50 Jahre türkische Gastarbeiter:Déjà-vu auf Schienen

Mit dem Zug kamen 1961 die ersten türkischen Gastarbeiter aus Istanbul nach München. Einige von ihnen unternahmen die Reise zum 50. Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens jetzt noch einmal, und schildern bei dieser Gelegenheit ihre oft leidvolle Geschichte - doch die mitfahrenden Politiker interessiert das wenig.

Roland Preuß, München und Björn Finke, Istanbul

Die Gastarbeiter müssen erstmal warten, das fügt sich gut ein in dieses Kapitel deutsch-türkischer Freundschaft. Um 12.06 Uhr setzen sich die zehn Waggons in Bewegung. Die Fernsehkameras übertragen live, wie der Generaldirektor des türkischen Staatssenders TRT aus der Tür winkt. Nachdem Ibrahim Sahin, bis dahin nicht als Gastarbeiter bekannt, sich also dem großen Publikum präsentiert hat, rollt der Zug zurück auf sein Gleis im Istanbuler Bahnhof Sirkeci. Nun erst dürfen die eigentlichen Hauptdarsteller einsteigen: 34 türkische Gastarbeiter, die vor 40 oder 50 Jahren nach Deutschland ausgewandert sind und jetzt noch einmal mit dem Zug von Istanbul nach München reisen.

Die Damen und Herren erklimmen die Waggons am Mittwoch ohne Murren. Wenn sie etwas gewohnt sind, dann ist es Warten: auf die nächste Aufenthaltserlaubnis, auf die Rückkehr in die Heimat, auf die Anerkennung ihrer Leistungen. Sie werden diese Tugend noch brauchen auf der Reise. Nun also geht es via Bulgarien, Serbien, Kroatien und Österreich bis nach München. Die Ruheständler folgen der Route der historischen Gastarbeiterzüge; 50 Stunden dauerte die Fahrt damals, auf Holzbänken. Von München aus wurden die Arbeiter über Deutschland verteilt. Die Ankunft am Hauptbahnhof am Sonntag war der symbolische Höhepunkt der Feiern - genau zum 50. Jahrestag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens.

Ankara wollte die Gastarbeiter nicht halten damals, die Türkei war froh, einen Teil der armen und damit unzufriedenen Landsleute nach Deutschland zu lassen. Meist waren es Menschen aus der Unterschicht. In ihrer Heimat wurden sie als "schwarze Türken" verachtet - und beneidet, wenn sie mit dem Ersparten aus Deutschland zurückkehrten. Wie ein Prolet, der zu Geld gekommen ist. Und in Deutschland waren sie zwar als Arbeiter begehrt, als Mitbürger aber vielfach gering geschätzt. Auch hier bildeten sie die Unterschicht, als Männer am Fließband oder als Frauen am Wischmopp.

Plötzlich im Mittelpunkt

Diese Perspektive hat viele der Gastarbeiter geprägt, nun sitzen sie plötzlich zwischen Kameramännern und Ministern und sollen im Mittelpunkt stehen. Der türkische Vizeministerpräsident Bekir Bozdag ist gekommen und die Integrationsbeauftragte aus dem Kanzleramt, Maria Böhmer. Es scheint die Gelegenheit für die einstigen Gastarbeiter zu sein, ihre Leistungen herauszustreichen - und ihr Leid.

Mehmet Ali Zaimoglu ist einer von Ihnen. Er wollte studieren, doch dazu fehlte der Familie das Geld. Sein Leben war eines ohne silbernen Horizont, Ende der fünfziger Jahre in Istanbul. Seine Mutter und sein Bruder waren gestorben, sein Vater drängte ihn zur Heirat mit einer acht Jahre älteren Frau, damit sich seine Familie um den verwaisten Neffen kümmern könne. "Sie haben mich gezwungen, ich kannte die Frau nicht", sagt Zaimoglu. Es schien nun alles festgefügt, ärmliche Verhältnisse vorgezeichnet. Doch es gab eine Flucht: auswandern.

"Da war Neid, manchmal sogar Hass."

Nun sollen alle Journalisten und Politiker wissen, was er erreicht hat - und getan für Deutschland: Als Elektroinstallateur in Frankfurt für 2,20 Mark in der Stunde, als Elektriker bei Neckermann, als Betriebsrat, der es bei dem Versandunternehmen beinahe zum Arbeitsdirektor brachte. Der heute 73-Jährige kennt auch den Gegenwind in der Heimat: 1964 kaufte er sich vom Ersparten einen Kleinbus, folgte dem Ruf seiner Familie zurück in die Türkei und fuhr die Menschen von Stadt zu Stadt. Bei den Einheimischen weckte sein Aufstieg nicht nur Begeisterung. "Da war Neid, manchmal sogar Hass", sagt er. Also ging er zwei Jahre später zurück. Seine damalige Frau, bekennt Zaimoglu, hatte bei der Entscheidung nichts zu sagen. 1972 kam die Scheidung.

Erinnerungszug '50 Jahre Migration'

Der Erinnerungszug "50 Jahre Migration" ist am Sonntag in München angekommen. Mit dabei war die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU).

(Foto: dpa)

Zaimoglu wollte nie der typische Gastarbeiter sein, der Mann, der gut ist für Stahlwerk oder Baustelle. Er verschlang Bücher - und schrieb schließlich selbst eines. "Wenn das fremde Land zur Heimat wird", heißt es, 50 Jahre türkisches Deutschland auf 214 Seiten. Zaimoglu ist Autor jetzt, nicht Elektriker.

Die Gastarbeiter werden gefeiert, aber sie wollen keine Gastarbeiter mehr sein, schon gar nicht dem Bild des Akkordarbeiters entsprechen. Geld habe eigentlich kaum gezählt, sagt Filiz Taskin. Die Dame aus Berlin reagiert durchaus pikiert auf die Frage, ob sie sich 1964 zum Geldverdienen auf den Weg gemacht habe. Die Schneiderin ging zusammen mit anderen jungen Frauen nach Hannover, aus "Abenteuerlust". Der Lohn sei ja ohnehin mager gewesen.

Die türkischen Politiker bekommen davon nicht viel mit. Parlamentspräsident Cemil Cicek bleibt meist abseits im VIP-Wagen, berichten Teilnehmer. Doch er nutzt die vielen Journalisten im Zug für eine Attacke gegen die Bundesregierung wegen ihrer angeblichen Milde gegen PKK-Terroristen. Eine Aussage, die Maria Böhmer später mit den Worten kommentiert, sie habe dafür "null Verständnis".

30 Sekunden Redezeit

Bei einem Empfang der kroatischen Bahn an der Zwischenstation Zagreb sind die türkischen Abgeordneten geladen, für die meisten Gastarbeiter fehlt der Platz, sie müssen draußen im Bus ausharren. Im Zug scheuchen Herren in Maßanzügen zwei Gastarbeiterinnen durch den Gang wie Statisten eines Monumentalfilms. Sie sollen Platz machen für die Politprominenz. Am Sonntag dann dürfen Zaimoglu und andere endlich etwas sagen - jeweils 30 Sekunden lang. Dankbar sind sie trotzdem, für die Einladung durch TRT, für die Hotels. Da nimmt man einiges in Kauf.

Erst am Ende der Reise erringen sie doch noch einen kleinen Sieg der Anerkennung: Zwei von Ihnen sprechen nach der Ankunft am Münchner Hauptbahnhof - noch vor dem TRT-Chef und all den Politikern. Am längsten muss diesmal warten: Vizepremier Bozdag.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: