50. Jahrestag der Berlin-Rede von Kennedy:"Wir Berliner hatten ständig Angst"

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450.000 Menschen versammelten sich, als US-Präsident John F. Kennedy im Juni 1963 nach Berlin kam. Heidrun Kotte war eine davon. Die heute 69-Jährige spricht über die Angst vor "den Russen", das Gefühl der Befreiung - und warum Obama nicht Kennedy ist.

Protokoll: Thorsten Schmitz, Berlin

Damals, im Juni 1963, war ich fast 20 Jahre alt. Ich hatte gerade eine Ausbildung als Großhandelskauffrau bei Thyssen gemacht, unsere Firma lag im Wedding. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie aufgeregt ich war am Tag von Kennedys Besuch. Meine Mutter hatte mich gefragt, ob ich mit ihr hingehen würde. Natürlich habe ich sofort Ja gesagt. Man konnte sich an diesem Tag frei nehmen bei Thyssen. Für uns Berliner war dieser Besuch das Größte überhaupt. Dass dieser großartige Mann zu uns kleinen Berlinern kommt, sich hinstellt und sagt: "Ich bin ein Berliner!"

Geboren bin ich in Kaiserslautern, aber schon drei Wochen nach meiner Geburt sind meine Eltern zurück nach Berlin gezogen. Ich bin ein Westberliner Kind. Ich werde im Oktober 70 Jahre alt. Meine Mutter hat ihr Leben lang bei IBM gearbeitet in Berlin, und mein Vater hat für verschiedene Fabriken gearbeitet, etwa für die Warsteiner Eisenwerke in Westfalen.

Als Kennedy seine Rede mit diesem berühmten Satz beendete, ging ein Schrei durch die Menschenmenge, den man bestimmt noch in Pankow hören konnte. Wir haben so laut gebrüllt, dass die Dächer gewackelt haben. Das war ein Glücksgefühl für uns alle. So eine Menschenmenge hatte ich noch nie in meinem Leben gesehen. Ich stand mit meiner Mutter mittendrin in der Masse.

Im Radio haben sie gesagt, da hätten 450.000 Menschen gestanden auf dem Platz vor dem Rathaus in Schöneberg. Ich habe auch geschrien, vor Freude und Begeisterung. Die Mauer stand damals ja schon zwei Jahre. Wir Berliner hatten ständig Angst, dass uns die Russen einnehmen, dass zugemacht wird, dass wir überhaupt nicht mehr rauskommen aus dem Westteil unserer Stadt.

Schon das Rausfahren mit dem Auto war ja immer ein beängstigender Akt. Man musste Kontrollen passieren und sehr unfreundliche DDR-Beamte. Persönlich hatten wir gar nichts mit dem Osten zu tun, unsere ganze Verwandtschaft lebte in Westdeutschland.

Als Kennedy redete und dann diesen Satz sagte, war das für uns, als ob wir befreit wurden. Man wusste: Kennedy war ja der große Amerikaner überhaupt! Ich habe im amerikanischen Sektor gewohnt in Berlin, die Amerikaner waren ja für uns was! Sie waren die, die uns vor den Russen geschützt haben.

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Die meiste Zeit meines Lebens habe ich bei der BVG gearbeitet, bei den Berliner Verkehrsbetrieben. Ich war dort zuständig für die Dienstpläne. Als ich in den Ruhestand gegangen bin, hat man mich über den grünen Klee gelobt und gesagt, dass ich immer für alle da gewesen bin. Der Kennedy war in gewisser Weise auch für uns alle da gewesen an diesem Tag im Juni, auch für die eingeschlossenen Menschen im Ostteil. Er war unser Retter.

Meine Mutter war eine sehr ruhige Person, sie ist nie laut geworden. Aber bei der Rede hat sie so laut gejubelt, wie ich sie nie habe jubeln hören. Plötzlich fiel von uns allen die Angst ab. Der größte Mann der Welt kommt zu uns piefige Berliner und sagt, er steht hinter uns. Das war Wahnsinn! Das war wie eine Umarmung.

Ich bin in der Schloßstraße in Steglitz groß geworden. Wir lebten in einer Wohnung im dritten Stock. An dem Kennedy-Tag hätte unser Balkon fast abbrechen können, denn alle Nachbarn, Freunde und Bekannten wollten zu uns auf unseren Balkon und die Entourage von Kennedy sehen, wie sie unter unserem Balkon vorbeifuhren.

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Marlene Weiss

Der Balkon war knüppeldickevoll. Kennedy ist nach seiner Rede an unserem Wohnhaus vorbeigefahren. Wir waren nach seiner Rede sofort mit dem Bus in Richtung Rathaus Steglitz gefahren, kurz danach kam Kennedy. Die Stimmung in den Straßen war großartig, absolute Euphorie war das.

Obamas Besuch letzte Woche habe ich natürlich mitbekommen. Ich habe ihn im Fernsehen verfolgt. Wenn ich die 5000 Zuhörer vor dem Brandenburger Tor mit den 450.000 vor dem Rathaus Schöneberg vergleiche, ja, dann muss ich schon sagen, dass das traurig ist. Auch dass Obama hinter Panzerglas stand. Damals vor dem Rathaus Schöneberg wurde niemand kontrolliert. Damals gab es eben noch nicht solche Terroranschläge wie heute. Aber ich muss auch sagen: Obama ist nicht Kennedy.

© SZ vom 26.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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