50 Jahre Mauerbau: BND:Die stille Warnung vor der Mauer

Wusste der Bundesnachrichtendienst 1961 von den Plänen der DDR, das Land abzuriegeln? Und wenn ja, wie viel? 50 Jahre später veröffentlicht der BND geheime Akten über den Mauerbau. Eine ungewöhnliche Offensive.

Hans Leyendecker

Das geheime Fernschreiben des Bundesnachrichtendienstes (BND) mit der Nummer 4288 stammte vom 11. August 1961 und in der Betreffzeile stand: "Schließung der Sektorengrenzen". Von einer Quelle in Ost-Berlin hatte der westdeutsche Auslandsnachrichtendienst erfahren, dass "zwischen dem 12. und 18. August" die Sektorengrenzen geschlossen würden, "um den nicht mehr kontrollierbaren Flüchtlingsstrom zu unterbinden".

50 Jahre Mauerbau

Die Berliner Mauer wurde anfangs aus groben Steinblöcken errichtet, wie auf dem Foto vom Oktober 1961 zu sehen ist. Später modernisierte die DDR die Mauer immer wieder, vorgefertigte große Betonplatten ersetzten die Steinblöcke.

(Foto: dapd)

Am 12. August ging beim BND eine weitere Information ein. In Ost-Berlin, so die Meldung, habe gerade eine Konferenz von Parteifunktionären stattgefunden und bei dieser Gelegenheit sei angekündigt worden, die "Abriegelung der Stadt" stehe unmittelbar bevor. "Jetzt kann nur der harte Weg beschritten werden", hätten SED-Bonzen erklärt. Die SED rechne mit den "üblichen Protesten von Seiten des Westens". Der Widerstand der eigenen Bevölkerung im Osten müsse "mit allen Mitteln gebrochen" werden.

Am 13. August 1961 um ein Uhr morgens begann die Operation, die von der Stasi den Decknamen "Rose" bekam: Polizei, Grenztruppen und paramilitärische Betriebskampfgruppen verbarrikadierten die Straßen in den Ostsektor mit Stacheldraht. Bald darauf wurde mit dem Bau der Mauer begonnen. Sie blieb 10 680 lange Tage und reichte mit Betonmauer und Metallgitterzaun 165,7 Kilometer weit. Bis 9. November 1989 sperrte eine Regierung das eigene Volk ein.

Aus Anlass des 50. Jahrestags des Mauerbaus gibt in diesen Tagen der BND 13 Akten, vor allem zu den Themen Berlin-Krise 1958 und Schließung der Sektorengrenzen in Berlin am 13. August 1961, frei. Die Dokumente, die insgesamt den Zeitraum von 1952 bis 1962 abdecken sollen, umfassen etwa 5000 Seiten und werden an das Bundesarchiv abgegeben, wo sie eingesehen werden können. Einige der Dokumente wurden bereits am Mittwoch vom BND - in Abstimmung mit einer in diesem Jahr eingerichteten Historiker-Kommission - der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.

Für den BND ist solche Offenheit ungewöhnlich. Nachrichtendienste legen bekanntlich ungern selbst ihre Geschichte offen: Die Historikerkommission, der vier angesehene Wissenschaftler angehören, hatte schon vor einigen Monaten mit ihrer Arbeit begonnen. Sie beschäftigt sich insbesondere mit der Frühzeit des BND und der Geschichte seines Vorläufers, der Organisation Gehlen. Gleichzeitig treibt ein BND-internes Team unter der Leitung des BND-Mitarbeiters Bodo Hechelhammer die Aufarbeitung von insgesamt etwa 20 000 Akteneinheiten voran. Ein gutes Viertel ist schon geborgen, der Zustand des BND-Archivs soll allerdings erbärmlich sein.

Umso bemerkenswerter ist die Offensive anlässlich des 13. August. Sie ist einerseits bemerkenswert, weil sich der BND viele Jahre gegen eine umfassende historische Aufarbeitung seiner Arbeit gesperrt hat. Andererseits ist es schon auffällig, dass Vorlagen im Zusammenhang mit dem Mauerbau immer schon mal unter der Hand weitergereicht wurden.

Es gibt nicht viele Ereignisse von historischer Bedeutung, die vom Dienst frühzeitig richtig eingeordnet wurden. So verschlief der BND beispielsweise die Proklamation des Kriegsrechts in Polen. Pannen und Negativ-Schlagzeilen hingegen gab es reichlich, wie 1995 beispielsweise den Plutoniumimport aus Russland.

