Süddeutsche Zeitung

Mobilfunk:Um welche Werte geht es hier eigentlich?

Chinas Beteiligung am Aufbau des neuen, schnellen Mobilfunknetzes wäre hochriskant. Umso schlechter, dass die Debatte gerade in ein Referendum darüber abdriftet, ob die chinesische oder die US-Regierung den Deutschen sympathischer ist.

Gastkommentar von Julianne Smith

Seit Monaten diskutiert die deutsche Regierung, ob sie bei der Errichtung des neuen 5G-Mobilfunknetzes hochriskante Lieferanten zulassen soll oder nicht. Unglücklicherweise wird diese wichtige Debatte immer wieder von ihrem eigentlichen Kern abgelenkt. Weil die Regierung von US-Präsident Donald Trump auf eine weitere ihrer fehlgeleiteten "Kampagnen des maximalen Drucks" setzt, um Deutschland davon zu überzeugen, den chinesischen Anbieter Huawei auszuschließen, wirkt das Problem wie eine Schwarz-Weiß-Entscheidung zwischen den USA und China.

Wem vertrauen die Deutschen mehr? Welche Beziehung ist den Deutschen wichtiger? Es sieht nicht danach aus, als wären die USA in der Position, sich durchzusetzen, wenn drei Viertel der Deutschen sagen, dass sie Donald Trump nicht vertrauen. Aber Deutschlands 5G-Debatte sollte nicht zu einem Referendum über Donald Trump umgedeutet werden.

Wenn Kanzlerin Angela Merkel entscheidet, ob man sich auf einen zwar preisgünstigen, dafür aber hoch riskanten Anbieter aus China verlassen will, geht es vor allem um die Werte und die Demokratie in Deutschland. Die große Ironie hier ist, dass die Trump-Regierung zwar eine klare Meinung in der Sache hat, aber selbst keinen alternativen Anbieter zu Huawei. Europa selbst ist mit Nokia und Ericsson die Heimat zweier Alternativen, Südkorea die einer Dritten.

Diese Fakten scheinen unterzugehen in all dem Lärm - Drohungen von amerikanischer Seite, Drohungen von chinesischer Seite und Artikel in deutschen Medien, in denen die Vertrauenswürdigkeit des Silicon Valley und der US-Regierung infrage gestellt werden. Natürlich ist es schwer, die deutschen Debatten über 5G von den kränkelnden transatlantischen Beziehungen zu trennen oder von den Enthüllungen über eine Schweizer Firma für Verschlüsselungstechnik, die über Jahrzehnte heimlich im Eigentum des US-Auslandsgeheimdienstes CIA und des Bundesnachrichtendienstes war. Aber es ist unerlässlich, dass Berlin sich jetzt auf das Grundlegende konzentriert.

Ausgehend davon, dass das europäische Projekt im Zentrum der deutschen Außen- und Wirtschaftspolitik steht, sollte die Position der EU in dieser Frage großes Gewicht haben. Deren Bewertung zufolge stellt ein Lieferant aus einem Land, in dem es keine demokratischen und rechtsstaatlichen Kontrollmechanismen gibt, ein echtes Sicherheitsrisiko dar.

Die Zusammenarbeit mit anderen Demokratien sollte für die 5G-Entscheidung wichtiger sein, als das Misstrauen gegen die Regierung Donald Trump

Die EU hat Sicherheitsempfehlungen für ihre Mitglieder veröffentlicht, die nicht bindend sind, aber die Debatte prägen sollten. Vorrangig geht es darum, eine Reihe nicht-technischer Fragen zu berücksichtigen, wie den Firmensitz eines potenziellen Lieferanten, dessen Beziehungen zur Regierung des jeweiligen Staates, die Rechtslage hinsichtlich der Überwachung von Telekommunikation und die Erfolgsaussichten für Klagen gegen mögliche Spionage, Sabotage oder politische Erpressung.

Jenseits der EU könnte Berlin von den Erfahrungen verbündeter Demokratien profitieren. Im vergangenen Sommer hat Australien einen Bann gegen Huawei verkündet. Im Unterschied zu Großbritannien glaubt Australien nicht, dass die Beschränkung eines hochriskanten Anbieters auf nur einen Teil des Netzwerks, die Peripherie, und den Ausschluss vom sensiblen Kern die Risiken wirklich reduziert.

Außer zu untersuchen, wie die verschiedenen Mitglieder der Five-Eyes-Geheimdienstallianz aus den USA, Australien, Großbritannien, Kanada und Neuseeland zu doch sehr unterschiedlichen Schlüssen in ihrer Risikoeinschätzung gelangt sind, könnte es für deutsche Politiker interessant sein, ihre australischen Kollegen zu fragen, wie deren Entscheidung sich auf die bilateralen Beziehungen zu China ausgewirkt haben. Mit welchen Folgen sehen sie sich konfrontiert? Wurden Australiens Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zu China nach dem Huawei-Bann irreparabel beschädigt? Und genauso wichtig: Welche Alternativen zieht Australien jetzt in Betracht?

Frankreich ist ein anderes Land, mit dem Deutschland sich eng abstimmen sollte. Wie Deutschland ist Frankreich mit immensem Druck sowohl aus den USA als auch aus China konfrontiert. Anders als Deutschland nutzen Frankreichs Netze derzeit nur zum Teil Huawei-Technik, was die Entscheidung einfacher macht. (Der französische Telekom-Konzern Orange hat angekündigt, dass er wahrscheinlich an Nokia und Ericsson festhält.)

Wenn die Europäer auf der Suche nach einer europaweiten Politik sind, die sich auf die weitgehenden Regulierungsbefugnisse der EU stützt, müssen Frankreich und Deutschland auch in der Telekommunikationspolitik eine Führungsrolle übernehmen. Die gemeinsame Sitzung der auswärtigen Ausschüsse des Bundestags und der Nationalversammlung in Berlin, die sich in dieser Woche mit Fragen der Telekommunikation befasst hat, ist ein guter Ausgangspunkt dafür. Unter den richtigen Bedingungen könnten diese beiden Staaten zu einem späteren Zeitpunkt sogar die Ambition entwickeln, gemeinsam mit den USA eine transatlantische Netzwerk-Alternative zu schaffen.

Schließlich hoffe ich, dass die Deutschen zustimmend nicken, wenn sie Plakate von Huawei sehen, auf denen steht, dass es bei 5G um "Werte" geht. Zugegeben, Huawei hat in diesem Punkt recht. Wie die EU immer wieder erklärt hat, geht es um mehr als technische Lösungen für technische Probleme. Im Kern geht es darum, wie demokratische Staaten ihre Gesellschaft und Wirtschaft vor dem Einfluss autoritärer Staaten schützen und vor Erpressung, die weit in der Zukunft liegen mag. Die Deutschen haben diesen Punkt zweifellos verstanden, bevor Huawei seine Werbekampagne gestartet hat. Letztendlich muss Berlin eine 5G-Entscheidung treffen, die jene Werte hochhält und schützt, die Deutschland wichtig sind.

Julianne Smith ist Direktorin des Asien-Programms beim German Marshall Fund der USA.

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SZ vom 14.02.2020
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