60 Jahre Israel:Der Staat der Sehnsucht

Heute vor 60 Jahren, am 14. Mai 1948, erreichte der Zionismus sein Ziel: der Staat Israel wurde gegründet. Der Zionismus entsprang dem Antisemitismus in Europa - und verursachte einen bis heute ungelösten Konflikt.

Cathrin Kahlweit

Der Frieden währt nur ein paar knappe Stunden. Schon während David Ben-Gurion die kurze Unabhängigkeitserklärung verliest, mit der er das "natürliche Recht des jüdischen Volkes" einklagt, "Herr des eigenen Schicksals in seinem eigenen, souveränen Staat zu werden", und noch während sich drinnen im schlichten Saal des Dizengoff-Hauses in Tel Aviv 250 Repräsentanten des Jischuw, des jüdischen Volkskongresses, drängen und draußen Hunderte das Hatikva-Lied von der Hoffnung singen, ist jedermann im Land und auch in der Welt klar, dass dieser neue Staat von nun an um sein Überleben wird kämpfen müssen. So, wie seit Jahrzehnten um seine Gründung gekämpft worden war.

60 Jahre Israel: Auf diese Minute haben Millionen in ihrem gelobten Land gewartet: David Ben-Gurion unterzeichnet die Unabhängigkeitserklärung.

Auf diese Minute haben Millionen in ihrem gelobten Land gewartet: David Ben-Gurion unterzeichnet die Unabhängigkeitserklärung.

(Foto: Foto: dpa)

Tausende Anschläge von Arabern gegen Juden und von Juden gegen Araber sowie gegen die britische Mandatsmacht hatte es bereits zuvor gegeben, und nur Stunden nach der Ausrufung der Unabhängigkeit an jenem 14. Mai 1948, dem fünften Tag im Monat Iyar des Jahres 5708 nach dem jüdischem Kalender, brach ein Krieg los, der Israel seine Existenz kosten hätte können: Fünf arabische Staaten von drei Seiten gegen die neue Nation, 25.000 Mann unter Waffen, mit Panzern und Flugzeugen gegen einen Gegner, der zu diesem Zeitpunkt noch einem Waffenembargo unterlag.

Tatsächlich nahm der Konflikt mindestens 700.000 palästinensischen Arabern ihre Heimat, die sogenannten "neuen Historiker" Israels sprechen mittlerweile von der gezielten Vertreibung von etwa einer Million Menschen während des ersten arabisch-israelischen Krieges und danach. Und wiewohl die israelische Armee diesen Waffengang siegreich und mit Landgewinnen von 5000 Quadratkilometern für sich entschied, ist seither keine Ruhe eingekehrt im Heiligen Land.

Spaltung, Gewalt und wenig Hoffnung

Spaltung, Gewalt und wenig Hoffnung auf eine friedliche Koexistenz begleiten die Feiern zum 60. Geburtstag Israels, dessen heutiges Staatsgebiet seit weit mehr als einhundert Jahren Sehnsuchtsort von Millionen Juden war - aber immer auch Kampfplatz von Religionen und Völkern.

Als Theodor Herzl 1896 das Buch "Der Judenstaat" verfasste, beschrieb er in seinem zionistischen Manifest jenen aufkeimenden Antisemitismus, der die erste Auswanderungswelle nach Palästina einläutete: "In Russland werden Judendörfer gebrandschatzt, in Rumänien erschlägt man ein paar Menschen, in Deutschland prügelt man sie gelegentlich durch, in Österreich terrorisieren die Antisemiten das ganze Leben ... Die Nuancen sind zahllos."

Palästina ist für die Zionisten anfangs nur eine denkbare Möglichkeit, auch Argentinien und Uganda werden als Zufluchtsorte für die jüdische Alija, die Einwanderung, erwogen, beides wird aber verworfen.

Vor dem Ersten Weltkrieg ziehen etwa 40.000 Einwanderer an die vom Osmanischen Reich beherrschte Mittelmeerküste, bis die Briten Palästina erobern.

Lord Balfour, Großbritanniens Außenminister, verspricht am 2. November 1917 dem jüdischen Volk eine eigene "nationale Heimstatt"; allerdings hatte der britische Hochkommissar in Ägypten Ähnliches, wenn auch vager, den arabischen Bewohnern der Region versprochen.

Diese janusköpfige Politik, mit der man sich aus geostrategischem Kalkül, aber auch aus Ratlosigkeit ob eines scheinbar unlösbaren Konflikts nach beiden Seiten absicherte, sollte Tradition werden im Umgang mit den schwer zu vereinbarenden Interessen von Arabern und Juden.

Der Staat der Sehnsucht

Der Völkerbund beschließt 1920, den Briten Palästina als Mandatsgebiet zu übertragen, das im Wesentlichen das Gebiet des heutigen Israel, die Autonomiegebiete und zunächst auch das heutige Jordanien umfasst. 28 Jahre lang versucht London, die Region ruhig zu halten, indem zwei Verwaltungseinheiten festgeschrieben werden:

Freude und Anspannung auf den Gesichtern: Staatsgründer David Ben Gurion (li.) nach Unterzeichnung der Unabhängikeitserklärung Israels

Freude und Anspannung auf den Gesichtern: Staatsgründer David Ben Gurion (li.) nach Unterzeichnung der Unabhängikeitserklärung Israels

(Foto: Foto: dpa)

Die Juden dürfen sich nunmehr nur noch westlich des Jordans ansiedeln; östlich, in Transjordanien, wird die Haschemiten-Dynastie installiert. Die Mandatsmacht versucht, eine bürokratische Koexistenz zu organisieren. Aber schon damals sagt David Ben-Gurion, der spätere Premier: "Jeder erkennt das Problem in den Beziehungen zwischen Juden und Arabern. Aber nicht jeder erkennt, dass es keine Lösung gibt."

Zum Schluss stehen etwa 100.000 britische Soldaten auf einer Fläche, die so groß ist wie Brandenburg, doch die Gewalt von Juden gegen Araber, von Arabern gegen Juden geht weiter. Die Briten reagieren mit Razzien, Folter, Hinrichtungen.

Wegen des Nazi-Terrors nimmt die Einwanderung zu, weshalb London 1939 im sogenannten Weißbuch zwar einerseits die Gründung eines binationationalen Staates ankündigt, aber gleichzeitig den jüdische Zustrom beschränkt. Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als Hunderttausende von Überlebenden des Holocaust eine neue Heimat suchen, verhindern die Briten mit rigiden Kontrollen eine massive jüdische Einwanderung - aus Angst vor dem wachsenden Unmut der arabischen Seite.

Die UN sollen das Problem lösen

Die jüdische Untergrundarmee, die Hagana, aber vor allem die Terroreinheiten der Irgun, geführt vom späteren Premier Menachem Begin, und die Paramilitärs der Lechi, geleitet vom späteren Ministerpräsidenten Jitzchak Schamir, greifen zunehmend auch britische Ziele an.

Die Briten wiederum fangen Schiffe mit Holocaust-Überlebenden auf See oder nach ihrer Ankunft in Palästina ab und schicken sie zurück nach Europa - nach Zypern, oder auch, wie im wohl größten Flüchtlingsdrama jener Nachkriegstage, nach Deutschland. 4500 Menschen landen 1947 mit der Exodus in Haifa, dort entern britische Einheiten das Schiff und bringen die Passagiere trotz Protesten der Weltöffentlichkeit erst nach Frankreich und dann nach Hamburg, wo sie mit Gewalt an Land gebracht und zeitweilig in Lagern eingesperrt werden.

1947 geben die Briten klein bei und beschließen den Abzug. Die Vereinten Nationen sollen das Problem lösen. Und die tun es, oder besser: Sie versuchen es - in dem Wissen, dass jede Entscheidung über diesen umkämpften Boden vergiftet ist. Am 29. November billigen die UN mit Zweidrittel-Mehrheit den Plan, Palästina in eine jüdische und eine arabische Hälfte zu teilen. Jerusalem soll einer internationalen Verwaltung unterstellt werden.

Die Juden, die etwa ein Drittel der Bevölkerung ausmachen, sollen 56 Prozent des Landes bekommen, was wiederum die Araber aufbringt. Vor allem aber: Auf dem jüdischen Territorium leben auch mehr als eine halbe Million Araber, in den arabischen Gebieten wiederum Zehntausende Juden. Die arabischen Staaten lehnen den Beschluss der UN ab, wie sie auch, Jahre zuvor, den Plan der britischen "Peel-Kommission" abgelehnt hatten, die vorgeschlagen hatte, Galiläa und einen Küstenstreifen den Juden zuzuschlagen.

An jenem Abend des 14. Mai 1948, kurz vor Sonnenuntergang, ist der Staat Israel ausgerufen, und die Bevölkerung jubelt. Die Briten packen ihre letzten Habseligkeiten und machen sich davon, ihre Soldaten ziehen durch mittlerweile wieder menschenleere Straßen ab, Dudelsackspieler voran. Unterdessen bereiteten die jüdischen Truppen sich auf den Überlebenskampf vor, verbarrikadieren sich. Die Armeen von Ägypten, Irak, Syrien, Libanon und Transjordanien machen sich bereit. Um Mitternacht beginnt der erste Krieg. Weitere werden folgen.

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