israel von einer konstruktiven Zusammenarbeit mit seinen Nachbarn abhält. Die Siedlungen zersetzen Israel, weil sie für Misstrauen und Kontrolle stehen, weil sie die Nation nicht entkommen lassen aus der Gesetzmäßigkeit der Gründungszeit. Die liegt nun 60 Jahre zurück. Israel hat seitdem immer wieder seine Fähigkeit zur Erneuerung bewiesen. In seiner nächsten Lebensphase wird das Land Vertrauen entwickeln müssen, wenn es seine Modernität behalten will.

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