Die scheinbar vollkommene Tarnung

Die Geschichte der Nachrichtendienste ist, alles in allem, oft eine Geschichte trivialer Apparate, die nur selten ihre Auftraggeber, die Regierenden, vor Unbill bewahrt haben. Normalerweise sind Mimikry und Geheimnistuerei Grundlage des Geschäfts. Und gern begegnen Nachrichtendienstler Kritikern mit der unwiderlegbaren Antwort: "Sie haben nicht recht, weil Sie nicht wissen, was wirklich passiert ist und wir können Ihnen nicht sagen, was passiert ist, weil das geheim ist." Über den Informationsstand der westlichen Dienste vor dem Bau der Mauer wurde in der Fachöffentlichkeit immer schon heftig diskutiert. Blickte der Dienst wirklich durch? Blickte die Öffentlichkeit durch?

Der erste Präsident des BND, Reinhard Gehlen, betonte in seinem 1973 erschienenen Buch "Der Dienst. Erinnerungen 1942-1971", er habe "noch im Jahr 1961 eine ausführliche Dokumentation erstellen lassen, aus der zweifelsfrei hervorging, dass der Dienst sehr wohl seine Aufgabe zur rechtzeitigen Unterrichtung der damaligen Bundesregierung erfüllt hatte. In zahlreichen Einzelmeldungen war auf die außerordentliche Zuspitzung der Situation in Berlin hingewiesen worden". Nur der genaue "Stichtag" der "Abriegelung" sei nicht bekannt gewesen.

Es wird interessant sein, die 5000 Seiten, die in den nächsten Wochen freigegeben werden sollen, genauer daraufhin zu prüfen, wer wann was wusste. Es kann durchaus sein, dass am Ende herauskommen wird, dass der BND - zumindest in diesem Fall - gut informiert war und dass niemand hingehört oder an die Vorhersagen geglaubt hat. Die Vorverachtung gegenüber dem BND war früher gewaltig. Fast alle Kanzler haben gern betont, das sie bei Auslandsangelegenheiten mehr aus der Neuen Zürcher Zeitung als vom Dienst erfahren hätten. War das auch im Schicksalsjahr 1961 so?

Der Biograph Hans-Peter Schwarz kommt in einem seiner Bücher zu dem Schluss, dass Konrad Adenauer, der erste Kanzler der Republik, vom Mauerbau offenkundig total überrascht worden sei. Kannte Adenauer nicht Gehlens angeblich so genaue Vorlagen? Willy Brandt, der damals Regierender Bürgermeister von Berlin war und am 12. August noch auf einer Wahlkampfveranstaltung in Nürnberg sprach, schreibt 1976 in seinen Erinnerungen: "Mir wurden keine Hinweise der deutschen oder alliierten Geheimdienste übermittelt.

Tatsächlich scheint es gelungen zu sein, die Vorbereitung der Abriegelung völlig zu tarnen. BND wie CIA, der britische und der französische Geheimdienst - sämtliche nachrichtendienstlichen Organisationen des Westens scheinen hinters Licht geführt worden zu sein." Und Brandts engster Vertrauter, Egon Bahr, erinnerte sich, in seinem Buch "Zu meiner Zeit", dass er erst am 14. August 1961 dazu gekommen sei, "die Lageeinschätzung des Bundesnachrichtendienstes zu lesen" und da sei die Aussage klar gewesen: "Besondere Vorkommnisse seien für das Wochenende nicht zu erwarten". Eine solche Meldung gab es tatsächlich auch.

Die historischen Dokumente werden möglicherweise auch ein Stück Aufschluss über die Machenschaften der Geheimdienste im Kalten Krieg liefern. Berlin war damals die Hauptstadt der Agenten. Was wusste die CIA wirklich? Und was wussten die Franzosen vorab von den östlichen Plänen? Darüber gibt es bis zum heutigen Tag nur Spekulationen, die sich bis hin zu Verschwörungstheorien ausgewachsen haben. Die wildeste Theorie lautet, dass der damalige Kreml-Chef Nikita Chruschtschow und der damalige amerikanische Präsident John F. Kennedy sich insgeheim über die Abriegelung aus weltpolitischen Gründen verständigt haben sollen. Das klingt wie eine Geheimdienstschote. Allerdings streiten auch ernsthafte Historiker noch immer über die Verantwortlichkeiten der damals wichtigsten Staatenlenker.

21 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges sind längst noch nicht alle wichtigen Dokumente zum Thema Mauerbau in den Archiven der Weltmächte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Vor allem in Moskau gibt es immer noch zahlreiche bislang nicht zugängliche Akten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: